Zum 500. Jahrestag von Luthers Thesenanschlag - 1. Teil
Vom gefeierten Prediger zum ausgestoßenen "Ketzer" - Constantino Ponce de la Fuente
Im Oktober 1548 erlebten die Einwohner von Roses ein großes Spektakel. Der 21jährige Principe Felipe (der spätere spanische König Philipp II.) landete unter Kanonendonner und Trompetenschall mit seiner Galeere La Bastarda. Er kam von Barcelona und war auf dem Weg nach Genua, von dort sollte er nach Flandern reisen. In Roses wurde der Prinz mit seinem zahlreichen und illustrem Gefolge von der königlichen Flotte unter dem Admiral Andrea Doria erwartet. Die Weiterfahrt Philipps wurde durch einen lang anhaltenden Tramontana-Sturm verhindert. Man begab sich nach Castello d´Empúries, wo die königliche Gesellschaft Aufnahme im Palast der Grafen von Empúries fand.
Am 1.11.1548, an Allerheiligen, fand eine feierliche Messe in der mächtigen Kirche Santa Maria statt. Prediger war der berühmte Doctor Constantino., Hofprediger von Philipps Vater, dem spanischen König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Karl I. bzw. V. Es heißt von Constantinos Predigt: „ seine Rede war so einzigartig wie sie Dr. Constantino immer zu halten pflegte.“ Wir kennen diese Predigt nicht, aber ihr Glanz mag verdeckt haben, dass sie sicher Anklänge an reformierte und lutherische Lehren enthielt. Constantino Ponce de la Fuente, 1502 in der Provinz Cuenca geboren, entstammte einer Familie von jüdischen Conversen („Bekehrten“). Seine Bildung erhielt er in der Universität von Alcalá de Henares bei Madrid, einem Zentrum der humanistischen Bildung. Erasmus von Rotterdam, ein Wegbereiter der Reformation, wurde dort hoch verehrt (später wurden seine Schriften auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt). 1533 kam Constantino nach Sevilla. Dort erwarb er den akademischen Grad des „Lizenziaten“, was dem Doktorat entspricht. Er lernte eine Reihe von Theologen und Laien kennen, die mit dem Protestantismus sympathisierten oder sich mit ihm identifizierten. Bald hatte er unter ihnen eine führende Rolle inne. Ohne Zweifel war er schon damals ein Anhänger reformatorischer Überzeugungen. Aus seinen Schriften ergibt sich, dass er für eine Erneuerung des Christentums eintrat, das sich auf das Evangelium in den biblischen Schriften und den Glauben, das Vertrauen auf Christus, allein stützt, nicht auf äußere Autoritäten, Zeremonien und Werke, eine „evangelische Spiritualität“ wie Manuel de León de la Vega in seinem umfassenden Buch „ Los protestantes y la espiritualidad evangélica en la España del siglo XVI“ ( Tomo I / II, 2011) schreibt.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Karl V, der als eine seiner wichtigsten Aufgaben darin sah, die „Häresie“ des „Luthertums“ in Europa zu bekämpfen, diesen Mann als Kapellan an seinen Hof berief und ihn als geistlichen Begleiter seinem Sohn Philipp auf dessen Reisen nach Italien, Deutschland, Flandern und England mitgab. Vielleicht war der gelehrte, beredte und auf Frieden bedachte Dr. Constantino auch ein Meister der schützenden Diplomatie und Tarnung. Der katholische Historiker Marcelino Menéndez y Pelayo (in seinem zwar inhaltsreichen, aber tendenziösen Werk „Historia de los heterodoxos españoles“ - 1880-82 / Madrid 1978) wirft ihm „Verstellung“ vor.
Auch sonst finden sich in der Umgebung Karls V. – der Erasmus von Rotterdam sehr schätzte – einige Persönlichkeiten, die reformatorischen Gedankengängen aufgeschlossen waren. So der kaiserliche Sekretär und Humanist Alfons de Valdés . Juan Perez de Pineda, der im Dienst des Kaisers 1527 die Plünderung Roms miterlebt hatte, spielte dann sogar eine wichtige Rolle für die spanischen Protestanten. Im Exil übersetzte er die Psalmen und das Neue Testament in ein elegantes Castellano. Da man ihn persönlich nicht belangen konnte, wurde er „in effigie“, d. h. in einer Statue, in Sevilla verbrannt.
Wie es um Dr. Constantino auch bestellt war, die Predigt an Allerheiligen 1548 in der „empordanesischen Kathedrale“ war wohl die einzige Predigt im reformatorischen Geiste für Jahrhunderte dort. Und vielleicht war der Verfasser dieser Zeilen dann der „nächste“ evangelische Theologe, dem 2007 gestattet wurde, in der Basilika einen evangelischen Gottesdienst – eine Trauung - durchzuführen.
Nach der Rückkehr nach Sevilla erhielt Constantino Ponce de la Fuente die Canonjia magistral an der Kathedrale, d.h. er war unter den Geistlichen des Bischofsitzes der Hauptprediger. Dr. Constantino hatte bei seinen Predigten gewaltigen Zulauf. Vorsichtig ließ er in seine Predigten evangelische Glaubenssätze einfließen. Dies ging solange, bis 1558 „ El Santo Oficio“, die Inquisition („geistliche Untersuchungsbehörde“), eingriff. Er wurde von Inquisitoren, die unter der Leitung des Großinquisitor Fernando de Valdés standen, als „Luterano“ angeklagt und in der Sevillaner Festung Triana eingekerkert. Verhängnisvoll für ihn war die Entdeckung seiner geheimen Bibliothek und darin eines Manuskriptbuches, in dem er seine reformatorischen Positionen offen und polemisch aussprach. Vor dem Tribunal bekannte er sich - nach anfänglichem Zögern - zu seinem Manuskript und seiner Wahrheit: „ Bemüht euch nicht, Zeugen gegen mich aufzubringen. Hier habt ihr ein offenes und umfassendes Bekenntnis meiner Überzeugung…Macht mit mir, was euch gut dünkt.“ Der in die "Gewalt dieser Barbaren" gefallene Unglückliche – so seine Worte - starb, geschwächt und krank, vor Beendigung seines Prozesses.
Links der Erzbischof von Sevilla und Inquisitor Valdés - Rechts das Zeichen der Inquisition, ein Baumkreuz mit abgehauen Ästen und Psalmspruch: "Erhebe dich, Herr, und urteile in deiner Sache"
Francisco de Herrera ("el Mozo"), auto de fe 1660 auf dem Platz San Francisco vor dem Rathaus von Sevilla, ein öffentliches "Schauspiel". In der Mitte ein Inquisitor. Einer der "Ketzer" ist ganz klein vor dem Tribunal erkennbar (Mitte, hinten). Üblicherweise befand sich die Tribüne der "Ketzer" gegenüber der des Tribunals.
In der öffentlichen Verurteilung, dem auto de fe 1560, in dem auch andere Mitglieder der protestantischen Gemeinschaften verurteilt und bestraft wurden, grub man die sterblichen Reste Constantinos aus und verbrannte sie mit einem mit Namen und Ketzerinsignien versehenen Abbild. (Gegen das übliche "Kopfbild", wurde ihm eine "Ganzfigur" zuteil, die ihn in der Haltung als Prediger zeigte.) Seine vielfach aufgelegten Schriften wurden auf das Verzeichnis der verbotenen Bücher gesetzt. Sein Andenken sollte nach dem Willen der Inquisition vom Erdboden ausgetilgt werden.
Als Karl V. auf seinem Alterssitz, dem Kloster Yuste, von der Eröffnung des Inquisitionsprozess gegen seinen ehemaligen Kapellan erfuhr, soll er gesagt haben.
„Wenn Constantino ein Häretiker ist, dann wird er ein großer Häretiker sein.“ Sollte der alte Kaiser das gesagt haben, dann sprechen daraus Zweifel an der Beurteilung des gebildeten
Theologen durch die Inquisitionsbehörde. Die Wertschätzung des Kaisers zeigt sich auch darin, dass eines der wenigen Bücher, die Karl V. in Yuste bei sich hatte, die sehr eingänglich geschriebene
"Summa de doctrina Christiana" von Constantino war.
Von Dr. Constantino läßt sich kein Bild finden. Er hat in Schriften überlebt, obwohl sie von der Inquisition verboten und verbrannt wurden. Oben Titelseiten seiner "Summa de doctrina Christiana", einem Lehrdialog über die Grundlagen des christlichen Glaubens (1550 in Spanisch noch mit "kaiserlicher Erlaubnis; 1. Auflage in Latein 1543 (1540?) / Quelle: altes Titelblatt: Google E- Books; 2. Titelblatt: Nachdruck einer Ausgabe von 1863 in der evangelischen Sammlung der "Reformistas Antiguos Españoles": Quelle: Amazon)
Ausstellungen zum Reformationsjubiläum in Barcelona und Braunschweig - Unterschiedliche
Perspektiven
In Barcelona...
Spanien gilt als das Land, in dem die Reformation nie Fuß fasste. Spanien war in der Neuzeit das erzkatholische Land in Europa. Umso erstaunlicher wirkt es, dass 2017 gleich zwei große Gedenkausstellungen zur Reformation in Barcelona zu sehen sind, und sie werden nicht etwa von evangelischer Seite veranstaltet. Die Ausstellung „Imatges per Creure“ („Bilder zum Glauben - Katholiken und Protestanten in Europa und Barcelona, 16.-18. Jahrhundert“) wird von der Stadt und dem Historischen Museum im Saló del Tinell, dem Krönungs- und Versammlungssaal der Grafenkönige von Barcelona/Aragon, gezeigt. Die andere ist im „Forum“ der großen Bank Caixa zu sehen: „500 años de reforma protestante“.
Ich habe die Ausstellung im Saló Tinell besucht. Was mir auffiel, ist, dass, hier im katholischen Traditionsbereich, die Reformation mit einer ganz anderen Perspektive betrachtet wird als bei deutschen Gedenkausstellungen. In Deutschland habe ich die umfangreiche Reformationsausstellung in Braunschweig besucht. Schon der Titel zeigt eine andere Sichtweise an: „Im Aufbruch. Reformation 1517-1617“.
Die Blickrichtung der Ausstellung in Barcelona ist auf die Herausforderungen ausgerichtet, die die protestantische Reformation an die katholische Kirche stellte. Sie werden mit der Gegenreformation beantwortet, die eine Erneuerung aus katholischem Geiste anstrebt und eine Verstärkung katholischer Traditionen mit sich bringt (Reliquien-, Heiligen-, Marienkult, Gründung neuer Orden und Bruderschaften, Gegenpropaganda, Neuorganisation, Belebung, Kontrolle und Disziplinierung des Gemeindelebens u.a.). Festgelegt wurde die Neuorientierung durch das Konzil von Trient (1545-1565), das krasse, durch die Reformatoren kritisierte, Missstände - wie den Ablasshandel - abschaffte. Der Schwerpunkt der Darstellungen der Ausstellung liegt in diesem Bereich. Letztlich liegt hier – trotz Bemühung um historische Objektivität - eine katholische und auch spanische Blickrichtung vor.
...und in Braunschweig
Die Ausstellung in Braunschweig - veranstaltet vom Landesmuseum Braunschweig (Land Niedersachsen) und der Evangelischen Akademie Abt Jerusalem sowie den lutherischen Landeskirchen Braunschweigs und Hannovers - nimmt den Aufbruch in den Blick, der mit der Reformation verbunden ist und bis in die Neuzeit wirkt. Sie zeigt die Umwälzungen auf, die Luthers Anstoß bewirkte, in Braunschweig, in anderen Städten und in den protestantischen Territorien, Veränderungen im Denken, in der Sprache, in der Lebenshaltung, in den Frömmigkeitsformen, in Gottesdienst und Gemeindeleben, im gesellschaftlichen und politischen Bereich. Von Luther und der reformatorischen Bewegung wird ein Modernisierungsprozess voran getrieben, der das Mittelalter hinter sich läßt. Unter anderem führt er zur Abgrenzung von Staat und Kirche (Luthers "Zwei-Reiche-Lehre"!) und zur Entstehung und Verwirklichung des neuzeitlichen Toleranzgedankens (Luthers Berufung auf das Gewissen und damit das Recht der eigenen Überzeugung!).
Die Reformation hat Deutschland und die nördlichen Länder Europas ganz anders geprägt als den Süden. Es ist klar, dass sich so verschiedene Betrachtungsweisen ergeben.
Der Besuch der beiden Ausstellungen war für mich Veranlassung, mich weiter mit der Geschichte der Evangelischen in Spanien zu
befassen. Ich stelle hier im 1. Teil den Verlauf der spanischen Reformationsbewegung und das Schicksal ihrer Anhänger dar. Dies wird in der
Ausstellung in Barcelona nur am Rand beleuchtet. In einem 2. Teil gehe ich auf die Wiederbelebung evangelischen Lebens im 19. und 20. Jahrhundert in Spanien ein, vor allem richte ich meinen Blick auf das Empordà
(Katalonien).
Das 16. Jahrhundert – die reformatorische Bewegung in Spanien wird zum Schweigen gebracht
Ausgangspunkte der Reformation in Spanien
Wir haben in dieser Website über die Vertreibung der Juden ("Juden im mittelalterlichen Girona"), der muslimischen Morisken (christianisierte Mauren) und das Schicksal ihrer in Spanien verbliebenen Nachfahren, der Konversen, geschrieben ("Die Vertreibung der Mauren aus Spanien und Katalonien"). So möchte ich auch der dritten unterdrückten religiösen Minderheit, der Protestanten, gedenken. Es gibt hier auch Verbindungen: die „Neuchristen“ jüdischer oder moriskischer Abkunft in Spanien und im Ausland sympathisierten vielfach mit den Protestanten oder schlossen sich ihnen gar an.
Wie im übrigen Europa fanden sich auch in Spanien im 16. Jahrhundert Anhänger Luthers, Calvins und anderer Reformatoren zusammen. Doch die spanische Inquisition, die unter den „Katholischen Königen“ Ferdinand und Isabella 1478 eingerichtet wurde, sorgte dafür, dass im spanischen Reich allein das katholische Bekenntnis Gültigkeit behielt.
"Das Licht ist auf den Kandelaber gestellt. Luther im Kreise von Reformatoren"
Unbekannter Künstler aus den Niederlanden (?), um 1600/1650
Das Bild zeigt Reformatoren verschiedener Länder im Gespräch vereint. (Ein Spanier ist nicht dabei.) Tatsächlich waren sie nicht immer so einig, so dass man das
Bild als Ruf zur Einigung und Rückbesinnung auf die gemeinsamen Grundlagen der verschiedenen Richtungen des Protestantismus interpretieren kann. Der lehrende und schreibende Luther, der das
Licht der evangelischen Lehre entzündet hat, bildet den Mittelpunkt, um den sich die anderen scharen. Unten versuchen die Gegner das Licht auszulöschen. Flankiert sind sie von Vorgängern der
Reformation: Hus und Wycliff (Quelle: www.ulrich-menzel.de)
Die reformatorische Bewegung in Spanien kam nicht nur von außen. Sie war durch mystische Strömungen (die sogenannten von der Inquisition unterdrückten
Alumbrados, d.h. "Erleuchte-
ten“), Humanismus, Erneuerungsbewegungen in verschiedenen Orden und manche bischöfliche und königliche Reformen vorbereitet. Dies traf sich mit Nachrichten, Schriften und Ideen der europäischen Reformatoren, die auch nach Spanien gelangten, teils durch Handelsleute – vor allem aus den Niederlanden und Frankreich - teils durch Spanier, die im Ausland studierten (letzteres führte dazu, dass Philipp II. 1559 das Studium im Ausland verbot). Das Aufkommen des Buchdrucks und der Handel mit Büchern, Flugblättern und Schriften machte eine rasche europaweite Verbreitung reformatorischer Ideen möglich. So ist es nicht verwunderlich, dass die Inquisition bald Veröffentlichungen aller Art zensierte, Buchhandlungen und auch private Bibliotheken inspizierte und Buchhändler zu Galeerenstrafen verurteilt wurden.
Ein bedeutender Ausgangspunkt evangelischer Ideen war die Alcalá-Universität in Henares ("Complutense"), die von dem franziskanischen Kardinal Cisneros
1499 gegründet worden war. Mittelpunkt der Ausbildung war die Theologie, die im Sinne eines christlichen Humanismus gelehrt wurde. (Der Kardinal - der auch Großinquisitor war - hat sich
allerdings bei seinen Missionierungskampagnen gegen Morisken und Juden wenig "human" gezeigt.)
Die reformatorischen Lehren wurden vor allem in städtischen Zentren von Gelehrten, Theologen und gebildeten Adligen aufgenommen, unter denen Frauen eine wichtige Rolle spielten. Doch auch Menschen aus dem „einfachen“ Volk wurden von den neuen Ideen erfasst – vor allem solche, die mit den „Vornehmen“ in Beziehung standen. Die Bezeichnung „Protestanten“ ist eigentlich nicht zutreffend, da diese Kreise nicht gegen Glaubensvorschriften durch Kaiser und Kirche offen „protestierten“, sondern in der Stille, in kleinen Zirkeln, ihren Glauben und seine Erneuerung lebten. Es war die kirchliche Verfolgung, die sie in den Gegensatz zur Institution der katholischen Kirche brachte. Auch die Bezeichnung „Lutheraner“ ist nicht immer korrekt, da viele der so Bezichtigten sich eher den „reformierten“, von Calvin herkommenden Glaubensüberzeugungen, zuwandten. Andere waren mehr von den Alumbrados oder Erasmus geprägt. In der damaligen evangelische Bewegung in Spanien gab es keine festen "Bekenntnisse", wie sie sich in der Reformation des Nordens entwickelten. Die Inquisition war schnell bei der Hand, alles was nach Neuerungen aussah, mit dem Etikett „Luterano“ zu belegen.
Anfänge in Sevilla und Valladolid
Brennpunkte dieser evangelischen Sammlungen waren die Hauptstadt Andalusiens, Sevilla, und die Hauptstadt Alt-Kastiliens, Valladolid. Diesen Städte hatten
vielfältige Außen- und Handelsbeziehungen im damals weit ausgespannten spanischen Reich, in ihnen lebten reiche und gebildete Bürger, die kulturell, philosophisch und spirituell aufgeschlossen
waren. Im Klerus gab es viele Ordenleute und Priester mit einem hohen Ausbildungsgrad. Man reiste, hatte Freunde im Ausland, studierte an Universitäten außerhalb Spaniens... Der Geist des
Umbruchs, der Europa erfasst hatte, war auch hier spürbar. In Valladolid kam hinzu, dass sich der königliche Hof öfters in der Stadt aufhielt, mit Menschen, die in ganz Europa herum gekommen
waren.
Es heißt, den Anfang in Sevilla habe ein wohlhabender, vielleicht auch adliger Grundbesitzer und Kaufmann gemacht, Rodrigo de Valer. Er hatte - durch Bibelstudium und die Lektüre von Lutherschriften bewegt - 1520 eine radikale Lebenswende vollzogen und hielt auf Märkten und Plätzen aufrüttelnde Straßenpredigten im reformatorischen Sinne. Er starb später – seiner Güter beraubt - in Klosterhaft, zu der ihn die Inquisition verurteilt hatte. Rodrigo diskutierte aber auch mit Mönchen und Klerikern; er gewann Juan Gil, genannt Dr. Egidio, für seine Glaubensrichtung. Gil war Professor an der Universität Alcalá gewesen, hatte sich nach Sevilla zurückgezogen und bekleidete dort gegen 1530 die Canonija magistral, die Predigerstelle an der Kathedrale. Seine Gebeine wurden später im gleichen auto de fe mit denen Dr. Constantinos, seinem Nachfolger als Kathedralprediger, ausgegraben und verbrannt. Zur gleichen Zeit hielt der Mediziner Dr. Francisco Vargas, auch in der Complutense ausgebildet, viel beachtete Vorlesungen über den Römerbrief und die Psalmen - auf die sich Luther in seiner Anfangszeit stark bezogen hatte! Er tat das nicht nur an der Universität von Sevilla, sondern auch - öffentlichkeitswirksam - in der Kathedrale. (Vargas wurde 1532 von der Inquisition eingekerkert.) In einem einflussreichen Kloster unweit von Sevilla, San Isidoro del Campo, wandten sich fast alle der in der Nachfolge des Kirchenvaters Hieronymus stehenden Mönche unter ihrem Prior Garcia Arias der Reformation zu. (Auch Arias fiel später der Inquisition zum Opfer.) Die Mönche ersetzten ihre Chorgebete durch Bibelstudium. Aus diesem Kloster gingen einige der wichtigsten spanischen evangelischen Theologen hervor, die nach ihrer Flucht vor der Inquisition eine große Wirksamkeit im Ausland entfalteten.
Ein weiterer „Herd“ der reformatorischen Flamme war die städtische „Armenschule“, die Casa de los ninos de la doctrina (cristiana). Dort war der schon erwähnte Juan Perez de Pineda Rektor; der Lehrer Fernando de San Juan erzog Kinder im evangelischen Geiste. Hier trafen sich aber auch andere evangelisch Gesinnte zum Austausch über Bibel und reformatorischer Schriften. Fernando de San Juan wurde später lebend verbrannt.
So bildeten sich kleine evangelische Gemeinschaften. Eine der wichtigsten dieser Zellen war das Haus der schon betagten adligen Dame Maria Isabel de Baena. Führer der Gemeinschaft war Don Juan Ponce de León aus dem Haus der Grafen von Bailén (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Conquistador). Beide Adligen fielen der Inquisition zum Opfer.
Ähnlich wie in Sevilla war in Valladolid eine evangelische Bewegung entstanden. Ihr Begründer war der vornehme und gebildete Italiener Don Carlos de Seso, ein im Dienste Karls V. bewährter Soldat; er bekehrte sich wohl unter dem Einfluss des vor der Inquisition nach Italien geflohenen Theologen Juan de Valdés zum evangelischen Glauben und wurde Prediger. In Valladolid traf man sich im Hause der Konversenfamilie Cazallas, dem die Witwe Leonor de Vibera vorstand. Die fromme und reiche Familie hatte Gelehrte und Theologen hervorgebracht, unter ihnen einen Bischof und eine von Inquisition verurteile Mystikerin (Alumbrada). Der Sohn Leonors, Dr. Augustín de Cazalla, hatte auf der Complutense studiert, war nach Dr. Constantino Kapellan Karls V. und begleitete diesen durch ganz Europa und in den Schmalkaldischen Kriegen (gegen die protestantischen Fürsten). 1552 nach Vallodolid zurückgekehrt, wurde er zum geistigen Führer des „häretischen Konventikels“, wie die Inquisition die Zusammenkünfte nannte. Er selber soll sich - oder vielleicht haben das seine Anhänger so empfunden - in der Rolle des Luthers von Spanien gesehen haben, wenn auch im bescheidenerem Maße. Über die abendlichen geheimen Treffen und Gottesdienste, zu denen man nur durch ein Codewort Zugang hatte, entstanden - wie in der Urchristenheit - im Volke bösartige Gerüchte: man kolportierte, es habe sich um eine Art „Swinger-Club“ gehandelt.
Ein Brudermord aus religiösem Fanatismus
Das Leben und Treiben der evangelisch Gesinnten war gefährlich, in Spanien selbst und im Ausland.
Ein großer Teil Europas wurde von dem Schicksal eines jungen Theologen aus vornehmen Hause, Juan Díaz, erschüttert. Der junge Mann, aus Cuenca (Kastilien) stammend, hatte in Paris Theologie studiert und war von einem spanischen Exiltheologen für den evangelischen Glauben gewonnen worden. Er und sein Studienfreund Senarcleus begleiteten den Reformator Butzer zum Religionsgespräch in Regensburg. Sein Bruder Alfonso, der am päpstlichen Gerichtshof in Rom tätig war, reiste ihm nach, um ihn zum alten Glauben zurückzuführen und die Familienehre zu retten – oder ihn zu töten. Die beiden Brüder trafen sich in Neuburg a. D. Alle Vorhaltungen, Drohungen und Versprechungen des Bruders nützten nichts, Juan blieb standhaft. Er zögerte, das heuchlerische Anerbieten seines Bruders anzunehmen, ihm in Italien den Weg für ein besseres Wirken für seine reformatorischen Überzeugungen zu öffnen. Butzer und sein Freund rieten ihm ab. Alfonso machte ihm ein Geldgeschenk und nahm unter fingierten Tränen Abschied. Zum Schein machte er sich auf dem Heimweg.
Am frühen Morgen des 27.3.1546 klopfte es an der Tür des Pfarrhauses, in dem Juan mit seinem Freund Unterkunft gefunden hatte. Ein Fremder erklärte ihm, er hätte ihm einen Brief seines Bruders zu überreichen. Juan führte ihn in sein Zimmer. Arglos öffnete er das Schreiben und las es abgewandt im Licht des Fensters. Dabei spaltete ihm der aus Rom mitgebrachte Begleiter von Alfonso mit einer Axt den Schädel. Alfonso selbst hatte an der Pforte der Herberge Wache gehalten. Senarcleus fand Juan in seinem Blute liegend.
Die beiden Komplizen wurden auf der Flucht nach Italien in Innsbruck festgenommen und vor Gericht gestellt, aber auf Betreiben der in Regensburg anwesenden Kardinäle und des Kaisers aus der weltlichen Gerichtsbarkeit entlassen. Auf Aufforderung des Papstes sollte der Fall dem päpstlichen Gericht übergeben werden. Alfonso gelangte nach Trient, wo der dortige Kardinal sich seiner annahm. Von einer Verurteilung ist keine Rede. Es wurde aber in evangelischen Kreisen erzählt, die Tat habe den Brudermörder so verfolgt, dass er nach einigen Jahren selbst seinem Leben ein Ende setzte.
Senarcleus hat die Geschichte aufgeschrieben und veröffentlicht. K.F. Meyer gestaltete das Vorkommnis in seiner Ballade „Die spanischen Brüder“
dichterisch.
Die Verfolgung der Evangelischen unter Philipp II.
Die eigentliche Verfolgungszeit für die spanischen Evangelischen begann mit dem Regierungsantritt Philipps II. 1556. Der humanistisch, aber auch im spanisch-kastilischen Sinne erzogene Herrscher wurde zum bürokratischen Sachwalter und von seiner Aufgabe überzeugten Fanatiker der katholischen Glaubenstreue. Er überwachte die Verfolgung der Heterodoxen persönlich.
Die Anzeichen waren bald erkennbar, und so flohen manche rechtzeitig ins Ausland. Unter ihnen waren Juan Perez de Pineda und 12 jüngere Mönche des
Sant-Isidoro-Klosters bei Sevilla, die 1557 das Land verließen. Ihr erster Fluchtort war das calvinistische Genf, von wo aus aber manche weiter zogen. Die Exilanten entfalteten eine lebhafte
literarische und antikatholische Tätigkeit, betreuten aber auch die spanischen Evangelischen im Ausland seelsorgerlich und als Prediger. Unter den geflohenen Mönchen befanden sich Casiodoro de
Reina, Cipriano de Valera und Antonio del Corro. Letzterer – Verwandter eines Inquisitors aus Sevilla – oder Casiodoro de Reina – moriskischer Abstammung - verfasste eine unter
Protestanten sehr verbreitete Schrift über die „Ränke“ (artes) der Inquisition, die (unter dem Verfasserpseudonym „Montanus“) 1567 in Heidelberg gedruckt wurde (Titel:"Algunas artes de la Santa Inquisición española"). Antonio del Corro
schrieb auch aus Antwerpen einen Brief an Philipp II., in dem er RELIGIONSFREIHEIT und RELIGIÖSE TOLERANZ, außerdem eine Amnestie für die spanischen Exilanten, forderte. Von einer Antwort
ist nichts bekannt.
Die Bibel wird ins Spanische übersetzt
1569 erschien in Basel Casiodoro de Reinas Übersetzung der Bibel ins Castellano, aus verschiedenen Quellen, auch aus den Ursprachen. 12 Jahre hatte der gesundheitlich angeschlagene Casiodoro an der Übersetzung gearbeitet. Diese Bibel ließ Casiodoro unter großen Opfern - mit Zuwendungen von Freunden – drucken. Der Übersetzer erschien nur mit der Kürzel C. R. am Ende des Prologs. Eine Anzahl dieser Bibel wurde nach Spanien geschmuggelt, wo sie sofort von der Inquisition verboten und nach Möglichkeit konfisziert wurde. Im Volksmund erhielt sie den Namen „Biblia del Oso“ – nach einem Bild auf der Titelseite, das einen Bären zeigt, der nach Honig auf einem Baum greift.
Cassiodoro starb 1594 als Bürger Frankfurts, wo er mit seiner Familie Zuflucht gefunden hatte. Er hatte das Genf Calvins verlassen, das er wegen des rigorosen Vorgehens gegen seinen Landsmann, den protestantischen Dissidenten Serveto, als das "neue Rom" bezeichnete. (Über den "Fall Servet" berichte ich weiter unten.)
Vor Casiodoro hatten schon Francisco de Enzinas und Juan Perez de Pineda (1556) das Neue Testament übersetzt. De Enzinas hatte seine Übersetzung 1543
persönlich Karl V. in Brüssel überreicht. Das bekam ihm aber schlecht. Er landete im Gefängnis, woraus ihm die Flucht nach Wittenberg gelang. Cipriano de Valera überarbeitete die
Reina-Übersetzung mit Unterstützung anderer ehemaliger Mönche aus Sant Isidoro. So entstand die REINA-VALERA-BIBEL. Diese Bibel ist heute noch die maßgebliche Bibel für die spanisch
sprechenden Evangelischen in aller Welt. Wie die Lutherübersetzung ins Deutsche war dies eine Großtat, denn die katholische Kirche verbot eine Übersetzung der Bibel in die Volkssprachen und
beharrte auf der Alleingültigkeit der Vulgata, einer Fassung des lateinischen Bibeltextes. Sie sah es auch ungern, wenn Laien zur Bibel griffen. Alle diese Theologen wurden in Abwesenheit
in Spanien durch die Inquisition verurteilt und „in effigie“, als Abbild, verbrannt. Das brachte auch im Ausland manche Gefährdung mit sich. Überall lauerten die Spione der Inquisition und
suchten der Entflohenen habhaft zu werden, was in einzelnen Fällen gelang. Auch die diplomatischen Vertreter Philipps II. übten Druck auf die Regierungen von Städten und Landern aus, in denen die
protestantischen Exilanten Zuflucht gefunden hatten und forderten Maßnahmen gegen sie.
Eine gefährliche Fracht - Bibelschmuggel
Die frühen Exilanten standen durch Kuriere mit den Glaubensgenossen in der Heimat in Verbindung. Der junge reisende Buchhändler (?) Julian Hernandez, „Julianillo“ – wie er wegen seiner geringen Körpergröße genannt wurde – schmuggelte ab 1555 Nachrichten, reformatorisches Schrifttum und Ausgaben des von Perez de Pineda übersetzten Neuen Testaments von Deutschland und der Schweiz nach Spanien. Er bediente sich dabei wahrscheinlich eines ganzen "Netzwerkes" von "Contrabandistas" (Schmugglern) und Mitverschwörern. 1557 brachte Julianillo, wohl als "Maultiertreiber" verkleidet, zwei große Tonnen mit Schriften von Genf nach Sevilla, die im Hause von Juan Ponce de León und im Kloser San Isidoro del Campo deponiert wurden. Dabei flog die Sache auf – durch einen Irrtum. Bücher, die für ein Mitglied der evangelischen Gemeinschaft bestimmt waren, wurden an einen Priester gleichen Namens ausgeliefert. Hernandez wurde festgenommen und die Existenz der Gemeinschaft aufgedeckt. Damit begannen die Verhaftungen und Prozesse der Inquisition in Sevilla. Auch die Flucht der Mönche von San Isodoro hing damit zusammen.
Julianillo wurde nach dreijährigen Verhören und Folterungen 1560 bei lebendigem Leibe verbrannt. Auf dem Weg vom Gerichtsaal zum Kerker pflegte er ein Spottlied auf Mönche anzustimmen. Beim Gang zum Scheiterhaufen verstopfte man dem von einem Berichterstatter als "maldita bestia" ("verdammtes Untier/Dummkopf") Bezeichneten den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen. Schon am Pfahl angebunden, traktierten ihn zwei gelehrte Geistliche mit theologischen Disputen, um ihn zum Widerruf seiner evangelischen Überzeugungen zu bringen. Erst fand er noch Entgegnungen, dann verstummte er. Seine Gegner legten das als Sieg ihrer Argumentation aus. Es wird aber auch berichtet, er habe - bereits im Feuer - noch gerufen:
" (Fasst) Mut ("Valor"), Kameraden! Dies ist die Stunde, in der wir uns als tapfere Sodaten Jesu Christi zeigen sollen. Laßt uns ein treues Zeugnis seines Glaubens vor den Menschen geben. In wenigen Stunden werden wir ein Zeugnis vor den Engeln erhalten."
Das letzte Wort Julianillos mag eine spätere Heroisierung von Glaubensgenossen sein, die die evangelischen "Märtyrer" emporhoben, genauso wie damalige katholische
Autoren sie meist herabsetzten. Das Wort spricht aber die Haltung aus, mit der viele der Verurteilten in den Tod gingen. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Julian Hernandez wie andere
dieser Inquisitionsopfer für die von ihnen erkannten evangelischen Glaubenswahrheiten bis zuletzt einstanden. Dass nicht so Unbeugsame "abfielen", ist angesichts von Martern, Druck und
Todesängsten nicht verwunderlich. Nicht jeder "Widerruf" des eigenen Glaubens ist als "reuevolle Rückkehr" in den Schoß der katholischen Kirche zu werten, wie es die damaligen katholischen
Berichterstatter gerne taten. Man kann es Inquisitionsopfern nicht verdenken, wenn sie im Lippenbekenntnis und Stranguliertwerden oder im Ertragen einer Bußstrafe das geringere Übel sahen, als
lebendig verbrannt zu werden. Eine solche Entscheidung ist allerdings mit einer schweren Beeinträchtigung der Selbstachtung verbunden. Die Inquisition wollte "Seelen retten", aber in Wirklichkeit
zerstörte sie Menschen.
Ketzerverbrennungen
Sevilla
In Sevilla erhoben sich die ersten Verdächtigungen und wurden 1557 die ersten Untersuchungen der Inquisition gegen die neue "Häresie" eröffnet.
Sonntag, den 22.9.1559, war der Beginn der sevillanischen auto de fes („Glaubensurteile“), in denen "Lutheraner" ihr Urteil empfingen. (In Valladolid, in der Hauptstadt, war der erste Prozess schon früher, mit einem feierlichen auto de fe, zum Abschluss gebracht worden.) Zwei Jahre hatte die Inquisitionsbehörde Untersuchungen angestellt, Hunderte waren auf Grund von Anzeigen vorgeführt, viele im Kerker mit hinterhältigen Fragen vernommen und quälenden Torturen unterworfen worden. Das Vermögen ernsthaft Verdächtigter hatte man vorsorglich beschlagnahmt. Schon Tage vor dem Ereignis wurden die Schranken für das Volk, die Tribünen für die geistlichen und weltlichen Machthaben, den Adel, die Vornehmen, die Inquisitoren und die zu Verurteilenden, auf dem größten Platz der Stadt aufgerichtet. Am Tag vor dem Urteil waren die Geistlichkeit und die Bruderschaften, die das „Heilige Amt“ unterstützten, in feierlichem Zug zum Platz gezogen und hatten in der Mitte das große grüne Kreuz errichtet, Zeichen der Inquisition.
Ein auto de fe wurde nicht nur als "Fiesta" für das Volk, sondern auch als Abbild des "Jüngsten Gerichtes" inszeniert.
Vor Tausenden von Zuschauern führte man am Tag des Gerichtes die Angeklagten vor, begleitet von den Inquisitoren, Vertretern der weltlichen Justiz und Soldaten. An
der Spitze schritten die „Wiederversöhnten“ ("reconciliados"), die sich reuig gezeigt hatten, mit Kerzen in den Händen, hinter den Gerichtsangehörigen folgten paarweise die unbußfertigen
„Lasterhaften“ ("relajados"), barfuss, an den Händen gefesselt, mit einem Strick um den Hals, angetan mit gelben, mit Kreuz versehenen Büßerhemden („Sanbenito“/ ursprünglich: „gesegneter Sack“),
einige trugen mit Teufelsfratzen bemalte Ketzerhüte auf dem Kopf (die "Coroza"). Nach Glaubensbekenntnis des Gerichts und einer Predigt empfingen die Angeklagten kniend ihr Urteil: Entzug des
Vermögens (fast immer), das der Inquisition oder dem König zufiel, (meist andauernde) Bußhaft, Tod durch Feuer oder - als „Gnadenerweis“ - Erwürgen durch die Garrote, den Würgestrick, und
danach Verbrennung. Die zum Tode Verurteilten wurden der weltlichen Gerichtsbarkeit übergeben - mit der Bitte um Milde (!). Sie vollzog ihr Werk außerhalb der Stadt. 19 Personen – darunter
8 Frauen – wurden bis auf´s Notdürftigste entkleidet, an Pfähle gebunden und verbrannt.
Unter den zu Tode Verurteilten fiel eine junge Frau auf: María de Bohorques. Ihre feinen Gesichtszüge waren auch durch die Haft noch nicht zerstört worden. Sie hatte durch ihre Latein-, Griechisch- und Bibelkenntnis das Erstaunen von Mönchen hervorgerufen, die sie im Gefängnis zurückgewinnen wollten. Sie ließ sich auch nicht durch die Aufforderung zum Widerruf durch Juan Ponce de León – dem Führer ihrer Gemeinschaft - von ihrer Standhaftigkeit abbringen. Sie bedachte ihn mit abfälligen Bezeichnungen. Maria wurde verbrannt, Ponce garrotiert (erwürgt).
Im zweiten auto de fe 1560 wurden von den 40 wegen "Luteranismo" Angeklagten 15 dem Feuertode überliefert, unter ihnen Julian Hernandez. Auch die ausgegrabenen
Reste von Dr. Egidio, Dr. Constantino und Dr. Juan Perez de Pineda wurden - „ in effigie“ (im Abbild) - verbrannt. Die Inquisition hatte nicht einmal vor einem englischen Kaufmann, Nicolas
Burton, Halt gemacht, der wegen "anglikanischer Äußerungen" "dem weltlichen Arm übergeben" und seines Schiffes mit seinen Gütern beraubt wurde.
1562 wurden zwei weitere auto de fes abgehalten mit 88 Angeklagten und 18 Verbrennungen, darunter vier Mönche von Sant Isidor. Hierbei wurde auch das Bildnis
Casiodoros de Reina, als eines "Häresiarchen" ("Ketzerhaupt") verbrannt.
Auf diese Weise "endete die Geschichte der Reformation in Sevilla". "Eine energische katholische Reaktion löschte die Ansteckung bis auf die letzten Reste aus" - so schreibt Menéndez y Pelayo in seinem erwähnten Buch.
Valladolid
Die Verurteilung der Häretiker: auto de fe auf der Plaza Mayor in Vallodolid (flämischer Stich, 17. Jahrhundert). Im Mittelpunkt die Tribünen der Inquisitoren und der Vertreter der "Staatsmacht". Links werden die Angeklagten vorgeführt. Rechts im Hintergrund brennen die Verurteilten
Versammlung des Hofes in Valladolid am Tage des auto de fes der Gruppe Cazalla. Der 13-jährige Juan de Austria wird der Regentin Juana de Austria (Schwester Philipps II.) vorgestellt - Philipp II. hatte seinen unehelichen Sohn bisher fern vom Hofe erziehen lassen. Links von ihr der Kronprinz Don Carlos. Im Hintergrund der Platz, auf dem das auto de fe stattfinden wird.
(Kachelbild im Palacio Pimentel, Valladolid, geschaffen 1939/1940 von J. Ruiz de Luna. Quelle: wikimedia)
Das Ende: "Ketzer" brennen in Valladolid, zeitgenössischer Stich
Schon vor Sevilla, am 21.Mai 1559, hatte in Valladolid ein auto de fe stattgefunden. Als erster Schlag gegen die lutherische "Häresie" sollte es mit besonderer
Härte durchgeführt werden. Karl V. hatte das - in Abwesenheit von Philipp II. - von Yuste aus so angeordnet. Auch vom Papst hatte man Weisungen eingeholt. Tag und Nacht hatten Inquisitoren unter
dem Vorsitz von Fernando de Valdés gearbeitet, um die Urteile vorzubereiten - der Großinquisitor beklagte dabei den "Personalmangel". Den Inquisitoren war daran gelegen, den Akt mit
besonderer Feierlichkeit zu begehen. Dem entsprach die Anwesenheit der Regentin Juana de Austria, des Kronprinzen Don Carlos und des Knaben Juan de Austria (unehelicher Sohn Karls V. und
späterer Admiral der spanischen Flotte). Der Infantin und dem Infanten - beide waren in eleganter und dem Anlass entsprechender Kleidung erschienen - wurde ein Eid abverlangt, in dem
sie versprachen, die Inquisition zu schützen. Gegenleistung war eine Segnung. Auch der zuschauenden Menge wurde dieser Eid vorgelesen. Sie antwortete mit "Ja, wir schwören". Die Reicheren unter
den Teilnehmern hatten übrigens - für bessere Plätze - ein "Eintrittsgeld" für das "Schauspiel" bezahlt.
Die Familie Cazalla und andere Mitglieder der Gemeinschaft fielen dem Akt zum Opfer. Wohl 50 Angeklagte zeigten sich nach einjähriger qualvoller Haft und Androhung eines grausamen Todes „reuig“. Sie kamen mit schweren Bußstrafen davon; drei Priester wurden ihrer Würde entkleidet, unter ihnen Dr. Cazalla, der zu einem halbherzigen Widerruf gebracht worden war. Er und 14 weitere Personen wurden erwürgt. Einzig der Advokat Antonio Herrezuelo hielt stand und bekannte sich zu seinem reformatorischen Überzeugungen. Es wird berichtet, er habe auf dem Weg zum Scheiterhaufen Bibelworte gerufen und Psalmen gesungen, worauf er geknebelt wurde. Am Pfahl, an dem die Flammen emporzüngelten, stach ihn aus Wut über seine Hartnäckigkeit einer der Soldaten mit der Lanze in die Brust. Seine Frau Leonor de Cisnere war unter den „Wiederversöhnten“, bekannte sich aber 1568 zum evangelischen Glauben und erlitt als „Rückfällige“ den gleichen Tod wie vordem ihr Mann. Dieser hatte ihr auf dem Gang zum Verbrennungspfahl zugerufen:
"Ist das der Wert, den du auf die Lehre legst, worin ich dich sechs Jahre hindurch unterrichtet habe?"
Die Gebeine Leonor de Viberas, der Mutter Dr. Cazallas, wurden ausgegraben und verbrannt.
In der Morgendämmerung des folgenden Tages erhob sich auf der Anklagebank, auf der Dr. Cazalla gesessen hatte, ein dunkles Holzkreuz. Dass unter dem Kreuz zu lesen war "Hier saß ein Gerechter", wird von Menéndez y Pelayo bestritten.
Das Haus der Cazallas wurde zerstört und ein marmorner Inschriftenstein angebracht:
„ Das Heilige Offizium der Inquisition ordnete den Abriss und die Verwüstung dieser Häuser an...weil sich in ihm die lutherischen Häretiker zu Konventikeln gegen unseren Heiligen katholischen Glauben versammelten...“
Die Inschrift wurde 1776 erneuert, das Monument aber 1809 von napoleonischen Soldaten als Schandmal niedergerissen, 1814 wieder aufgerichtet, 1820 in einer
liberalen Phase entfernt und die Straße nach Dr. Cazalla benannt.
Zu bemerken ist auch, dass die Inquisition mit dem Einzug des Besitzes ihrer meist begüterten "lutherischen" Opfer sich große Vermögenwerte aneignete. Sie
finanzierte damit u. a. die aufwändigen auto de fes. Die Opfer mussten also selbst für die Kosten des unwürdigen Schauspiels ihrer Verurteilung und Bestrafung aufkommen. Auch die königliche
Schatzkammer profitierte von den Enteignungen.
Bei einem zweiten auto de fe im selben Jahr wurden 29 Personen verurteilt, 13 Frauen und Männer "dem weltlichen Arm übergeben", also wohl erwürgt und eingeäschert,
zwei Männer lebend verbrannt. Unter ihnen war Carlos de Seso, der Führer der Gemeinschaft. Sein geschwächter Zustand hielt ihn nicht davon ab, sich an Philipp II., der dem Geschehen beiwohnte,
mit einer Rede zu wenden und ihn zu fragen, mit welchem Grund er verbrannt werde. Der König soll ihm - der immerhin dem Königtum treu gedient hatte und "Corregidor", d.h. Vertreter des Königs, in
der Stadt Toro war - geantwortet haben: "Ich würde persönlich Holz für die Verbrennung meines Sohnes herbei schaffen, sollte er so schlecht sein wie ihr." ( Auf gewisse Art und Weise hat
der König dieses Wort ja später an seinem unglücklich geendeten Sohn Don Carlos erfüllt.) Eine weitere Auseinandersetzung wurde durch Knebelung des Delinquenten unterbunden. Auch einem anderen
Verurteilten, dem Mönch Domingo de Rojas, wurde der Mund verstopft, als er - der angebliche Ketzer - die Kühnheit besaß, dem christlichen König sein auf neutestamentlichem Fundament beruhendes
evangelisches Glaubensbekenntnis entgegen zu halten.
Die Anwesenheit des Königs bei auto de fes zeigt, dass die spanischen Könige die „lutherische Häresie“ auch als politische Rebellion verstanden: „ein König, ein Vaterland, eine Religion“. Auto de fes waren nicht nur eine kirchliche Demonstration, sondern auch ein "Staatsakt". Die Vereinigung der spanischen Königreiche lag damals erst 85 Jahre zurück, die „Reconquista“ war vor 67 Jahren beendet worden, Teile des Volkes, die Niederlande und die Morisken hatten sich erhoben. Frankreich und die mit ihnen verbündeten Türken bedrohten Spanien. Die spanischen Regenten und der „altchristliche“ Adel waren bestrebt, die Stabilität des Reiches nach innen und außen durch Unterdrückung und Uniformität zu sichern.
Die sechs auto de fes in Sevilla und Valladolid von 1559 bis 1562 unter dem Großinquisitor Fernando de Valdés waren nicht die einzigen. Auch anderswo in Spanien flammten Scheiterhaufen auf: in Toledo, Murcia, Barcelona, Zaragossa, Longrono, Granada, Valencia, Madrid… Auch in kleinen Orten wurde die Inquisition tätig. So wurden in Perelada (Alt Empordà) im Jahre 1539 10 Personen mit ihrem Pfarrer an der Spitze von der Inquisitionsbehörde in Barcelona aufgespürt und wegen „Luthertums“ angeklagt.
Barcelona – frei von der „lutherischen Häresie“
Ich bringe hier einen Bericht über einen auto de fe in Barcelona:
„Im Februar 1564, kurz nach [vor?] dem Abschluss des Konzils von Trient, besuchte Philipp II. Barcelona. Um jeden Zweifel über mögliche lutherische Neigungen zu zerstreuen und sich als katholische Bastion gegenüber den Ketzern darzustellen, organisierte die Stadt ein Zeremoniell mit hoher Symbolkraft. Als der König das Stadttor Portal de Sant Antoni erreichte, erwartete ihn eine Aufführung, bei der ihm die heilige Eulalia [die Stadtheilige] den Schlüssel der Stadt aushändigte und verkündete, dass Barcelona nicht von der lutherischen Infektion betroffen sei. Nach dem Verfassungseid im Saló del Tinell, dem großen Festsaal des Königspalastes, wohnte Philipp II. auf dem Plaza del Rei dem Angriff auf die Burg der Lutheraner bei; einem Schauspiel, bei dem die christlichen Soldaten mit dem Schlachtruf „Spanien, Spanien! Die einen für Sankt Jakobus, die anderen für Sankt Georg, die Reihen schließen, vorwärts! Sieg, Sieg!“ die Festung der Ketzer belagerten. Der zeremonielle Zyklus endete am 5. März auf dem Plaza del Born mit einer der wenigen Glaubenshandlungen [auto de fe], denen der König beiwohnte und in deren Rahmen acht Männer und die Bildnisse zweier weiterer unter der Anklage des Luthertums verbrannt wurden.“
( Deutsches Beiheft zur Ausstellung „Bilder zum Glauben“, S. 34)
Nachzutragen bleibt noch, dass der König sich gern den Anblick der Verbrennung der "Ketzer" ersparte. Er schreibt an seine beiden heranwachsenden Töchter 1582 über die Teilnahme an einem auto de fe: ...
"Zuerst gab es, wie üblich Predigten, und wir blieben bis die Urteile verkündet wurden, und danach gingen wir weg...Wir waren um acht Uhr gekommen und gingen um ungefähr ein Uhr zum Mittagessen."
Eine Statistik der Inquisitionsbehörde in Barcelona - Wie verbreitet war die reformatorische Bewegung in Spanien?
In der Ausstellung in Barcelona wird auch eine – leider nicht sehr differenzierte - STATISTIK zu den Verhandlungen der Inquisition aufgeführt. Das Tribunal del Santo Oficio der Stadt Barcelona war für nahezu das gesamte Gebiet Kataloniens zuständig. Von 1539 bis 1803, wurden 5425 Fälle verhandelt. 821 beruhten auf dem expliziten Vorwurf des „Luteranismo“ (in den anderen Fällen wird nicht angegeben, worauf sie sich bezogen). In 27 Fällen endeten sie mit einem an der Person vollzogenem Todesurteil, in weiteren 27 mit der „Hinrichtung“ einer Puppe. Freisprüche gab es in 431 Fällen. Der Schwerpunkt der Verurteilungen und Hinrichtungen liegt in den Jahren 1561 bis 1580.
Die letzte Hinrichtung durch die Inquisition von Barcelona wurde 1619 vollzogen. Das letzte Todesurteil der spanischen Inquisition überhaupt wurde noch 1826 (!) in Valencia ausgeführt Der wegen Gotteslästerung angeklagte Privatschullehrer Cayetano Ripoll starb nach einjährigem Gefängnisaufenthalt am Galgen, wobei man um den Toten Flammen entzündete. Der Lehrer hatte in seine Schüler im Geiste des Deismus belehrt und vor dem Tribunal die Gottsohnschaft Jesu geleugnet.
Bei den angeführten Zahlen ist in Rechnung zu stellen, dass die Prozesse sicher nicht alle Dissidenten erfassten, da nicht alle entdeckt wurden und sich manche durch Flucht der Entdeckung entzogen. Es ist auch nicht zu entscheiden, ob der Befund für den Bereich Barcelonas repräsentativ für ganz Spanien ist.
Eine Graphik der Statistik lässt vermuten, dass die Inquisition bis 1630 „ganze Arbeit“ geleistet hat. Ab da sinken nämlich die Verurteilungen rapide. Ein massiver
Anstieg der Verhandlungen ist wieder Ende des 17. Jahrhunderts festzustellen. Aber da enden die Urteile schon überwiegend mit Freispruch. Danach gibt es nur noch eine minimale Zahl an Prozessen.
Lediglich ab 1801-1803 ist wieder eine gewisse Zunahme zu verzeichnen. Im Zeitraum ab 1630 bezogen sich die Untersuchungen der Barceloneser Inquisition wohl nur noch selten auf den Vorwurf des
"Luteranismo". Dieser betraf meist eingereiste oder zugewanderte Ausländer, hauptsächlich hugenottische Franzosen. Ansonsten wandte man sich gegen moralische Vergehen oder "anstößige" Bücher und
Kunstwerke.
Was man nicht vermutet hätte, ist die relativ geringe Zahl der Todesurteile. Dieser Befund wird oft von Bestreitern der "leyenda negra" (dem "schlechten Ruf") Spaniens zur "Aufhellung" der dunklen Kapitel des Königreiches verwendet. Ich möchte sagen, dass jedes Todesurteil dieser Art zuviel ist!
Auf die Gesamtzahl der Prozesse im 16. Jahrhundert hin gesehen, lässt sich unterstellen, dass in Spanien Abweichungen von der katholischen Norm, Kritik an kirchlichen Zuständen und reformatorische Bestrebungen zwar keine Massenbewegung, aber doch verbreiterter waren als man gemeinhin annimmt. Manuel de León de la Vega schreibt in der Vorrede seines erwähnten Buches:
„ ...ohne Zweifel lassen die bewahrten Fälle (der Inquisitionsprozesse) und ins Verhältnis (zu den unentdeckten und nicht bewahrten Fällen) gesetzt, überraschenderweise annehmen, dass es im 16. Jahrhundert zehn mal mehr Evangelische gab als im heutigen Spanien“.
Das richtet sich gegen spanischer Historiker, die die Verbreitung reformatorischer Ideen im Spanien des 16. Jahrhunderts gern herunterspielen und mag übertrieben sein. Jedenfalls kann man seit diesem Buch mit seiner Fülle an Nachweisen und Beispielen nicht mehr bezweifeln, dass es eine nicht unbedeutende spanische Reformationsbewegung gab, zu denen Menschen von hohem intellektuellem und sozialen Rang gehörten.
Selbst unter den spanischen Abgesandten zum Konzil von Trient gab es Sympathisanten reformatorischer Lehren. Das Studium reformatorischer Schriften in diesem Kreis
führte bei dem Theologieprofessor Dr. Juan Morillo zur Hinwendung zum Protestantismus calvinistischer Prägung. Er starb um 1555 im Exil in Frankfurt. Morillo gehörte zum Kreise des
Erzbischofs von Toledo, Bartolomé de Carranza (1503-1576), einem dominikanischen Theologen, der die Gunst Karls V. und Philipp II. besaß und großen Einfluss auf das Konzil hatte. Das
alles ersparte dem Erzbischof nicht, dass er von seinem Rivalen, dem Generalinquisitor Valdés, auf Grund von Aussagen in seinen Schriften der lutherischen Ketzerei bezichtigt wurde. Das geschah
im Zusammenhang mit den Festnahmen der Inquisition in Valladolid. Carranza verbrachte 17 Jahre in harter spanischer und römischer Gefangenschaft, bis er dann endlich - kurz vor seinem Tode -
durch einen Papst freigesprochen wurde.
Ein Ausblick - Der mühsame Weg zur religiösen Toleranz wurde in Spanien abgeschnitten
Die reformatorische Bewegung in Spanien wurde durch die politischen und kirchlichen Machthaber dauerhaft zum Schweigen gebracht – anders als in anderen europäischen Ländern.
Gerechterweise muss man sagen, dass im 16. Jahrhundert auch in den protestantischen Herrschaftsgebieten die Dissidenten massiv verfolgt wurden. Das betraf auch
spanische Exilanten.
Ein krasser Fall ist das Schicksal des aus Aragonien stammenden Miguel Serveto y Reves (Michael Servetus / 1511-1553). Der in vielen Wissenschaften bewanderte Servet bestritt die Dreieinigkeit Gottes und geriet damit in Widerspruch zur katholischen und protestantischen Lehre [Buch:"De Trinitatis Erroribus"/"Über die Irrtümer der Trinität(-slehre), 1531]. Sein Argument war: "In der Bibel gibt es keine Erwähnung der Trinität...Wir kommen nicht durch unsere stolzen philosophischen Konzepte zur Gotteserkenntnis, sondern durch Christus." Jesus ist für ihn Mensch, aber auch "Gottes Sohn", insofern, als sich in ihm Gottes Wort und Geist inkarniert hat; er ist jedoch nicht göttliche Person. Servet zieht auch aus der Geschichte Spaniens im Umgang mit Juden und Muslimen Lehren. Er will mit seiner Ablehnung der Trinitätslehre zum Dialog der Religionen beitragen. Eine Übereinkunft könne dann gelingen, wenn alle an den einen Gott glauben.
Auf der Flucht vor der Inquisition in Lyon - er war in Vienne als Leibarzt eines Erzbischofs tätig - machte er in Genf Halt. Bei einem Gottesdienstbesuch
erkannte ihn der Genfer Reformator Calvin und veranlasste seine Festnahme. Calvin kannte die theologischen Schriften und Positionen Servets - beide hatten mitinander korrespondiert - und lehnte
sie scharf ab. Der Genfer Magistrat machte Servet den Prozess wegen seiner "monströsen" theologischen Abweichungen. Calvin trat als Gutachter auf. Servet wurde, "um die Kirche Gottes von solcher
Ansteckung zu reinigen", zum Feuertode verurteilt. Der nicht zum Einlenken bereite Gelehrte starb qualvoll in Flammen, mit ihm verbrannte sein Buch "Christianismi Restitutio" ("Die Erneuerung des
Christentums"). Seine letzten Worte waren: "Jesus, du Sohn des ewigen Gottes, habe Gnade mit mir." Wenige Monate später wurde sein Abbild von der spanischen Inquisition dem
Scheiterhaufen übergeben.
Michael Servetus - Porträt, offenbar Johannes Calvin - Porträt (nach einem zeit-
nach seinem Tode (Verbrennung genössischen Ölgemälde)
im Hintergrund)
Ein Wort Servets: "Ich stimme in keinem Ding zu oder nicht zu, weder der einen, noch der anderen
Partei. Denn es scheint mir, das alle ein Teil Wahrheit besitzen, aber auch zum Teil im Irrtum befangen sind. Aber jedermann erkennt den Irrtum des anderen, doch nicht den eigenen." ( aus:
"Christianismi Restitutio", 1553)
Calvin: "Ein Hund bellt, wenn sein Herr angegriffen wird. Ich wäre ein Feigling, wenn ich dann noch schweigen würde, wenn Gottes Wahrheit
angegriffen wird."
Die Hinrichtung eines Protestanten durch andere Protestanten auf Grund von Glaubenfragen löste manche Zustimmung in der evangelischen Welt aus, fand aber auch Widerspruch. So wandte sich der in Basel lebende französische Humanist und Theologe Sebastian Castellio (Châteillon) - einst stand er an der Seite Calvins - in Schriften gegen das Genfer Urteil und forderte religiöse Toleranz, auch gegen "Häretiker" ("De haereticis, an sint persequendi..." / "Von den Häretikerrn, ob sie zu verfolgen seien", 1554 unter dem Pseudonym Martinus Bellius veröffentlicht). Castellio entgegnete Calvin, der die Tötung Servets in einer Schrift gerechtfertigt hatte:
"Einen Menschen töten, heißt nicht eine Lehre schützen, sondern ist die Tötung eines Menschen." ("Contra libellum Calvini")
Er meinte, man hätte Servet mit Argumenten und Schriften widerlegen müssen. Dabei berief er sich unter anderen auch auf Luther. Es ist ja tatsächlich so, dass Luther und die reformatorische Bewegung die Forderung nach der "Gewissensfreiheit des Einzelnen" in Gang gesetzt hatten und die Reformation beruhte darauf, auch wenn Luther und andere Reformatoren darin "rückfällig" wurden. Der frühe Luther hatte gesagt:
"So sollte man die Ketzer mit Schriften, nicht mit Feuer überwinden, wie die alten Väter getan haben" Anders kämen wir nämlich "nimmermehr zur
Einigkeit". ("An den christlichen Adel deutscher Nation").
Sebastian Castellio (Bild: wikimedia) und seine Schrift "De hereticis..." (Deutsche Übersetzung, Strassburg 1555 - Quelle:www.castellio.unibe.ch,
Zitate)
Worte Castellios: "Die Menschen sind so sehr von ihrer eigenen Meinung oder vielmehr von der falschen Gewißheit, die sie von ihrer Meinung haben, überzeugt, daß sie hochmütig die andern verachten; aus diesem Hochmut entstehen die Grausamkeiten und Verfolgungen, so daß keiner den andern mehr dulden will, sobald er nicht einer Ansicht mit ihm ist, obwohl es doch heute fast ebenso viele verschiedene Meinungen wie Menschen gibt. Dennoch findet sich nicht eine einzige Sekte, die nicht alle anderen verurteilte und nicht allein herrschen wollte." "Dulden wir einer den andern und verurteilen wir nicht den Glauben eines andern!" ("De haereticis...") Zitiert aus: Stefan Zweig: Castellio gegen Calvin - ein Gewissen gegen die Gewalt, 1936, Neuausgabe Berlin 2016, S.108 f.)
Nach den Exzessen des 30-jährigen Krieges, der ja auch ein (vergeblicher) Versuch war, die Streitigkeiten unter den "Religionsparteien" mit kriegerischen Mitteln zu
lösen, wuchs die Einsicht, dass die konfessionelle Gewalt beendet werden müsse. Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 beginnt die Epoche der säkularisierten Staaten mit religiöser
Toleranz. Religiöse Freiheit, Gleichberechtigung der Religionen und religiöse Toleranz waren Ideen, die in der „Aufklärung“ ihren Höhepunkt fanden und dann schrittweise in Nordamerika und den
europäischen Ländern ihre konstitutionelle Verwirklichung fanden. Nicht zuletzt waren es von der Reformation ausgehende religiöse Gruppen, die diese Werte in die Diskussion einführten. Spanien
blieb bis ins 19. Jahrhundert davon - bis auf kurzfristige Ansätze - weitgehend unberührt. Immer wieder wurde dort das Rad der Geschichte zurück gedreht.
Die „Aderlässe“ der Vertreibung der Juden, Morisken und Protestanten haben Spanien schweren Schaden zugefügt und neben den wirtschaftlichen Folgen – Philipp II.
musste mehrfach den Staatsbankrott erklären - zur Jahrhunderte währenden Abschnürung des Landes von der geistigen und gesellschaftlich-politischen Entwicklung Europas beigetragen. Der Glanz des
„Goldenen Zeitalters“ Spaniens kann seine Schattenseiten nicht überstrahlen.
Erst im 19. Jahrhundert konnte sich wieder evangelisches Leben in Spanien regen. Dies wird in einem 2. Teil dargestellt werden.
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