Hier eine Einführung in die Gegenwart und Geschichte Kataloniens

Die Katalanen – eine Nation? Grundlegendes über Katalonien für Gäste

Katalonien
Das Parlament der katalanischen Regionalregierung im Parc de la Ciutadela in Barcelona - einst Arsenal, in dem die Waffen zur Unterdrückung der Katalanen lagerten, heute Ort der Selbstverwaltung Kataloniens

Die Gegenwart – ein polarisiertes und polarisierendes Katalonien

 

Katalonien ist in die Schlagzeilen der europäischen Medien gerückt. Vom Zentralstaat für illegal erklärte Referenden zur Unabhängigkeit, eine mißglückte Unabhängigkeitserklärung, ein abgesetzter und ins Ausland geflohener und von der spanischen Justiz gesuchter Präsident der Regionalregierung, wegen „Rebellion“ angeklagte und zu Gefängnisstrafen verurteilte Unabhängigkeitsaktivisten und Abgeordnete, Großdemonstrationen von Unabhängigkeitsbefürwortern und -gegnern… das hat Aufmerksamkeit für die sonst eher am Rande des Weltgeschehens liegende spanische Provinz hervorgerufen. Die europäische Öffentlichkeit und Politik ist irritiert: auf der einen Seite von der Hartnäckigkeit der Unabhängigkeitsbefürworter, auf der anderen Seite von der Unnachgiebigkeit der zentralspanischen Politik und Justiz. Die „katalanische Frage“ spaltet Spanien und Katalonien. Man fragt sich: was ist los mit den Katalanen, dass sie sich nicht mehr mit der Rolle einer prosperierenden Wirtschaftsregion und eines beliebten Tourismusgebietes begnügen  und sich mit solcher Vehemenz von Spanien, dem „gemeinsamen und unteilbaren Vaterland aller Spanier“ (spanische Verfassung) lossagen wollen.

 

Barcelona 11.11.18 - Quelle: ANC
Barcelona 11.11.18 - Quelle: ANC
Bild Puigdemonts an einem Haus in Girona - Die gelben Schleifen signalisieren Solidarität mit den unter Anklage stehenden und in Haft befindlichen Politikern
Bild Puigdemonts an einem Haus in Girona - Die gelben Schleifen signalisieren Solidarität mit den unter Anklage stehenden und in Haft befindlichen Politikern

Die Älteren unter uns werden sich erinnern: wer in der Franco-Zeit nach Katalonien reiste, kam in Spanien an. Gleich hinter der Grenze empfingen ihn Ortsschilder in Spanisch, die Tafeln mit dem Veterano-Stier, die Guardia Civil, der verlängerte Arm Francos, lauerte hinter Straßenkuppen, in der Öffentlichkeit wurde Spanisch gesprochen, auf Plakaten wurden Stierkämpfe in Figueres, Gerona und Barcelona angeboten ( „El Cordobes“ unterhielt eine Stierkampfschule in Roses), in den Lokalen fanden Flamenco-Darbietungen statt, die Kapellen spielten und die Touristen sangen  Eviva Espana“. Für sie wurden Urbanisationen im andalusisch-maurischen Stil gebaut, hübsch, aber sie passten nicht zum traditionellen Baustil Kataloniens und dem rauen Klima außerhalb der Sommermonate. Es sollte eben alles „typisch spanisch“ wirken.

 

Als in den 50-/60-ziger Jahren „Gastarbeiter“ aus Spanien nach Deutschland kamen – fleißige Arbeiter, die schnell Deutsch lernten – wurden sie als „Spanier“ begrüßt. Kaum jemand wusste, dass die Muttersprache vieler Katalanisch war, dass sie oft aus politischen Gründen nach Deutschland gekommen waren und sich nicht wenige nur durch heimliche und schnelle Flucht vor Gefängnis und Folter gerettet hatten. Fast jede ihrer republikanisch und katalanisch gesinnten Familien hatte Opfer des Franco-Regimes zu beklagen.

 

Die katalanische Flagge mit dem Stern der Unabhängigkeit - auf einem Straßenrondell bei Vilasacra (Girona)
Die katalanische Flagge mit dem Stern der Unabhängigkeit - auf einem Straßenrondell bei Vilasacra (Girona)

Heute wird der Besucher mit einem selbstbewussten und eigenständigen Katalonien konfrontiert. Er entdeckt Aufkleber mit der Aussage: „Katalonien ist nicht Spanien“. Wenn er stolz sein mühsam gelerntes Spanisch präsentiert, merkt er schnell, dass er sich damit zwar verständlich, aber nicht immer beliebt macht. Hat er mit Ämtern oder der eigenständigen katalanischen Polizei – den Mossos d´Esquadra - zu tun, wird ihm Schriftliches in der „offiziellen“ Sprache Kataloniens, dem Català, mitgeteilt. Wenn der Besucher nicht nur die Hotelbar und Strandleben genießt, sondern sich im Lande umschaut, wird er eine reiche Landschaft an katalanischsprachiger Presse, Medien, Literatur, katalanisch geprägter Kunst, Architektur, eine Fülle von bemerkenswerten geschichtlichen Erinnerungsstätten, traditionellen Gebräuchen und nicht zuletzt die katalanische Küche entdecken. Kurzum er wird auf die Spur katalanischer Tradition und Kultur stoßen. Er wird auch bemerken, dass Katalanen mentalitätsmäßig anders gelagert sind als „Spanier“, wenig „südländisch“, in der Regel verschlossener (gegenüber dem Fremden) und herber als Südspanier – und dass sie stolz auf ihre Eigenarten und Gebräuche sind, empfindlich, wenn man ihr Land und ihre Sprache (etwa als „Dialekt“) herabsetzt. Wenn er sich hier wohl fühlen will, tut er gut daran, dies zu respektieren und nicht zu vergessen, dass er Gast ist.

 

Nach der Transición seit dem Tode Francos 1975 erreichte Katalonien 1979  den Status einer „Autonomen Gemeinschaft“ innerhalb Spaniens und damit vor allem in den Bereichen der Gesundheit, des Erziehungswesens, der Polizei weitgehende Selbständigkeit, in anderen Bereichen wie Kultur, Baumaßnahmen, Straßenbau, Binnenhandel, Industrie, Landwirtschaft, Justiz, Verwaltung ein weites Mitsprachrecht, was freilich immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung führt. Hierbei hat die katalanische Regierung ihre Ansprüche und Kompetenzen sukzessive erweitert. Gegenüber den deutschen Bundesländern sind die Kompetenzen aber deutlich beschränkter. Finanziell ist die Regionalregierung von den Zuteilungen Madrids abhängig, ein großer Streitpunkt, vor allem, was die Zuteilungsquote beträgt, die der katalanischen Regierung angesichts des katalanischen Steuereinkommens nie hoch genug erscheint.

 

Charles Puigdemont fordert vor dem katalanischen Parlament im Oktober 2017 die Unabhängigkeit Kataloniens - Quelle: Generalitat de Catalunya/Lizenz: C
Charles Puigdemont fordert vor dem katalanischen Parlament im Oktober 2017 die Unabhängigkeit Kataloniens - Quelle: Generalitat de Catalunya/Lizenz: C

Katalonien hat ein Parlament, eine Regionalregierung, die „Generalitat“, mit einem Präsidenten und Ministern ( „Consellers“). Es gibt eine Art von Verfassung, das „Estatut“, das die Verhältnisse innerhalb der katalanischen Institutionen, aber auch die Befugnisse gegenüber dem spanischen Staat regelt. Das Statut bedarf der Zustimmung des katalanischen Parlaments, des Volkes und des spanischen Parlament. Das erste Statut von 1978 wurde 2006 durch ein neues, mit erweiterten Kompetenzen ersetzt, was zu erheblichen Auseinandersetzung zwischen den katalanischen und spanischen Parteien, sowie mit der Zentralregierung führte. Das spanische Verfassungsgericht, das von der konservativen Partei PP (Partida Popular) angerufen worden war, hat 2010 Korrekturen gefordert, aber das Statut im wesentlichen für verfassungskonform erklärt.

 

Der sehr emotional geführte Streit entzündete sich vor allem an der ersten Fassung des neuen Estatuts, in dem Katalonien sich als „nació“, als Nation, bezeichnete. Dies steht im Widerspruch zur spanischen Verfassung, in der Spanien als „unauflösliche“ Nation  und die Autonomen Gemeinschaften als „Nationalitäten“ deklariert werden. Auf Grund des Widerspruches im spanischen Parlament einigte man sich auf eine Kompromissfassung, die einerseits festhält, dass „das Parlament Kataloniens das Gefühl und den Willen der Bürger Kataloniens aufgenommen hat, indem es mit großer Mehrheit Katalonien als Nation definiert hat“, andererseits einräumt, dass „die spanische Verfassung die nationale Wirklichkeit Kataloniens als Nationalität anerkennt“. (Präambel). Das Verfassungsgericht hat diese Formulierungen zugelassen, aber der Bezeichnung „Nation“ keine rechtliche Wirkung eingeräumt.

 

Die spanische Verfassung ist ein Kompromiß zwischen der zentralistischen Tradition Spaniens, dem sich auch das Franco-Regime verbunden fühlte, und der unterdrückten, aber nie ganz beseitigten Vielfalt der spanischen Regionen. Mit Rücksicht auf die restaurativen Kräfte konnten sich die Verfasser der Konstitution nicht zu einer föderalistischen Struktur des spanischen Staates durchringen. Sowohl die spanische Verfassung als auch das katalanische Estatut ist damit durch Unklarheiten und Widersprüchlichkeit gekennzeichnet. Die unabhängigkeitswilligen Katalanen nehmen das in Anspruch, was die Verfassung „als Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen“  und das Estatut, „das Gefühl und den Willen der Bürger Katalonienes“ nennt, die Gegner halten es mit der in der Verfassung beschworenen „unauflöslichen Einheit der spanischen Nation“.

 

Die Mehrheit der katalanischen Bürger wünscht sich mehr Selbstbestimmung für das Land. Wie in den Ereignissen der letzten Jahre sichtbar wurde, hat aber auch der Wunsch nach einer völligen Autonomie und Loslösung von Spanien viele Katalanen ergriffen.  Nach allen statistischen Befragungen und den Ergebnissen der Wahlen zu urteilen, halten sich die Unabhängigkeitsbefürworter und -gegner in der Bevölkerung ungefähr die Waage. Dennoch haben die letzten Regierungen Kataloniens auf Grund parlamentarischer Mehrheiten nicht den Ausgleich gesucht, sondern eine Politik betrieben, die die Unabhängigkeit anstrebt. Dazu bekennen sich seit längerem Bürgerbewegungen und die links-nationalistiche Partei ERC (Esquerra Republicana de Catalunya), aber auch konservative, liberale und linksradikale Parteien. Das scheint einer europäischen und globalen, populistisch genannten Tendenz zu entsprechen, die auf Nationalismus setzt. Dabei ist aber die katalanische Unabhängigkeitsbewegung im Gegensatz zu den „populistisch-nationalen“ Parteien anderer europäischen Ländern eher links, republikanisch und europäisch orientiert. So trat die katalanische Regierung unter dem Präsidenten Artur Mas 2012 unter dem Schlagwort an:  Katalonien - der nächste unabhängige Staat in Europa.“

 

Ein weiterer Streitpunkt ist die Sprachenfrage: „die katalanische Kulturpolitik zeigt eine starke Tendenz, sich abzukapseln und lediglich die eigene Sprache und kulturellen Traditionen zuzulassen.“ (C.C. Seidel, Kleine Geschichte Kataloniens, S. 214) Diese Frage hat – wie die Nationalitätenfrage - Sprengstoffcharakter in Katalonien und Spanien. Immerhin ist Katalonien ein Einwanderungsland mit vielen Zuwanderern aus dem übrigen Spanien, Südamerika, Nordafrika und den anderen europäischen Ländern. Von den rund 7 Mio. Einwohnern sind ca. 1,5 Mio. Eingewanderte, wobei die Abkömmlinge früherer Einwanderer gar nicht erfasst sind. 32 % geben Katalanisch, 55% Spanisch als Muttersprache, 36 % Katalanisch als Umgangsprache an. Von daher versteht man die Bemühungen der Generalität, das Català zu fördern, denn für den Aufbau einer katalanischen Identität, eines Zugehörigkeitsgefühls zur katalanischen Gesellschaft, Geschichte und Kultur ist die Beherrschung der katalanischen Sprache wichtig.

 

Das ist auch von der Geschichte Kataloniens her zu verstehen, in der immer wieder Versuche gemacht wurden, das Katalanische zu diskriminieren und zu unterdrücken, zuletzt in der Franco-Zeit. Die Förderung des Katalanischen entspricht auch dem Wunsch der alteingesessenen Bevölkerung, die natürlich ihre Muttersprache sprechen und hören will. (Das Katalanische ist sprachwissenschaftlich eine eigene romanische Sprache mit langer Geschichte- wie das Spanische, in Katalonien „Castellano“ genannt.) Andererseits sind die Bemühungen der katalanischen Regierung unter europäischer Perspektive als „verbissen“ (Seidel) und provinziell zu betrachten. Es gibt ja kleinere Länder wie die Schweiz, die mehrsprachig sind und den Aufbau einer einzigen „Nationalsprache“ nicht zu ihrer nationalen Identität zu brauchen scheinen.

 

Die Zweisprachigkeit der Katalanen (spanisch und katalanisch) ist ein großer Vorteil und könnte als solcher gepflegt und geschätzt werden, wie das ja letzten Endes auch im katalanischen Alltag der Fall ist. Offiziell ist die Sache im Statut so geregelt - was manche Ämter und Amtspersonen nicht immer beachten: „Das Katalonische ist die offizielle Sprache Kataloniens, ebenso wie das Spanische die offizielle Sprache des spanischen Staates ist. Jeder Einzelne hat das Recht, die beiden offiziellen Sprachen zu benutzen, und die Bürger Kataloniens haben das Recht und die Pflicht, sie zu beherrschen.“ Jedenfalls hat das sprachliche „Normalisierungsverfahren“ der Generalitat gebracht, dass das Katalanische in Katalonien wieder fest verankert ist und die Zahl der Sprecher zugenommen hat.

 

Man kann sagen, dass die Mehrheit der länger im Lande lebenden katalanischen Bürger auf Grund ihrer Geschichte, ihrer Kultur, ihrer Sprache und ihres Wohnsitzes sich als Nation im Sinne einer „Kulturnation“ versteht – obwohl der katalanische Sprach- und Kulturraum über die Grenzen des heutigen Kataloniens hinausgeht. Es besteht das Bewusstsein, sich von den übrigen vielfältigen Gemeinschaften in Spanien zu unterscheiden und der Wille, eine eigene Gemeinschaft zu bilden. Dies auch ohne dass immer ein selbständiges Staatswesen gefordert und ethnische Einheit vorausgesetzt wird.

 

Ohne Zweifel gehört zu diesem Bewusstsein auch das Gefühl vergangener geschichtlicher Größe Kataloniens und Jahrhunderte langer Unterdrückung der katalanischen Eigenarten.

 

Vielleicht vergessen aber manche nationalistischen Katalanen dabei, dass sie auch Jahrhunderte lang mit Spanien verbunden waren und vieles „Spanische“ angenommen haben.

 

Eine völlige Selbstständigkeit Kataloniens in absehbarer Zeit erscheint mir unwahrscheinlich und unrealistisch. Unter europäischer Perspektive würde ein selbständiger Staat Katalonien Gefahren mit sich bringen. Es könnte ein Signal zum Auseinanderbrechen Spaniens sein und damit viel Unruhe dort und in ganz Europa schaffen. Es mag sein, dass sich Katalonien eine Zeitlang wirtschaftlich halten könnte, aber die Verbindungen zum spanischen und europäischen Wirtschaftsraum wären gestört, die Aufnahme in die EU wäre fraglich und würde zumindest lange Zeit in Anspruch nehmen. Außerdem würde wohl der Provinzialisierung Kataloniens (bis hin zu vermehrter Korruption) Vorschub geleistet. Das ist meine Meinung als außen stehender Beobachter – bei aller Sympathie, die ich für Katalanen und Katalonien habe. In Gesprächen mit „eingefleischten“ Katalanen zeigt sich aber, dass diese Argumente nicht verfangen. Offenbar spielen da Emotionen eine größere Rolle als rationale Überlegungen. Die Aversionen gegen das „imperiale Spanien“ sitzen tief. Es ginge auch nicht nur um wirtschaftliches Wohlergehen – was zwar eine Rolle spiele -, sondern um die katalanische „Identität“, so wird mir entgegengehalten, ein Stichwort übrigens, das auch andere Nationalisten Europas im Munde führen.

 

Um den Wunsch katalanischer Independisten nach Loslösung von Spanien zu verstehen, ist es notwendig, einen Blick in die Geschichte zu werfen.

Miqueletes (katalanische Freischärler) vor der Zitadelle in Roses - Traditionspflege gehört zu heutigen Bild Kataloniens
Miqueletes (katalanische Freischärler) vor der Zitadelle in Roses - Traditionspflege gehört zu heutigen Bild Kataloniens

Die Geschichte – Glorie und Unterdrückung 

 

Die Geschichte hat es Katalonien bisher nicht gewährt, ein selbständiger Staat zu werden – bis auf ganz kurzfristische Intermezzos. Katalonien war auch nie eine fest umrissene Größe. Die historischen Wurzeln Katalonien liegen in der Zeit Karls des Großen, als die Grafschaft Barcelona entstand. Diese erweiterte sich zusehends durch Vereinigung mit anderen Grafschaften der Region (unter Giufre el Pilos / Wilfred dem Haarigen, gest. 897). Sie trat in Konkurrenz zu den zur selben Zeit entstandenen christlichen Reichen der iberischen Halbinsel. Verbindend war aber die Gegnerschaft zu den arabischen Emiraten, die sich in der sogenannten Reconquista, der Eroberung arabischer Gebiete, manifestierte. Durch Heirat von Raimund Berengar IV., Graf von Barcelona, und der Erbin des Königreiches Aragón, Petronila, entstand 1137 die Staatsgemeinschaft „Prinzipat“ Katalonien und Krone Aragons.

 

Beide Länder wurden in Personalunion regiert und behielten ihre eigene „Verfassung“. Durch dynastische Verbindungen und Eroberungen dehnte sich die Regierung des Herrscherhauses  bis in das Languedoc, die Provence, die Balearen, Valencia, Sizilien, Sardinien, Neapel, ja Athen und Kleinasien aus. Katalonien/Aragón wurde zur beherrschenden See- und Handelsmacht des westlichen Mittelmeerraumes, wobei Katalonien die führende Stellung innehatte. In dieser Zeit kam es auch zu einer Blüte der Wissenschaft, Kunst, Architektur und katalanischsprachigen Literatur. Die führte zu einem kulturellen Verbundenheitsgefühl im katalanischen Raum.

 

1469 heiratete Ferdinand, der Erbe Kataloniens/Aragóns Isabella, die Erbin Kastiliens. Mit dem Herrschaftsantritt der „katholischen Könige“ wurden die beiden mächtigsten Reiche der iberischen Halbinsel zusammengeführt.  Vorher war „Spanien“ ein Flickenteppich verschiedener Reiche gewesen. Aber noch gab es kein einheitliches Spanien; die beiden Könige regierten ihre Länder getrennt. Durch die Eroberung des letzten arabischen Königreiches Granada, die Einverleibung anderer iberischer Königreiche, die Eroberung der amerikanischen Kolonien und die Einführung einer zentralen spanischen Inquisition war jedoch ein spanisches Groß-, ja Weltreich, im Entstehen. Mit der Vereinigung Kastiliens und Katalonien/Aragóns setzte ein Zentralisierungs-, Vereinheitlichungs- und Kastilisierungsprozess ein,  der sich unter den habsburgischen Königen verstärkte. Was der Einheit zuwider lief,  merzte die Zentralgewalt schrittweise aus oder unterdrückt es: die Selbständigkeitsbestrebungen in den Niederlanden wurden gewaltsam bekämpft, Juden und Mauren, die sich nicht taufen ließen vertrieben, die muslimischen Konversen (Morisken) ausgewiesen, die Protestanten hingerichtet oder ins Exil gezwungen.

 

Die politische und territoriale Einheit unter der spanischen Krone war allerdings noch fragil.  Die verschiedenen Länder behielten zunächst ihre eigenen Institutionen und Rechtsverhältnisse. So auch Katalonien, wo die Macht der Stände groß war („Cortes“ mit dem Ausführungsorgan der Generalitat - aus Adel und Patriziern zusammengesetzt) – hier liegt eine Wurzel des späteren katalanischen Republikanismus. In den folgenden Jahrhunderten entstand zwar ein eigentliches katalanisches nationales Bewusstsein – vor allem in der Auseinandersetzung der Stände mit der Krone. Das Prinzipat geriet aber zusehends ins politische und wirtschaftliche Abseits und wurde schließlich zum Spielball der großen imperialen Mächte, in erster Linie Spanien und Frankreich. 1659 verlor Spanien/Katalonien im sog. Pyrenäenfrieden seine Nordgebiete – sie reichten bis Salses - die an Frankreich abgetreten wurden. Die Pyrenäen bilden seitdem die politische Grenze. Noch heute fühlen sich nicht wenige Franzosen im Roussillon (katalanisch: Rosselló) als Katalanen und werden diese Gebiete in Katalonien gern als „Nordkatalonien“ bezeichnet.

Katalonien
Wandmalerei in einem katalanischen Dorf - Sie fordert Unabhängigkeit für alle "katalanischen Lande" (auch den französischen Norden und die Balearen)

Die Gelegenheit für die spanische Monarchie, die Schwäche Kataloniens auszunützen und die Zentralisierung auch dort durchzusetzen, ergab sich im „Spanischen Erbfolgekrieg“ (1701-1714).

 

Schon vorher hatte Gaspar de Guzmán, Graf von Olivares, der als Erster Minister von König Philipp IV. die Regierungsgeschäfte führte, versucht, die Sonderrechte Kataloniens abzuschaffen und den kastilischen Gesetzen anzupassen. Dies scheiterte am Aufstand der "Segadors" (Schnitter), der Landbevölkerung, die sich gegen die Einquartierung königlicher Soldaten und die Aushebung zum königichen Heer wehrte. Mit der Ermordung des spanischen Vizekönigs am 7. Juni 1640, einem Fronleichnamssamstag, brach die Zentralherrschaft in Katalonien zusammen. Unter dem Präsidenten der Generalitat, Pau Claris i Casademunt, war Katalonien sogar eine Woche unabhängige Republik, unter französischem Protektorat. Der Tod des Sohnes und Nachfolgers von Philipp IV., dem schwachen Karl II., der keinen Erben und umstrittene testamentarische Verhältnisse hinterließ, führte zum Spanischen Erbfolgekrieg.

 

In dieser Auseinandersetzung, an der ganz Europa beteiligt war, setzte Katalonien auf die falsche Seite. Es unterstützte den habsburgischen Kronprätendenten Erzherzog Karl gegen den Bourbonen Philipp von Anjou. Die Rache des Siegers Philipp V. war hart. Am 11. September 1714 musste Barcelona nach langer Belagerung unter der Führung des Ratsvorsitzenden Rafael Casanova  kapitulieren. Eine große Zahl der Widerstandskämpfer wurde hingerichtet, unter ihnen der General Moragues, an dem ein grausames Exempel statuiert wurde. Neben der Kirche Maria del Mar in Barcelona befindet sich der ehemalige Friedhof und die Gedenkstätte der Opfer („Les Moreres“) – mit „ewiger“ Flamme.  Mit den königlichen Dekreten „Nueva Planta…“ verlor Katalonien seine bisherigen Rechte und die relative Selbstständigkeit. Katalonien wurde zur Verwaltungsprovinz innerhalb eines zentralistisch regierten spanischen Staates. Als alleinige Verwaltungssprache wurde das Castellano eingeführt. Seitdem besteht die Abneigung der Katalanen gegen die Bourbonen und und radikalisierte sich die Aversion gegen den Zentralstaat, das Gefühl der Unterdrückung, der Wunsch nach Wiederherstellung alter Rechte und Respektierung der nationalen Eigenart Kataloniens.  Es ist also nichts Neues, dass Spanien ein „katalanisches Problem“ hat, das immer wieder aufbricht, und eine „katalanische Frage“besteht, die ungelöst fortdauernd  "schwelt".

 

Ein wenig surrealistisch anmutend, aber bezeichnend, wurde 1980 ein Tag der Niederlage, der 11. September, zum Nationalfeiertag  Kataloniens erklärt, die Diada. Sie wird  mit Demonstrationen, Gedenkfeiern, aber auch volkstümlichen Veranstaltungen, begangen, wobei die „nationalen Symbole“ – das sind die katalanische Flagge Senyera, (vier rote Streifen auf Gelb), der Nationaltanz Sardana und die katalanische Nationalhymne Els Segadors ausgiebig Verwendung finden.

 

Catalunya triunfant

tomarà a ser rica i plena!

...

Ara és hora, segadors!

Ara és hora d´estar alerta!

Per quan vingui un altre juny

esmolem ben bè les eines! ...

 

Das triumphierende Katalonien wird wieder reich sein und Erfüllung finden! ... Nun ist es Zeit, ihr Schnitter! Nun ist es Zeit, wachsam zu sein! Bis ein anderer Juni kommt, lasst uns die Werkzeige schärfen gut"

 

Gedenksäule an die Opfer des 11.11.1714 im Fossar de les Moreres
Gedenksäule an die Opfer des 11.11.1714 im Fossar de les Moreres

Mit dem wirtschaftlichen Erstarken Kataloniens im 19. Jahrhundert erwachte wieder katalanisches Selbstbewusstsein, die Rückbesinnung auf katalanische Traditionen, Kultur und Sprache: die sog. Renaixenca. Sie führte zu einem Aufblühen katalanisch geprägter Literatur, Kunst und Architektur (die aber nicht den Zusammenhang mit europäischen Kulturströmungen verleugnen). Ausdruck dieses Erstarken war die „Weltausstellung“ 1888, die einem internationalen Publikum den wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritt Barcelonas und Kataloniens vorführte, ohne das man sich freilich von den übrigen Teilen Spaniens und der Monarchie absetzen wollte. Bleibendes Denkmal dieser Weltausstellung ist der „Parc de la Ciutadela“ in Barcelona, der nach der Schleifung der verhassten Zitadelle – sie wurde 1714 zur Beherrschung der Bevölkerung Barcelonas errichtet – zur Weltausstellung geschaffen wurde.

 

Im Gegensatz zu anderen europäischen Mächten war Spanien durch innere Schwierigkeiten - Uneinigkeit,  Bürgerkriege, soziale Unruhen, wirtschaftliche Schwäche und den Verlust der Kolonien - in eine Krise geraten. Das Imperium, das im 16. Jahrhundert sich angeschickt hatte, die Weltherrschaft zu ergreifen, sah sich dem Niedergang ausgesetzt. Dies hinterließ bei spanischen Patrioten eine Wunde, die die Überzeugung nährte, dass die „Größe“ Spaniens nur durch „Einheit“ zustande kommen kann, was sie für die Diktaturen von Primo de Rivera (1923-1930) und Franco anfällig machte. Die schwierige Kombination von Einheit und Vielfalt im heutigen Spaniens ist ihnen verdächtig. Nach der Abwendung des versuchten Putsches 1981  durch Oberstleutnat Tejero und seiner Mitverschwörer aus Milität und Guardia Civil sind diese Kreise ruhig geblieben. Die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen haben sie wieder auf den Plan gerufen. Katalonien, das in ihren Augen Zwietracht sät, lässt sie aggressiv werden. Der katalanische Nationalismus hat den immer vorhandenen spanischen Nationalismus erneut ans Licht treten lassen.

 

Parallell zum Niedergang des spanischen Imperiums entstand der politische katalanische Nationalismus. Er begnügte sich nicht mehr mit der Besinnung auf die sprachlichen und  kulturellen Eigenheiten Kataloniens, sondern stellte politische Forderungen. 1906 schrieb der Rechtsgelehrte, Schriftsteller und Politiker Enric Prat de la Riba sein Buch „La Nationalitat Catalana“ und legte damit die geistige Grundlage für den katalanischen Nationalismus. Prat de la Riba sah in Spanien keine „Nation“, sondern einen „plurinationalen“ Staat. Den Katalanen bescheinigt er hingegen eine „Nation“ zu sein, konstituiert durch Sprache, Recht, Kunst und Geschichte ( die „Nationalitat“). Das „Vaterland“ der Katalanen ist Katalonien, nicht Spanien. Obwohl seiner Meinung nach Nationen zur Staatenwerdung drängen, forderte Prat de la Riba nicht die Unabhängigkeit Kataloniens, sondern vertrat die Idee eines föderalistischen Staates, der die „Einheit Spaniens“ respektiert. Eine begrenzte „Selbstverwaltung“ der verbundenen „Nationen“ ist damit intendiert. Andere nach ihm gingen weiter. Eine 1919 von dem links und separatistisch orientierten Offizier und Politiker Francesc Macià gegründete Partei forderte die volle Souveränität Kataloniens.

 

Nach dem Ende der Monarchie 1931 proklamierte Macià die freie „Republica Catalana“, die allerdings nur eine Lebensdauer von drei Tage hatte. Auf Betreiben der provisorischen republikanischen Regierung Spaniens erhielt Katalonien unter Führung der Generalitat ein Autonomiestatut innerhalb des spanischen Staatsverbandes.  Macià wurde Präsident, nach seinem Tode löste ihn Lluís Companys ab. Dies währte bis 1934, als das Autonomiestatut durch die konservativ-reaktionäre Madrider Zentralregierung suspendiert wurde. Nach der Wiedereinsetzung verlor die Regionalregierung durch die zeitweilig geglückte anarchistische Revolution die Kontrolle.  Mit dem Ende des Bürgerkriegs 1936-39 schaffte Franco die Republik und die katalanische Selbstbestimmung ab. Viele Republikaner mussten in ein schwieriges Exil gehen oder wurden ermordet, so der Präsident Companys. Zu der politischen kam eine massive kulturelle Unterdrückung. Katalanisch und katalanische Symbole wurden aus der Schule und der Öffentlichkeit verbannt, was sich erst ab den 50-ziger Jahren langsam änderte. Eine Vielzahl von Oppositionsgruppen kultureller, gewerkschaftlicher, kirchlicher und parteilicher Art entstanden gegen Ende der Franco-Zeit und boten dem Regime und seinen Repressionen die Stirn. Eintreten für die katalanische Kultur und Sprache bedeutet dabei Eintreten für Freiheit und Demokratie.

 

Und noch eine witzige, aber typische Ergänzung: Für den katalanischen (Spanisch schreibenden) Schriftsteller Manuel Vasquez Montalban (Kriminalromane!) wurde der Niedergang der Diktatur und der Beginn der Freiheit Kataloniens durch den historischen Sieg des FC Barcelona („Barca“) über Real Madrid im Februar 1974 eingeläutet. „1:0 für Barcelona - 2:0 für Katalonien – 3:0 für Sant Jordi (den Hl. Georg) – 4: 0 für die Demokratie – 5: 0 gegen Madrid“.

 

Wer sich in die wechselvolle katalanische Geschichte vertieft, wird verstehen, warum Katalanen auf die Stärkung  ihrer politischen und kulturellen Eigenart und Selbstständigkeit bedacht sind. Ein Bemühen, hinter dem die Opfer von Generationen stehen, was Respekt verdient. Andrerseits wird man auch nicht übersehen, dass konservativ und national gesinnte Spanier, die in der Tradition des imperialen und zentralistischen Gesamtspaniens stehen,  durch die katalanischen Forderungen nach „Sonderrechten“ in ihrem Nationalstolz berührt sind. Geschichte kann eben aus verschiedenen Perspektiven erlebt und gesehen werden.

 

Wohin steuert Katalonien, wohin Spanien? Wird die „katalanische Frage“ gelöst, oder müssen Spanier und Katalanen weiterhin damit leben – wie der spanische Philosoph und Abgeordnete des spanischen Parlaments José Ortega y Gasset 1932 erklärte. „Das katalanische Problem“, meinte Ortega y Gasset, „ist nicht zu lösen, man muss damit leben.“ Gebe man dem katalanischen Partikularismus nach – so der Philosoph -, brüskiere man das übrige Spanien. Die Spanier müssten die Katalanen ertragen und die Katalanen die Spanier.

 

Es bestand die Hoffnung, dass der überraschende Erfolg der Sozialisten (PSOE) unter Pedro Sánchez und der weniger überraschende Sieg der ERC in Katalonien bei den spanischen Wahlen 2019 eine Wende bringen könnte. Die Sozialisten hatten immer wieder die Möglichkeit einer Verfassungsänderung ins Spiel gebracht, die ERC schien kompromißbereiter zu sein als der bisher führende Parteienverbund „Junts per Catalunya“ unter Carles Puigdemont. Sánchez Minderheitsregierung war auf die Unterstützung der ERC angewiesen, die sie ihm auch teilweise gewährte. Trotz Begnadigung der 9 zu Gefängnisstrafen verurteilten führenden katalanischen Politiker und Ansätzen zum Gespräch über die katalanische Frage schwelt diese aber weiter, vollends nachdem Sánchez der Forderung nach einem erneuten Referendum über die Selbstbestimmung Kataloniens im Dezember 2021 eine entschiedene Absage erteilt hat.  

 

Nach wie vor kann eine Lösung nur durch geduldigen Dialog und Kompromissbereitsschaft auf beiden Seiten erreicht werden.

 

Der Rechtsruck, den die Regional- und Lokalwahlen in Spanien im Mai 2023 (außer in Katalonien) brachten, ist dafür allerdings ein schlechtes Zeichen. Mit der Wiederwahl von Sánchez zum spanischen Ministerpräsidenten am 16.11.23 könnte sich aber die Situation wieder verändert haben. Sánchez war bei seiner Wahl auf die Unterstützung der Unabhängigkeitsparteien angewiesen und benötigt sie weiter für seine Projekte. Er setzt auf die "convivencia", (friedliches Miteinanderleben) in Spanien und den Ausgleich mit den Unabhängigkeitsbefürwortern. Ob ihm das gelingt, wird sich erst noch zeigen müssen. Ein Gesetzesentwurf, der die Amnestie der im Zuge des Unabhängigkeitsprozesses Angeklagten und Verurteilten vorsieht, befindet sich im Gestzgebungsverfahren.

                                                         

(zuletzt ergänzt: 05.02.2024)

 

Katalonien
Contra l´invasor Statue von Miquel Blay (1891 - 1936 / Kunstmuseum Girona) - Symbol des katalanischen Widerstands gegen Fremdherrschaft und Diktatur