Die Wochenzeitung „Empordà“ berichtete am 13.06.09, dass man Hinweise gefunden habe, die erlauben könnten, den verschollenen antiken Tempel der Aphrodite zu lokalisieren. Antike Schriftsteller berichten von diesem Tempel der Göttin der Liebe, der in unserer Gegend gelegen haben soll. Niemand weiß, wo dieser Tempel stand. Nun haben Mitarbeiter der Gemeinde Vilajuïga und Archäologen auf dem Weg von Vilajuïga nach Sant Pere de Rodes Felsen mit eingeritzten Kreuzen gefunden. Diese würden auf einen alten Pilgerweg hindeuten, der schon in der späten Steinzeit benutzt wurde und an den dort gelegenen Dolmen vorbei zu einem heiligen Ort geführt haben könnte. Später könnte das der Weg zum Heiligtum der Aphrodite gewesen sein. Nach der Christianisierung und im Mittelalter diente der Weg dann Pilgern, die zum reliquienreichen Kloster Sant Pere de Rodes wanderten oder von ihm abstiegen. Möglicherweise war er Teil eines Nebenweges der Strecke nach Santiago de Compostela.
Diese Meldung veranlasste mich, den Weg nachzugehen und mich auf die Spurensuche zu machen. In Vilajuïga bog ich auf die Straße nach Sant Pere de Rodes ab. Einen km nach dem Ort kommt rechts ein kleiner Parkplatz mit Hinweistafel zu den Dolmen. Links über der Straße geht ein Weg nach dem verlassenen mittelalterlichen – und wohl schon in der Zeit der Iberer besiedelten Ort - Canyelles, über den der ursprüngliche Weg verlief. Vom Parkplatz aus führt rechts ein zunächst breiter Feldweg zu den Dolmen und weiter über Mas Ventos nach Sant Pere de Rodes. Man kann auch noch mit dem Auto ein Stück weiter fahren, danach wird der Weg selbst für Geländefahrzeuge schwierig. Zuerst geht es durch Oliven- und Korkeichenhaine bequem voran, bis man auf eine Ebene mit einem großen Garten kommt.
Hier beginnt der „Baranc de les Comes de l´Infern“, die „Schlucht der Höllentröge“. Große glattgeschliffene Granitklötze liegen im Bach und zeugen von der früheren oder zeitweiligen Wucht des Wassers. Heute sieht man nur kleine Rinnsale und Tümpel, in denen man mit Geduld und Glück die letzten Spanischen Wasserschildkröten der Gegend entdecken kann. Meine Suche gilt jedoch anderem. Hier soll einer der Steine mit Kreuzen gefunden worden sein. Ich stiefle auf den Abhängen am Weg herum – sie wurden vom überwuchernden Buschwerk freigelegt, um die Kultur geprägte Struktur der Landschaft mit ihren Trockenmauern sichtbar zu machen – aber kann den Stein nicht finden. Auf dem Weg sehe ich tief in die Felsen eingeprägte Furchen, die von der Jahrhunderte langen Befahrung mit Karren kommen, ein Hinweis darauf, dass der Weg wohl schon in antiken Zeiten als Landwirtschaftsweg benutzt wurde. Ich komme zu einem Wäldchen, in dem – wie ich von früheren Begegnungen her weiß - Wildschweine hausen. Nun geht der Weg links über den Bach ab und führt den Berg hinauf. Jetzt entdecke ich die ersten Kreuze auf Steinen am Wegrand. Man muss schon sehr genau sehen, um sie zu erkennen und möglicherweise sind es natürliche Strukturen in den Steinen. Aber auch diese können ja als „Wegweiser“ genommen worden sein. Bald gelange ich zum ersten, der 5 erhaltenen und restaurierten Dolmen, die die „Dolmenstraße“ von Vilajuïga bilden: der Dolmen de la Vinya del Rei (Dolmen vom Weinberg des Königs).
Ein mächtiges Bauwerk, aus 6 Platten zu einer steinernen Haushöhle zusammengefügt. Hirten und Bauern haben sie als Schutzhütte benutzt. Urprünglich waren die Steinplatten von einem Erd-Steinhügel bedeckt, wobei ein Gang zur Zentralkammer führte. Beim zweiten Dolmen des Weges, dem Dolmen de Garrolar, kann man die Reste de Hügels noch gut erkennen. Nach Auffassung von Josep Tarrús i Galter, dem Autor des maßgeblichen Forschungswerkes zu den hiesigen Dolmen (Poblats, Dòlmens i Menhirs, Girona 2002) stammt der Dolmen aus der 2. Hälfte des 4. Jahrtausend v. Chr., also aus der Jungsteinzeit, dem Neolithikum. In dieser Zeit vollzog sich auch in unserer Gegend eine große Revolution in der Menschheitsgeschichte, der Übergang vom Jäger- und Sammlerdasein zur sesshaften Lebensweise mit Ackerbau und der Viehzucht.
Entgegen weit verbreiteter Ansicht sind die Dolmen keine Begräbnisstätten im eigentlichen Sinne. Man hat in ihnen einzelne Knochen [Langknochen, Schädel(teile)], aber keine ganzen Skelette aus der Ursprungszeit gefunden. Daneben wurden Gegenstände des damaligen Lebens wie tönerne Behälterreste, kleine steinerne Pfeilspitzen, Messer, Beile und Schmuckkettenteile ausgegraben. Das deutet darauf hin, dass es sich nicht um Gräber, sondern Kultstätten handelt. An ihnen wurde die Wiederkehr des Lebens aus dem Tode kultisch begangen. Die Dolmen symbolisieren den Geburtskanal, aus dem das Leben kommt und in das es wieder eingeht, den Schoß der Erde. Der Stein in seiner Starre ist das Symbol für den Durchgang durch den Tod, aus dem neues Leben hervorgeht. Der Mittelpunkt der neolithischen Religion ist die Feier des Kreislaufes von Tod und Wiedergeburt, Werden und Vergehen. Dieser Rhythmus war Grundlage und Erfahrung der neolithischen Bauern und Viehzüchter. In diesen Kreislauf waren die Menschen und die Verstorbenen, die Ahnen, eingebunden. Neues Leben kam aus der Ahnenwelt. So verbrachte man Teile von hervorgehobenen Verstorbenen, Sippenführern, Priestern in das „Haus des Todes“ und stattete sie mit symbolischen Gegenständen aus, die den Sieg des Lebens repräsentierten wie z.B. Zierbeile. (Näheres in: Ina Mahlstedt, Die religiöse Welt der Jungsteinzeit, Darmstadt 2004.) Außerdem waren die Dolmen auf den Sonnenlauf ausgerichtet, der für die bäuerliche Bevölkerung so wichtig war. Sie öffneten sich dem Sonnenaufgang, dem Mittag und dem Untergang der Sonne und zeigten die Sonnenwenden an. Auch aus diesem Grund errichtete man sie erhobenen Stellen, auf Bergen.
Ich steige den Weg, der immer steiler und felsiger wird, weiter empor, von Dolmen zu Dolmen. Je höher ich komme, desto phantastischer wird die Aussicht auf die umliegenden Berge, die Bucht von Roses. Besonders umfassend ist der Blick von einzelnen Felsformationen, auf die ich klettere.
Dort entdecke ich die für heilige Steine typischen großen und kleinen Schüsselchen natürlichen oder künstlichen Ursprungs. In ihnen sammelt sich das Regenwasser, in dem sich der Himmel spiegelt und das Sonnenlicht bricht. Nach Auffassung von Ina Mahlstedt symbolisierten sie in ihrer Kreisform den Ursprung des Lebens und wurden kultisch berührt. Vielleicht brachte man in ihnen auch Opfergaben dar.
Ich krieche in einzelne Dolmen und blicke durch den Ausschnitt ihres Eingangs auf den abendlichen Himmel, die Berge und das Meer hinaus. Saßen so in der Ursprungszeit die Priester in den Steinkammern, beobachteten den Lauf der Gestirne und kommunizierten mit den Ahnen?
Auf dem weiteren Weg finde ich auch große und kleine Kreuze auf den Steinen, die den Weg säumen. Mancher Stein macht den Eindruck, als diente er als Wegweiser, auf einem scheint ein großer Pfeil in Wegrichtung ausgehauen zu sein.
Ich stelle fest – auch mit Hilfe der Karte – die Reihe der Dolmen bildet einen Halbkreis auf dem Berggrat. Außer den 5 erhaltenen gibt es in Richtung Puig de l´Homme (Spitze de Mannes) noch zwei weitere zerfallene. Bildeten die Dolmen ursprünglich einen „heiligen“ Kreis, den man vom Tal, vom nicht mehr feststellbaren Dorf aus (Canyelles?), „beging“? Ein Weg in die Wildnis, die Einsamkeit, zu den Ahnen, an die Grenze zwischen Tod und Leben? Tatsächlich führt ein kleiner Weg – sehr verwachsen – im Kreis zurück zum Ausgangsdolmen. (Wegen der Wildschweine verzichte ich darauf, auf ihm den Rückweg zu nehmen.)
Ich bin an der Spitze des Berggrates angekommen, in der Nähe von Mas Ventos, wo der Weg wieder auf die Straßenführung trifft. Es öffnet sich an herausgehobener Stelle eine kleine Plattform . Hier entdecke ich nach einigem Suchen zu meiner Freude einen der Steine, den die Forscher aus Vilajuïga – dank der Auslichtungsarbeiten - gefunden haben. Ich freue mich und bin gefesselt, der Stein ist über und über mit verschiedenen eingravierten Kreuzen in verschiedenen Größen und Formen bedeckt. Einige Kreuze stehen auf Kreisen. Ich frage mich, wer hat die Kreuze angebracht? Waren es pilgernde Christen, die von oder nach Sant Pere zogen? Oder stammen sie aus dem Neolithikum? Beides ist möglich und vielleicht haben Menschen aus verschiedenen Zeiten diese Zeichen hinterlassen.
Tatsächlich ist das Kreuz eines der ältesten Menschheitszeichen, ein Ursymbol. Es findet sich schon in Höhlenzeichnungen der älteren Steinzeit. Man entdeckt es in unserer Gegend immer wieder auf Dolmen und ehemals heiligen Steinen, auch auf Dolmen, die verschüttet waren. In Verbindung mit anderen Gravierungen kann man es als Symbol für den Menschen und die vier Himmelssrichtungen deuten. Es stellt den Menschen dar, der mit ausgebreiteten Armen – in betender Haltung - zwischen Himmel und Erde, zwischen den vier Himmelsrichtungen steht. Somit ist es auch ein Bild für den Kosmos. Es ist aber auch ein Wegzeichen, das den Menschen auf seinem Weg auf der Erde und zwischen Himmel und Erde darstellt. Es bezeichnet den Weg des Menschen zum „Heiligen“, auch zu Heiligtümern, die den Zugang hierzu vermitteln. Der Kreis ist ein Bild für die Sonne, den Wechsel des Lebens, das sich erneuernde Leben. Im Christentum bedeutet das Kreuz den kosmischen Christus, der die Welt umspannt und durchdringt und bezeichnet den Erlösungsweg, den Jesus gegangen ist und den der Christ in der Nachfolge Jesu geht.
Kreuz aus Altsteinzeit auf Stein und Hildegard von Bingens "Kosmosmensch" in Kreuzhaltung (zum Vergrößern Bild anklicken)
Ob der neolithische „Pilgerweg“ hier endete oder zu einem (anderen) heiligen Ort führte, wissen wir nicht. Das Ziel christlicher Pilger war Sant Pere de Rodes. Dort verehrte man Kopf und rechten Arm des Apostels Petrus und andere „heilige“ Gegenstände. Diese angeblich dort vorhandenen Reliquien führten dazu, dass das Kloster im Mittelalter ein viel besuchter Wallfahrtsort war, dessen Besuch zu bestimmten Zeiten – laut päpstlichem Erlass – dieselben geistlichen Vorteile brachte wie der Besuch der Apostelgräber in Rom. Der Legende nach sollen drei Kleriker aus Rom im im 7. Jahrhundert im päpstlichen Auftrag diese Reliquien nach dem Cap Creus gebracht haben, als Rom von Feinden bedroht war. Sie konnten allerdings nicht an diesem Cap, das damals „Cap de Venus“ hieß, landen. Erst als sie das Cap in „Cap Creus“ (Cap der Kreuze) „umtauften“, gelang es ihnen an Land zu gehen und die Reliquien dort in einer Höhle zu verstecken, über der später das Kloster errichtet wurde. So kamen die Reliquien, die Verehrung Petri und des Kreuzes nach Sant Pere de Rodes.
Hier haben wir also einen Hinweis auf die Verehrung der Aphrodite (römisch: Venus) am Cap Creus. Die Legende spricht von einem großen weißen Tempel, der sich auf einem küstennahen Gipfel erhob und von den griechischen und römischen Seefahrern schon von weitem gesehen werden konnte. Ursprünglich war der Tempel der Pirene, einer iberischen Muttergottheit, geweiht, nach der die Pyrenäen genannt sein sollen. Die Griechen und Römer setzten diesen Kult fort, aber unter dem Namen von Aphrodite bzw. Venus. Das Heiligtum soll eine Art empordanesisches „Delphi“ gewesen sein, wo man hinpilgerte, um Orakel einzuholen. (Gabriel Martín i Roig, L´Empordà històric, Llegendes, 2008, S. 21).
Aber wo stand dieser Tempel? Nach dem griechisch-römischen Gelehrten Strabo (63 v. - 24 n. Chr.) befand sich der Tempel auf den Höhen der Pyrenäen an der Grenze zwischen Gallien und Iberien, in geringer Entfernung nördlich oder südlich vom Siegesmal des Pompeijus am Col de Panissars.(„Geograhica“/Erdbeschreibung 4.1.3/6) Nach dem römischen Gelehrten Plinius dem Älteren (23 v. -79 n. Chr.) betrug die Entfernung des Tempels von der Mündung des Ter 40 Meilen, also ca. 60 km. („Naturalis historia"/Naturbeschreibung)
Die einen lokalisieren nun den Tempel über Port-Vendres (Portus Veneris=Hafen der Venus), andere bei Sant Pere de Rhodes. Man weist auch daraufhin, dass sich am Ostende des Klosters Mauern eines spätrömischen Gebäudes befinden. Dies könnten die Reste des Venus-Tempels gewesen sein. Aber diese Mauern sind bis jetzt noch nicht archäologisch erschlossen worden und man kann nicht mit Gewissheit sagen, um was für ein Bauwerk es sich handelte. Aus den antiken Angaben ergibt sich die genaue Lage des pyrenäischen Aphrodisions jedenfalls nicht, nur: dass Sant Pere de Rhodes in Frage kommen kann. Das, was für für diesen Ort noch sprechen könnte, ist die Beobachtung der Beständigkeit von heiligen Orten. Heilige Orte bleiben oft heilige Orte, durch die wechselnden Zeiten und Religionen hindurch.
Bringen nun die Steine mit den Kreuzen, die ohne Zweifel auf einen alten Pilgerweg hinweisen, Klarheit? Zogen hier Iberer, Griechen und Römer hinauf zum Heiligtum von Pirene-Aphrodite, um dort die Göttin des Wachstums und Fruchtbarkeit, der Liebe und Schönheit zu verehren und ihre Hilfe zu erflehen? Dann hätte der patriarchalische Apostelfürst die matriarchalische Göttin ersetzt. Doch der Schluss von einem alten Pilgerweg auf den Ort des Aphrodite-Tempels ist nicht zwingend. Und so bleibt es weiter ein Geheimnis, wo die Göttin hier verehrt wurde.
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