05.05. 2016: Lloret de Mar - die wenig bekannten und poetischen Seiten entdecken

Bei Lloret de Mar denken die meisten an Horden von jungen Touristen, die lautstark von Diskothek zu Diskothek, von Party zu Party ziehen, an überfüllte Gassen, Strände, Restaurants, eine von Apartmenthochhäusern geprägte Stadtlandschaft… kurzum an die Schattenseiten des Massentourismus an der Costa Brava. Heute bemüht sich die Tourismusbehörde von Lloret sehr, andere Seiten des Ortes herauszustellen. Wir haben die Stadt in einer Zeit besucht, in der sie noch nicht überlaufen ist. Und wir haben ruhige Ecken und Orte aufgesucht und gefunden, die uns gefallen haben.

 

Der erste dieser Orte war der Jardí Botànic de Santa Clotilde. Die Anfahrt durch die zersiedelte Hügel-Stadt und durch das Verkehrsgewühl der zum Zentrum führenden Straßen zeigt die weniger schönen Seiten Llorets. Die Gärten liegen außerhalb und man parkt in ruhigen Seitenstraßen. Schon auf dem Fußweg zum Eingang empfängt einen grüne Mittelmeervegetation und meist steigen nur wenige Menschen zum Eingangstor empor.

 

Die Gärten von Santa Clotilde – ein paradiesischer Ort

Man tritt in die Gärten ein und ist in einer anderen, nahezu paradiesischen Welt. Hohe Bäume, Pinien, Zedern, Zypressen und Hecken umsäumen die Wege. Der Blick schweift zunächst nicht weit, sondern richtet sich auf den Weg, der sich zu kleinen Plätzen öffnet. Bald entdecken wir Lorbeerbüsche, die daran erinnern, dass Lloret von ihnen seinen Namen hat: Laureatum, der Lorbeer umkränzte Ort; so haben die Römer wohl die Ansiedlung in ihren Zeiten genannt. Durch die beschränkte Sicht und die verschlungenen Wege meint man, in ein Labyrinth geraten zu sein. Schließlich gelangt man an einen runden, Bank umstandenen Platz, der Plaça de les Sirenes. Man glaubt sich in einem grünen Amphitheater. Treppen, von höher gelegenen Wegen unterbrochen, führen nach oben. Das ganze Gelände ist terassenförmig angelegt. Das Rot der Terrakotta-Stufen bildet mit den hellen kiesbedeckten Wegen und dem Grün der Hecken und des Efeus an den Treppen einen harmonischen Farbzusammenklang.   

 

Der Aufgang zur mittleren Treppe wird von zwei kupfernen Figuren gesäumt, anmutigen Meerjungfrauen, die dem Platz den Namen gegeben haben. Sie stammen von Maria Llimona i Benet, der Tochter des berühmten katalanischen Bildhauers Josep Llimona und Gattin des Malers Domènec Carles (beide lebten zeitweilig in einem Gebäude des Gartens). Die erhobenen Arme der „Sirenes“ scheinen das Meer, das hinter dem Platz aufschimmert, zu grüßen. Blickt man die Treppen hinauf, sieht man weitere Statuen herabblicken. Das schafft eine antike Stimmung.

Unsere Gruppe auf der Plaça de les Sirenes
Unsere Gruppe auf der Plaça de les Sirenes

Ein Adliger widmet den Garten seiner Frau

 

Unsere Gruppe nimmt im Schatten der Büsche auf den Bänken Platz. Andere Gruppen gehen, und jetzt ist es an der Zeit, von der Geschichte des Gartens zu erzählen. Das Gelände war ehemals von Weinbergen bedeckt, deren Wachstum mühsam der trockenen Umgebung abgerungen wurde. Das Land wurde von einem Adligen aus Barcelona erworben: von Raúl Roviralta y Astoul, Marqués de Roviralta de Santa Clotilde  (der letzte Adelstitel – de Santa Clotilde - wurde ihm vom Papst 1951 verliehen). Der Marqués (1891-1979) war Kinderarzt, Apothekenbesitzer, Pharmazieproduzent, begeisterter Botaniker, Antikenfreund, Kunstsammler…Auf seinen Reisen hatte er die Villa d´Este in Tivoli nahe Rom kennen gelernt und war von der Anlage angetan. Die Villa mit kunstvoll angelegten Gärten war ab 1560 von einem Kardinal d´Este in Auftrag gegeben worden, ein Meisterwerk der Renaissance-Architektur und - Gartenbaukultur entstand.

 

Raúl Roviralta gab 1919 einem jungen Architekten – Nicolau Maria Rubió i Tudorí – den Auftrag, einen ähnlichen Garten zu entwerfen. Rubió war 1917 zum Direktor der Parks und Gärten in Barcelona ernannt worden. Der Garten bei Lloret sollte in Einklang mit der umgebenden Landschaft – der Mittelmeervegetation, den Felsen, dem Meer, angelegt werden, auch im Geiste des Noucentisme, jener katalanischen Kunst- und Stilrichtung zu Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich wieder auf  die Antike und heimatliche Traditionen, auf klassische Formen, einfache, symmetrische  Linien und geordnete, harmonische Gestaltung zurückbesinnen wollte. Rubió war ein Vertreter dieser Stilrichtung in der Gartenarchitektur, die er auch in anderen bekannten Anlagen verwirklichte.

 

Später – zu unseren Zeiten – entstand ein Streit, von wem nun die Anlage der Jardins de Santa Clotilde eigentlich stammt, von dem Architekten oder dem Marqués. Die zweite Frau des Markgrafen hatte im hohen Alter in einer Zeitungszuschrift bestritten, dass Rubió bei der Ausführung des Gartens eine große Rolle gespielt habe und ihrem Mann und dem Malerfreund Carles die hauptsächliche Urhebenschaft zugesprochen. Es gilt aber als sicher, dass die grundlegenden Pläne und die prinzipielle gärtnerische Gestaltung von Rubió i Tudorí stammen, Zeichnungen existieren heute noch. Es ist aber auch auch klar, dass die Ausführung der Pläne und die weitere Gestaltung des Gartens dem Marqués oblagen.

 

Raúl Roviralta y Astoul wollte den Garten als romantischen Rückzugsort für seine erste Frau Clotilde Rocamora y Rosés (1894-1925), sich und ihre Kinder anlegen. Doch die schöne Dona starb schon im Alter von 31 Jahren, als sich der Garten noch im Anfangsstadium befand. Sie ließ ihren Gatten mit vier Kindern zurück. Der Garten bewahrt in seinem Namen ihr Andenken. Ihre Namenspatronin, Santa Clotilde, war übrigens eine merowingische Prinzessin und Königin (5. Jahrhundert), die dafür sorgte, dass die Merowinger vom arianischen zum katholischen Glauben wechselten, sich also konfessionell dem Papst unterstellten.

 

Heute sind die Gärten von Santa Clotilde im Besitz der Gemeinde Lloret. Im Alter – in Südamerika lebend – hat der Marqués sie der Stadt überschrieben, im Tausch gegen Baurechte an anderen Stränden, wo heute Apartmenthochhäuser die Natur verunzieren.

  

Raúl Roviralta y Astoul, Marqués de Roviralta de Santa Clotilde und Clotilde de Rocamora y Rosés

Die Gärten – Szenerie für die Liebesgeschichte von Apollo und Daphne?

 

Nach diesem Blick auf die Entstehungsgeschichte der Gärten wandern wir weiter zu einem Mirador. Hier blickt man auf das Meer und den Strand La Boadella hinab – ein einmaliger Ausblick! Noch einmal wird klar, wie wunderbar gestaltet der Garten in der Umgebung  liegt. Sicher einer der schönsten Orte an der Costa Brava! Dann geht es steile Treppen hinauf zu einem weiteren Platz, von dem aus auf die Weite des Mittelmeeres geblickt wird. Oben führt der Weg zu einer Brunnenanlage. Sie erinnert deutlich an den großen Brunnen in der Villa d´Este, auch wenn sie wesentlich bescheidener ausgefallen ist. Über einem kaskadenartig herabstürzenden Springbrunnen erhebt sich eine  von einer kleinen Puttenfigur (Amor?) umschlungene Frauenstatue.

Oben: Blick auf Sa Boadella. Mitte: Brunnen Santa Clotilde. Unten: Brunnen Villa d´Este (wikimedia commons - Bild: dnalor01)

Soll die Figurengruppe an die Liebesgeschichte von Daphne und Apollo in der griechischen Mythologie erinnern, die Ovid in seinen „Metamorphosen“ erzählt? Auch andere Figuren im Park könnten auf diese Geschichte hinweisen. Entzündet von einem Liebespfeil Amors, den er verspottet hatte, verliebt sich Apollo in die jungfräuliche Bergnymphe Daphne (griechisch: Lorbeer). Diese – von einem entgegenwirkenden Pfeil Amors getroffen - flieht ihn und fleht ihren Vater, den Flussgotte Peneios, an, ihren lieblichen Leib in eine weniger attraktive Gestalt zu verwandeln. Als Apollo sie umarmen will, verwandelt sie sich in einen knorrigen Lorbeerbaum. Seitdem ist der Lorbeer dem Apollo heilig. Schriftsteller der katalanischen „Renaixenca“ haben gerne antike Sagen in ihre Heimat verlegt, so hat man auch Lloret zur Heimat von Daphne erklärt. Vielleicht hat auch Raúl Roviralta, als er den Garten mit Frauen- und Amorgestalten schmückte, an seine Liebe gedacht, die er durch den Tod verlor und der er in dem Garten ein Denkmal setzte.

 

John William Waterhouse, Apollo und Daphne, 1908
John William Waterhouse, Apollo und Daphne, 1908

Hinter dem Brunnen, von Bäumen und Büschen ziemlich der Sicht entzogen, erhebt sich die im noucentistischen Herrenhausstil errichtete Villa, die Raúl Roviralta 1933 errichten ließ. Sie ist immer noch im Besitz der Familie und dem Zugang der Öffentlichkeit entzogen, es sei denn, man ist in der Lage, eine Feier dort zu bestellen und zu bezahlen.

 

Bei unserem weiteren Rundgang haben wir von oben schöne Ausblicke auf die Anlagen, wir blicken und schreiten jetzt die Treppen hinunter,  kommen an manchen antiken Figuren und Figurengruppen vorbei ( der Marqués hat sie auf seinen Reisen gesammelt) und können uns der Stimmung dieses Gartens hingeben, der ja wie alle berühmten Gärten in Orient und Okzident eine Ahnung des Paradieses vermitteln will – hier eine von der Antike und der Renaissance inspirierte mediterrane Traumlandschaft.

 

Die Geschichte Llorets wird lebendig – das Meeresmuseum

 

Wir kehren zum Eingang zurück. Wir fahren in das Zentrums Llorets und parken auf dem großen Parkplatz am Ende der Strandpromenade. Die Bucht, in die sich der alte Fischerort Lloret hinein schmiegt, ist zwischen zwei Hügelzüge gelagert. Links auf den Hügel fällt das Castell d´en Plaja auf, im Stile einer mittelalterlichen Burg ab 1935 von dem Industriellen Narcís Plaja errichtet. Auf dem Hügel zur rechten Seite krönt der Turm der alten Burg Sant Joan die waldbedeckte Erhebung. Sie geht auf das 11. Jahrhundert zurück. Wir marschieren die palmenumsäumte prächtige Strandpromenade entlang, die ziemlich belebt ist. Wir machen am Museu del Mar Halt. Dies ist in einer schönen alten neoklassizistischen Villa untergebracht, der Casa Garriga. Sie legt Zeugnis vom Unternehmungsgeist und Erfolg mancher Lloretenser ab, die im 19. Jahrhundert in die südamerikanischen Kolonien, vor allem Cuba, auswanderten, es dort zu Wohlstand brachten und zurückgekehrt in ihren Heimat diesen zur Schau stellen konnten

Zurück in die Vergangenheit - So sahen sie aus, die "Americanos"
Zurück in die Vergangenheit - So sahen sie aus, die "Americanos"

Die Brüder Garriga i Mataró schifften sich 1860 nach Cuba ein und eröffneten dort eine Baustoffhandlung. Sie hatten damit Erfolg und so konnten sie 1887 den Auftrag zum Bau ihres neuen Familiensitzes im Heimatort erteilen, wie andere Reiche in vorderster Front. Einige der Räume mit der alten Ausstattung sind erhalten und lassen die gepflegte Atmosphäre ahnen, mit der sich diese reich gewordenen „Indianos“ oder „Americanos“ umgaben. Sie brachten auch manches aus den Kolonien mit, Baustil, Möbel und auch die Palmen, mit denen sie die Promenade, die zu ihren Zeiten entstand,  bepflanzten.

Porträts eines "Americano"-Ehepaares
Porträts eines "Americano"-Ehepaares

Die Brüder Garriga i Mataró schifften sich 1860 nach Cuba ein und eröffneten dort eine Baustoffhandlung. Sie hatten damit Erfolg und so konnten sie 1887 den Auftrag zum Bau ihres neuen Familiensitzes im Heimatort erteilen, wie andere Reiche in vorderster Front. Einige der Räume mit der alten Ausstattung sind erhalten und lassen die gepflegte Atmosphäre ahnen, mit der sich diese reich gewordenen „Indianos“ oder „Americanos“ umgaben. Sie brachten auch manches aus den Kolonien mit, Baustil, Möbel und auch die Palmen, mit denen sie die Promenade, die zu ihren Zeiten entstand,  bepflanzten.

 

Die übrigen Räume sind der Geschichte Llorets gewidmet. Die Ausstellungen mit ihren Dokumenten, Ausstellungstücken und medialen Aufbereitungen lassen die Vergangenheit Llorets wieder aufleben: das arme Fischerdorf, die Küstenschifffahrt mit ihrem regional begrenzten Handel, den Bau großer Segelschiffe für den atlantischem Überfahrten  in den Werften an den Stränden, der damit verbundene transatlantische Handel, Auswanderung und Rückkehr, die Epoche der reich gewordenen Indiano-Familien, der Niedergang durch das Aufkommen der Dampfschiffe und die Selbständigkeit der Kolonien, das Zurücksinken in ein von der Landwirtschaft lebendes Dorf…Das ist alles sehr lebendig und anschaulich dargestellt, aber es wird auch deutlich, dieses Lloret ist vergangen, der in den 50-ziger Jahren des 20. Jahrhunderts aufkommende Tourismus hat Lloret völlig verändert. Wie gesagt: die Tourismuswerbung der Stadt bemüht sich, das kulturelle Erbe herauszustellen und von dem Ruf einer Disko- und Billigurlaubsstadt wegzukommen. Aber die jungen Besucher aus aller Welt, die zeitweilig in Massen nach Lloret strömen, suchen „fun“, „alcohol“ und „sex“ , die übrigen sind an Strand, Sonne, Meer, Essen und sonst wenig mehr interessiert. Nicht ganz abwegig ist eine drastische Anekdote, die in Lloret erzählt wird: junge „Guiris“ (ausländische Touristen) fahren in ihrem Cabrio an einem alten, offensichtlich früher von der Landwirtschaft lebenden Loretencer vorbei, halten an und fragen ihn herablassend: „Wovon lebt ihr hier eigentlich?“ Die Antwort ist: „ Früher lebten wir von den Schweinen, heute leben wir von Euch.“

 

Das alte Lloret de Mar: meer- und schiffsverbunden

Frühere Zeiten: Fischer in Loret vor ihrem Fang. Unten: Zwei Gemälde von Malern, die mit Lloret verbunden waren (nähere Angaben beim Anklicken der Bilder)
Frühere Zeiten: Fischer in Loret vor ihrem Fang. Unten: Zwei Gemälde von Malern, die mit Lloret verbunden waren (nähere Angaben beim Anklicken der Bilder)

Drassanes (Werften) am Strand von Lloret Mitte / zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ( Zeichnungen von Joan Llaverías - Quelle: Quaderns d´Història de Lloret 5/16, Les drassanes de la vila

 

Wir machen einen Rundgang durch die Straßen und Gassen des Ortes und stellen fest: die alten Fischerhausreihen, die Stadtpaläste der „Indianos“, sind bis auf wenige Ausnehmen durch gesichtslose Hotels und Apartmenthochhäuser ersetzt, in der  „Hauptstraße“, der „Carrer de la vila“ reiht sich ein Souvenir- und Billigladen an den anderen mit den immer gleichen „typisch spanischen“ Artikeln, wenngleich es in den Seitenstraßen auch einige nette Boutiquen gibt. Mühsam entdecken wir hin und wieder, vor allem in engen, wenig einladenden Nebengassen, einige zwischen den modernen Bauten eingeklemmte alte und typische Häuser. 

 

Wir suchen eine halbwegs bodenständige Bar, wo wir gerne einen „Daiquiri“ zu uns genommen hätten. Der „Daiquiri“, ein Cocktail auf der Grundlage von weißem Rum mit Rohrzucker, Limettensaft, süßem Likör und Eis, wurde nämlich von dem aus Lloret stammenden Barkeeper  Constantí Ribalaigua (1888-1952) in der  Bar „El Floredita“ in Havanna „erfunden“. Dort hat ihn auch Hemingway eingenommen (ohne Zucker!). Von Havanna aus  soll der Cocktail nach Lloret  „zurückgewandert“ sein. Wir trafen eine Menge „Bars“ an, englische, mexikanische, französische, deutsche…, aber keine „kubanisch-lloretinische“, und nirgends konnte man uns einen Daiquiri kredenzen (eine Werbeschrift Llorets gibt aber einige Lokale an, wo man diesen - wohl abends - bekommen kann).

 

Der Daiquiri und seine Zutaten. Rechts: Hemingway in der Bar El Floredita

 

Wie uns schien: Lloret hat große Teile seiner geschichtliche Identität an die Tourismusbranche verkauft. Dies trifft auch auf andere Städte der Costa Brava zu, aber hier tritt das besonders auffällig zu Tage. Es gibt aber noch „Juwelen“ aus der Vergangenheit Llorets in der Stadt und in der Umgebung zu besichtigen. Davon später.

 

Vorerst haben wir Hunger. Ich habe ein kleines Restaurant in einer Gasse nahe der Placa d´Esglesia ausgesucht, wo ich für unsere Gruppe Plätze reservieren ließ. Die spanische Wirtin begrüßt und bedient uns sehr freundlich, der große Salatteller ist frisch, die Fleisch- und Fischgerichte reichlich und vorzüglich. Tapas zu Beginn und Eis zum Nachtisch gibt es kostenlos.  Da kommt kein Neid auf die feinen, überfüllten und teuren Restaurants an der Strandpromenade auf, bei denen man zwar eine schöne Aussicht, aber möglicherweise weniger Freundlichkeit und Qualität genießt!

 

Ein Modernisme-Juwel: die Kirche Sant Romà

 

Nach dem Essen geht unser „Kulturspaziergang“ weiter. Leider ist die Gemeindekirche Sant Romà jetzt in der Mittagszeit geschlossen. Aber auch von außen ist sie eines der „Juwelen“ Llorets. Eigentlich ist die aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts stammende Kirche im katalanisch-gotischen Stil errichtet. Doch ihre Seitenwände erstrahlen im „modernistischen“ Stil, mit bunten Bändern aus Kachelstücken („Trencadís“), eingelegten hellen und unregelmäßigen Stein-Fliesen und – das Dachgeschoß umlaufend - Mosaikbildern der 12 Apostel. Die bunte Front erinnert sehr an Mudéjar-Kirchen.  Ganz modernistisch sind die Seitenkapellen: die prachtvolle Sakramentskapelle mit ihrer an eine byzantinisch-orthodoxe Kirche erinnernde geometrisch-farbig verzierte Kuppel und ihren aufgesetzten oktogonalen Türmchen sowie die auf der anderen Seite der Kirche liegende Taufkapelle, ebenfalls mit Kuppel. Sofort denkt man an Gaudí und in der Tat war der Architekt Bonaventura Conill i Montobbio (1876 -1946) Schüler Gaudís. Bonaventura Conill war Nachkomme von Lloreter Bürgern. 1910 bis 1916 leitete er die Renovierung der Kirche und die Errichtung der Kapellen, was natürlich vor allem von den reichen „Indianos“ finanziert wurde. Wir werden diesem mit Lloret verbundenen Architekten wieder auf dem modernistischen Friedhof begegnen, wo er verschiedene Grabmäler errichtete.

 

Figur an einer Wand des "Pfarrhofes"
Figur an einer Wand des "Pfarrhofes"

Wir betreten den reizvollen ehemaligen „Pfarrhof“, in dem die Geistlichen der Kirche lebten. Auch eine Gemeindeschule war hier angeschlossen. Dieses Ensemble ist ebenfalls im Stil des Modernisme gehalten, und vom Hof aus bietet die Kirche und die Taufkapelle einen fotogenen Anblick.

 

Ich hatte bei der Vorreise die Gelegenheit, das Innere der Kirche und der Kapellen zu betreten. Die Innenräume der Kirche und der Kapellen waren wie ihr Äußeres modernistisch gestaltet. Im Bürgerkrieg -1936 – fielen aber die Innenausstattungen der Brandstiftung und Verwüstung durch radikale Republikaner zum Opfer. Heute präsentieren sich das Kirchenschiff und die Kapellen weitgehend in ihrer schlichten architektonischen Struktur, die besonders im Säulenrund der Sakramentskapelle mit ihrer lichten rosafarbenen Kuppel reizvoll wirkt. Im Chor der Kirche fallen eine modernere Licht umgebene Marienfigur – umgeben von etwas süßlichen Malereien zum Marienleben – und eine Kreuzigungsskulptur auf. 

 

Vom Inventar des 16. Jahrhundert wurden neun Tafeln eines Altar-Retabels gerettet, die sich in der Taufkapelle befinden. Sie stammen von dem Maler Pere Serafí, genannt „Lo Grec“ („der Grieche“), wohl wegen seines Renaissance-Orientierung so genannt. Die Tafeln stellen Szenen der Passion Jesu und des Martyriums Sant Romàs dar. Der Soldat Romanus erlitt das Martyrium in Antiochien in den diokletianischen Verfolgungen (258). Er ist der Patron Llorets; ihm zur Seite steht Santa Christina, ebenfalls eine Märtyrerin des 3. Jahrhunderts. Sie, die vor allem von den Fischern verehrt wurde, verfügt über eine eigene, schön gelegene barocke Kapelle außerhalb Llorets, zu der jährlich eine Schiffswallfahrt stattfindet. Ihre Darstellung erblicken wir auch im Pfarrhof der Kirche.

 

Inneres der Kirche und der Seitenkapellen

Die geistlichen Schutzpatrone von Lloret: Szenen aus dem Martyrium von Sant Romà:

Santa Christina - Kachelbild an einer Wand des "Pfarrhofes":

 

 

 

 

Joan Llaverìas:

Meeresprozession nach der Kapelle Santa Catarina

Von der Kirche aus machen wir einen Abstecher zum 1872 in neoklassischem Stil errichteten Rathaus – auch einem Zeugnis der prosperierenden Zeit des Amerika-Handels. 

Rathaus Lloret
Rathaus Lloret

Auf dem Rückweg zum Parkplatz biegen wir in eine Seitengasse ab, wo wir „Es Tint“ aufsuchen. Im Haus der Fischerei-Bruderschaft wird dargestellt, wie die Fischer ihre Netze mit einem braunen Pinienrindensud färbten (um sie haltbarer und weniger sichtbar zu machen).

Blick in Es Tint
Blick in Es Tint

 

Was von den reichen „Indianos“ blieb – der „Modernistische Friedhof“

 

Eingang des "modernistischen" Friedhofes
Eingang des "modernistischen" Friedhofes

Wir fahren aus dem Zentrum hinaus zum zum „Cementerio Modernista“. Die schönen Häuser der „Indianos“ sind zum größten Teil verschwunden. Aber ihre „Totenstadt“ blieb erhalten. (die Tourismusbranche machte ihnen diese Stätten offenbar nicht streitig!).

 

1892 wurde der Architekt Artau i Fàbregas beauftragt, einen neuen würdigen Friedhof für die im Kolonialhandel reich gewordenen Bürger zu schaffen. Schon das monumentale Eingangstor drückt Standesbewusstsein aus. Wir durchschreiten es und  befinden uns auf einer Straße, die zur Hauptkapelle führt. Rechts und links erstrecken sich in Reihen prächtige Grabmonumente. Das sind nun nicht die für spanische Friedhöfe typischen Massensilos, in deren einzelne Nischen man die Särge oder Urnen schiebt – die gibt es in anderen Abteilungen des Friedhofes auch - nein, hier hat jede Familie ihr eigenes individuelles „Hypogäum“ (unterirdisches Grabgewölbe) mit oberirdischer kunstvoller Gestaltung oder ihr kleines „Pantheon“ (Totenhalle). 

 

Wie die Häuser der „Indianos“ sind die Grabmäler im modernistischen, noucentistischen, neoklassischem oder neogotischen Stil gehalten. Anscheinend wird die Klassenordnung auch nach dem Tode beibehalten. Die Toten-Behausungen in den vordersten Reihen sind die aufwendigsten, nach hinten, an den Seiten- und Parallelwegen, werden sie bescheidener. Ganz hinten, in diesem Friedhofbereich der reichen und bedeutenden Familien Llorets, befinden sich „Reihengrabmäler“, aber auch diese neogotischen Kapellchen, die eine zusammenhängende Reihe bilden, sind kunstvoll und mit individuellen Abweichungen gearbeitet.

 

Gleich am Anfangs, links vom Eingang, befindet sich das auffälligste, gewaltigste, geradezu "protzige", Grabmonument: das „Panteón Esqueu i Villalonga“, ausgeführt von Conill i Conobbio 1909. Aus einem steinernen Parabolbogen wächst ein große Kreuz empor, das die Inschrift trägt: „Ego sum vita“ („Ich bin das Leben“). Darunter ringelt sich ein Drache um das Grabgewölbe. Er trägt eine Tafel mit der Aufschrift „Lex“ („Gesetz“). Offenbar soll die Gestaltung den paulinischen Gegensatz von „Gesetz“ und „Evangelium“ ausdrücken: Das „Gesetz“, die religiösen und gesellschaftlichen Verhaltensvorschriften, „töten“, das „Evangelium“, die Botschaft von Jesus Christus, macht „lebendig“.

 

Viele Grabmäler zeigen Frauengestalten, manchmal engelhaft, mit trauend gesenktem Kopf, oder zum Himmel gewandten Aufblick, oft mit geschlossenen Augen. Die Symbolik ist deutlich: sie drücken Trauer oder Hoffnung aus, die geschlossenen Augen verklären den Tod als Schlaf.

 

Man kann lange umherwandern, in dieser Stadt der Toten, die viel vom Leben und den Vorstellungen der Menschen erzählt, die hier ihre letzte Ruhestätte fanden. Wir konnten das in Ruhe tun, denn anscheinend finden nur wenige der Besucher Llorets hierher.

 

Reichtum und Glaubensbekenntnis: über den Tod hinaus zur Schau gestellt - Pantheon Esqueu i Vilalonga von Conill i Conobbio. (Die Gruft ist unter dem oberirdischen Grabmal)
Reichtum und Glaubensbekenntnis: über den Tod hinaus zur Schau gestellt - Pantheon Esqueu i Vilalonga von Conill i Conobbio. (Die Gruft ist unter dem oberirdischen Grabmal)
Hypogäum Durall i Surís von Conill i Montobbio 1903
Hypogäum Durall i Surís von Conill i Montobbio 1903
Wieder zum Ausgang: ein erstaunlicher Friedhof!
Wieder zum Ausgang: ein erstaunlicher Friedhof!

Mit dieser Station war unsere Entdeckungsreise nach Lloret beendet, mehr Zeit konnten wir nicht aufwenden. Es gäbe aber noch mehr „wenig bekannte und poetische Orte“ in und um Lloret zu entdecken: am Rande des älteren Stadtgebiete das Can Sarragossa, ein altes, modernistisch erneuertes Herrenhaus, das das Museum für iberische Archäologie in sich birgt und eine Sammlung von Werken des mit Lloret verbundenen  Malers Joan Llaverías i Labró (1865-1938), weiterhin Kapellen und Einsiedeleien um Lloret, die Burg Sant Joan, die iberische Ausgrabungsstätte Puig de Castellet, das zum Hotel-Restaurant umgewandelte Kloster Sant Pere del Bosc...und manches andere. Wir haben jedenfalls den Ausflug nach Lloret nicht bereut.

 

Joan Llaverías, Regatta