Ein designierter spanischer König reist durch Deutschland – Karl III. auf dem Weg nach Spanien (1703)

1703 macht sich in Wien ein junger Mann auf die Reise, um in Spanien sein Amt als König anzutreten. Er bricht zu einem Abenteuer mit unsicherem Ausgang auf. Es ist der 18-jährige Carolus Franciscus Josephus Wenceslaus Balthasar Johannes Antonius Ignatius, Erzherzog von Österreich, der zweite Sohn Kaiser Leopolds I. und dessen dritter Gemahlin Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg. Seine Reise nach Spanien führt ihn auch durch deutsche Territorien und Städte.

 

Das Unternehmen war folgenreich für Spanien, Katalonien, aber auch ganz Europa. Wir sind seinen Spuren nachgegangen.

Karl III. auf seiner Reise durch Deutschland nach Spanien
Karl III. - als Feldherr und Organisator in Spanien / Francesco Solimena 1707

Die Vorgeschichte

 

An das achtzehnte Jahrhundert

 

Mit Kriegen fiengst du an, mit Kriegen endest du,

Mit Säbel- und mit Federkriegen...

 

Das Reich der Tugenden, das Reich

Der Wissenschaften lag vor euch,

Und ihr erwähltet Waffen!

 

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (*1719 +1803 in Halberstadt)

 

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts ziehen große Kriege die Menschen in Europa in Mitleidenschaft. Die Großmächte Europas, Frankreich, die habsburgische Herrschaft und England streiten um die Vorherrschaft, zu Lande und zur See. Jede dieser Mächte sucht ihren Einfluss zu erweitern, ist aber auch bemüht, den Einfluss einer der anderen Parteien nicht übermächtig werden zu lassen. Die Auseinandersetzungen werden diplomatisch geführt, doch wenn auf diese Weise keine Einigung erzielt wird, greift man zu kriegerischen Mitteln. Um die eigene Position zu stärken, werden Verträge abgeschlossen und Koalitionen eingegangen. Es ist das Zeitalter großer Königs- und Fürstenpersönlichkeiten wie Ludwig XIV., Wilhelm von Oranien, Zar Peter I., August I. von Sachsen, Friedrich I. in Preußen… Sie lenken das Geschick der Völker, von ihnen und ihrem Machtapparat hängt das Wohl und Wehe ihrer Untertanen ab, sie bestimmen über Krieg und Frieden. Sie verstehen sich als souverän und absolut, treffen die letzten Entscheidungen. Die Menschen Europas blicken auf ihre Könige und Fürsten, auf deren Höfe, und erwarten mit Furcht oder Hoffnung, was von ihnen ausgeht.

 

Es ist nicht leicht, sich als König Geltung zu verschaffen, Macht zu gewinnen und zu behalten. Auch absolute Herrscher sind in ein Beziehungsgeflecht eingebunden, von Beratern, Fachleuten und Ausführenden abhängig, auf die Loyalität ihrer Gefolgschaft angewiesen, Intrigen ausgesetzt, dem Gelingen ihrer diplomatischen und militärischen Aktionen unterworfen. Nur mit genügend wirtschaftlich-finanziellen Ressourcen, die das Volk erbringen muss, können sie ihre Vorhaben durchführen.

 

Es ist keine einfache Aufgabe, der der junge Thronprätendent entgegenzieht. Sie ist noch dadurch erschwert, dass er einen Konkurrenten in Spanien vor sich sieht.

 

Wie war es dazu gekommen? Gemäß den Abmachungen, die sein Vater, Kaiser Leopold I., mit den mit Österreich verbündeten Mächten Großbritannien, den Niederlanden sowie Portugal getroffen hat, sollte der ältere Sohn, Joseph I., die habsburgischen Stammlande in Mitteleuropa regieren und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches werden. Karl, der jüngere, wurde dazu bestimmt, die habsburgische Herrschaft in Spanien weiterführen. Diese Abmachungen wurden von der „Großen Haager Allianz“ getroffen, um Frankreich in die Schranken zu weisen. Denn auch Frankreichs König, Ludwig XIV., erhob Ansprüche auf den spanischen Thron. Der letzte Habsburger auf diesem Thron, der schwächliche und kranke Karl II., war 1700 kinderlos gestorben. Ursprünglich war er der Auffassung, dass sein Patensohn Karl die spanische Krone erben sollte. Doch kurz vor seinem Tode hatte man ihm noch abgerungen, den Enkel Ludwigs, Philipp, Herzog von Anjou, testamentarisch als Nachfolger einzusetzen. Philipp V. war 1701 als König in Madrid eingezogen, von Granden (nicht von allen), Ständen (Cortes) und der Bevölkerung begrüßt. Nicht wenige hatten die Misswirtschaft unter dem letzten spanischen Habsburger satt.  Und von Felipe konnte man erwarten, dass er die Tradition des von Madrid ausgehenden Zentralismus und der Vorherrschaft Kastiliens in Spanien fortzuführen würde, obwohl er zunächst versprach Sonderrechte einzelner Regionen zu achten. Der Griff des von Ludwig XIV. unterstützten Bourbonen nach der spanischen Krone rief den Widerstand der in der „Großen Allianz“ vereinigten Herrscher und Länder hervor, die eine weitere Stärkung der Macht Frankreichs nicht hinnehmen wollten.

 

So brach 1701 der „Spanische Erbfolgekrieg“ aus, der ganz Europa (und auch die überseeischen Provinzen) spaltete und erfasste. Inzwischen waren weitere Länder der antifranzösischen Allianz beigetreten – unter ihnen deutsche Reichstände wie Kurbrandenburg-Preußen und (unter militärischem Druck) Braunschweig-Lüneburg. Portugal hatte darauf bestanden, dass Erzherzog Karl auf die iberische Halbinsel kommen sollte, um dort selbst den Krieg um seine Herrschaftsansprüche zu führen. Man erwartete, dass er sein Königreich „mit dem Degen in der Faust“ erringe und forderte dringend seine Ankunft in Portugal, von wo aus der Krieg mit Spanien eröffnet werden sollte.

 

In Wien zögerte der Kaiser, den „vielgeliebten“ Jüngsten abzusenden. Die Kaiserfamilie fürchtete um seine Sicherheit und (bei seinem möglichen Tod) um den Bestand der Erblinie. Schließlich rang man sich durch, Karl auf den Weg zu schicken. Der Kaiser und der ältere Sohn traten ihre Erbansprüche auf den spanischen Thron an Karl ab und übertrugen ihm in einem feierlichen Akt die Königswürde. Bei zeremoniellen Empfängen und Gastmählern empfing die neue „Majestät“ die Huldigung von Hof und Diplomaten. An die Königin von England, die niederländischen Generalstaaten und den König von Portugal wurden Briefe mit der Mitteilung der Königserhebung und Abreise gesandt.

 

Darstellung der Verleihungszeremonie des Erbrechts an Erzherzog Karl zum König von Spanien -  C. Wigel, Kupferstich um 1703 (Sammlung Schloss Schönbrunn)
Darstellung der Verleihungszeremonie des Erbrechts an Erzherzog Karl zum König von Spanien - C. Wigel, Kupferstich um 1703 (Sammlung Schloss Schönbrunn)

Der junge Habsburger machte sich also auf, um den Thron in Spanien zu erringen - nicht ohne vorher auf einer Wallfahrt den „himmlischen Segen“ für den „höchst gefährlichen Weg zu Wasser und zu Lande“ zu erbitten - als Rey Carlos III. von Spanien designiert, als „Majestät“ tituliert, aber noch ohne Land, ohne Volk und ohne Krönung. Immerhin wusste er sich gestützt von einer mächtigen Allianz, die ihn mit Soldaten und Schiffen erwarteten. Er sah sich aber auch der kriegserfahrenen Militärmacht Frankreichs und dem sich rüstenden Spanien gegenüber.

 

Der junge Regent war dem Ruf nach Spanien wohl eher aus Pflichtgefühl gegenüber dem Vater und der habsburgischen Vergangenheit als aus eigenem Antrieb und Ehrgeiz gefolgt. Carl verfügte nicht über eine herrscherliche Statur und Ausstrahlung. Zeitgenossen beschreiben ihn als von schmächtiger Gestalt, mit der charakteristische Physiognomie der Habsburger. Seine ersten Biographen schildern seinen Weg und sein Verhalten mit Hochachtung, sehen ihn geprägt von den Habsburger Herrschertugenden, erfüllt von dem Wunsche, das Beste für Spanien und später für das Reich zu leisten, aber bedrängt und behindert von eigenmächtigen Fürsten, unzuverlässigen Verbündeten und mächtigen Gegnern. Weniger freundliche Beobachter erleben ihn vom Wesen und Charakter her als introvertiert, distanziert, pedantisch, schwerfällig, oft entscheidungsschwach, von seinem Recht und seiner Würde überzeugt, geradezu hartnäckig an den habsburgischen Vorstellungen haftend.

 

Allegorische Darstellung Kaiser Karls VI. mit Wahlspruch: Durch Beharrlichkeit und Tapferkeit / 18. Jh. - Autor unbekannt
Allegorische Darstellung Kaiser Karls VI. mit Wahlspruch: Durch Beharrlichkeit und Tapferkeit / 18. Jh. - Autor unbekannt

Er hatte eine sorgfältige Erziehung in den habsburgischen Traditionen erhalten. Für einen Herrscher der damaligen Zeit war er ungewöhnlich gebildet, an Musik, Kunst, Architektur, Literatur und Wissenschaften interessiert, beherrschte mehrere Sprachen, lateinisch, französisch, italienisch, spanisch, später auch katalanisch. Er liebte aber auch die Jagd und das Billardspiel. Der 10- bzw. 11-jährige verfasste zwei Abhandlungen über die Tugenden der habsburgischen Herrscher. Bei dem jungen Kronprätendenten zeichneten sich bereits die Züge ab, die bei dem späteren Kaiser deutlich zu Tage traten: das katholisch-konservative und universalistische Herrschaftsverständnis, die Wertschätzung der Etikette und des höfischen Zeremoniells. Die Lebensführung des Kaisers war diszipliniert, die Staatgeschäfte erledigte er sorgfältig, ohne allerdings immer genügenden Überblick zu haben, er delegierte ungern, bewährten Beratern misstraute er bisweilen, anderen vertraute er blindlings.

 

Doch dass er einmal Kaiser werden sollte, war für Karl bei seinem Aufbruch aus Wien nicht abzusehen, dafür schien sein brillanter und gutaussehender Bruder Joseph weit mehr geeignet zu sein.

 

Der Aufbruch

Postkutsche des 18. Jahrhunderts in der Gegend von Wien - Postkarte der k.k. Post
Postkutsche des 18. Jahrhunderts in der Gegend von Wien - Postkarte der k.k. Post
Reisewagen zu Beginn des 18. Jahrhunderts
Reisewagen zu Beginn des 18. Jahrhunderts
Postweg bei Liebenburg im heutigen Zustand (links die Spur für Reiter)
Postweg bei Liebenburg im heutigen Zustand (links die Spur für Reiter)

Eine eigene Truppe konnte Kaiser Leopold seinem Sohn auf dessen Zug nach Spanien nicht mitgeben, die kaiserlichen Soldaten waren auf anderen Schauplätzen gebunden, in Oberitalien, in den Territorien deutscher Fürsten, die sich der französischen Allianz angeschlossen hatten…Dennoch ist es ein prächtiger Tross, der Wien am 19. September 1703 verlässt. Der Verfasser des 1617 bei Merian in Frankfurt/Main herausgegeben 16. Bandes des großen Geschichtswerkes „Theatrum Europaeum…“ schildert den Aufbruch detailreich ( S. 194 f.): 47 Wagen und 210 Pferde bildeten einen langen und wohlgeordneten Zug, 163 Begleitpersonen folgten der jungen Majestät, unter ihnen der Erzieher und spätere „Premierminister“ Karls in Spanien, der am Wiener Hof sehr geschätzte Fürst Anton Florian von Liechtenstein. Hohe österreichische Offiziere, zwei Jesuitenpatres, ein Kapellan, zwei Leibärzte, ein Apotheker, Pagen, mit Verwaltungsaufgaben betraute Personen, Barbiere,  Diener, Küchenpersonal und ein Hofzwerg „Hänsgen“ waren unter dem Gefolge. Selbstverständlich waren „Rüstwagen“ mit der „Bagage“, d.h. der Ausrüstung und dem Gepäck dabei, u.a. Verpflegung und silbernes Tafelgeschirr. Die „königliche Majestät“ reiste an der Spitze des Zuges mit vier „Kammerherren“ in einem Postwagen. Postkutschen waren besonders stabil und geräumig, Bespannt waren sie mit bis zu sechs Pferden, die die Kutsche aus jedem „Dreckloch“ unterwegs ziehen konnten. Ein Postillion ritt dem Zug voraus, ein Offizier, der darauf achten sollte, dass nichts zurückblieb, schloss den Zug ab. Vorausgegangen war ein rührender Abschied von der Kaiserfamilie und der Bevölkerung Wiens.

 

Die Reise führte zunächst über Prag nach Leipzig, Weißenfels, Halle, von dort nach Halberstadt, dann weiter nach Hildesheim, über Hameln nach Duisburg und Düsseldorf, wo die Reisegruppe am 16. Oktober ankam. Von Düsseldorf ging es per Schiff den Rhein hinunter nach Dordrecht und schließlich über Rotterdam nach Den Haag. Dort traf man am 3. November ein.

 

Die Reise hatte also 46 Tage gedauert, davon waren ca. 30 Tage reine Reisetage, in denen man ungefähr 1100 km zu Lande zurückgelegt hatte. Insgesamt wurden von Wien bis Den Haag ca. 1500 km bewältigt. Rast wurde vor allem in Residenzstädten von mit dem Kaiser verbundenen Fürsten, Bischöfen oder Statthaltern gemacht.

 

Der Tross bewegte sich auf Heer-, Handels- und Poststraßen. Sie waren keinesfalls überall „chaussiert“, d.h. mit einem festen Belag versehen. Diese Art von Wegebau setzte sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts durch. Vorher waren die Straßen oft nur Erdwege mit eingefahrenen Wagenspuren, in feuchten Gebieten legte man Holz oder Reisig aus, streckenweise bestand die Bedeckung aus Steinplatten oder es wurde Kies aufgeschüttet. Man kann sich vorstellen, dass Fernreisen unter diesen Umständen strapaziös waren, die Kutschen holperten, manchmal brachen die Achsen und bei Regen blieben sie mitunter stecken. Die Reisezeit im Herbst war in dieser Hinsicht nicht günstig.  Man kam nur langsam voran, unsere Reisegesellschaft legte maximal 40 km am Reisetag zurück. Die Reiseteilnehmer werden aufgeatmet haben, wenn sie eine bequeme Raststätte erreicht hatten, aber nicht jede wird für alle Bequemlichkeit geboten haben. Doch Eile war angebracht, und so hielt man sich meist nur kurz auf.

 

Heute weiß kaum mehr jemand von der königlichen Reise durch die Städte und Dörfer des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“. In den durchzogenen Orten und Gebieten gibt es nur wenige Dokumente darüber. Sie ruhen versteckt in örtlichen Archiven. Karl und seine Begleiter haben offenbar keine Aufzeichnungen über die Reise hinterlassen. Erst 1712 setzen Tagebücher des bereits zum Kaiser Gekrönten ein. Die nach dem Tode des Kaisers verfassten Lebensbeschreibungen gehen nur kurz auf die wichtigsten Stationen ein, so dass ihr genauer Verlauf nicht immer bekannt ist.

 

In den damaligen Zeiten fand der Durchzug des designierten Königs aber durchaus Beachtung. Ein Kaisersohn war nicht irgendwer und es kam nicht oft vor, dass eine Person von solchem Rang durch einen Ort zog oder gar Aufenthalt darin nahm. Hinzu kommt, dass jeder halbwegs Gebildete Anteil an den Geschehnissen nahm, die ganz Europa bewegten und oft die eigene Heimat in Mitleidenschaft zogen. Auch wenn es um das ferne Spanien ging, mit dem jungen König verbanden sich patriotische Gefühle. In den kaisertreuen Gebieten nahm man Partei für ihn. Die Franzosen hatten sich durch ihre Eroberungskriege und grausame Kriegsführung verhasst gemacht, das Auftreten der antifranzösischen Allianz sah man vielfach als Befreiung vom „französischen Joch“ und als Kampf um die Freiheit der eigenen Staaten und Europas an. In der Tat bestand ein Gegensatz zwischen der zentralistisch geführten Großmacht Frankreich und den auf Eigenständigkeit bedachten Territorien des nur noch locker verbundenen „Heiligen Römischen Reiches“.

 

Als Beispiel für die öffentliche Aufmerksamkeit, die die „Expedition“ des Erzherzogs fand, mag der Briefwechsel des großen Gelehrten und Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz gelten. In ihm wird immer wieder Bezug auf die Reise des jungen Regenten genommen. Leibniz hat 1703 sogar ein Rechtsgutachten verfasst, in dem er den Anspruch Karls auf die spanische Königskrone verteidigt: „Manifeste Contenant Le Droits De Carles III. Roi d´Espagne, Et le justes motivs de son Expedition…“ (Vgl.: G. W. Leibnitz, Sämtliche Schriften und Briefe [Akademie-Ausgabe], 1. Reihe, Bd. 22, Berlin 2011, S. 683, Anmerkungen)

 

Erste Reisestation - Prag

 

Dass man Karl in Prag – einer der kaiserlichen Residenzstädte – einen begeisterten Empfang bereitete, ist verständlich. Wie ein solcher Empfang aussah, wird in einer 1741 in Frankfurt und Leipzig erschienenen Lebensbeschreibung Karls geschildert. Der Titel der Schrift lautet: Leben und Thaten Des nunmehro Höchstseelig-Allerdurchlauchtigst-usw. Römischen Kaisers und Katholischen Königs Karls VI… von einem Deutschen Patrioten.“ (Der Verfasser ist der Hallenser Geschichtsprofessor Johann Ehrenfried Zschackwitz). Dort heißt es:

 

„Den 22. zwischen 6 und 7 Uhr langte der Cath. König unter dem Geläute aller Glocken und Losbrennung des groben Geschützes, wie auch ungemeinem Frohlocken der Einwohner zu Prag an, und trat, nachdem er der Absingung des: HErr GOtt dich loben wir usw. beygewohnet hatte, in dem dasigen Schloße ab. Es geschah der ganze Zug durch das Roßthor auf den Roßmarkt, allwo der Magistrat aus der Neustadt demselben aufwartete, und die gesamte Burgerschaft im Gewehr stund…In der Jesuitengasse bis zur Brücke hatte sich der akademische Magistrat gestellet und legte nach altem Gebrauch auf das feyerlichste den Eid der Treue ab…vor dem Schloße präsentierte die Besatzung das Gewehr; unterm Schloße aber hielte der königliche Statthalter, bei dem sich der bömische Adel befand, eine kleine Anrede an denselben. Nahe vor der Domkirche begegneten ihm der Erzbischof mit der Klerisey, und begleiteten ihn in die Kirche. Hierauf wurden sowohl von den Burgern, als auch von der Besatzung drey Salven gegeben…Endlich, nachdem sich Ihr. Cath. Majest. in dem sogenannten Bubretsch und in anderen dasigen Gegenden einige Tage mit der Jagd erlustigt hatte, traten sie dero Reise am 25. nach Sachsen an.“ (S. 497 f.)

 

Karls Reise durch Deutschland: Leipzig - Halle

 

Doch auch in den deutschen Territorien empfing man Karl standesgemäß. Eigentlich sollte der König um schnell voranzukommen „incognito“ reisen. Aber daraus wurde nichts. Der „Deutsche Patriot“ schreibt:

 

„…sobald sie auf sächsischem Grund und Boden angelanget waren, [wurden sie] im Namen im Namen der höchstseel. Königl. Majest. von Polen und Churfürstl. Durchl. zu Sachsen, von dem Kammerath von Vitzthum empfangen, und vollends durch die sächsischen Lande geführet…, welcher auch zu deren Empfang und Bewirthung unterwegens aller Orten die nötigen Veranstaltungen vorkehrete. Den 4. Oktober langte der Cath. König zu Leipzig an…“ (a.a.O., S. 498)

 

Der Berichterstattung erwähnt nichts über den Aufenthalt Karls in der protestantischen und bürgerlichen Handelsmetropole. Wir wissen aber, dass der König die von einem seiner Vorfahren gestiftete Messe besuchte und von der Bevölkerung begeistert begrüßt wurde. Auf einer zu diesem Anlass geprägten Münze wird er auf der Vorderseite als „Carolus III., durch Gottes Gnade König von Spanien und Indien (Südamerika)“ im jugendlichen Kopfprofil mit wallender Lockenperücke dargestellt. Auf der Rückseite, die ihn zu Pferd in der Pose eines grüßenden römischen Feldherrn mit Stab und Schwert zeigt (diesmal mit caesarenhaftem Kurzhaarschnitt), wird mitgeteilt, dass er zur Zeit der Messe 1703 „durch das jubelnde Leipzig zog.“

Karl III. auf seiner Reise durch Deutschland in Leipzig
Karl III. in Leipzig Münze 1703 ( Vorderseite: Stuttgarter Landesmuseum, Rückseite: schlechter erhaltene Münze aus einem Münzhandelangebot)
Karl III. in Leipzig Münze 1703 ( Vorderseite: Stuttgarter Landesmuseum, Rückseite: schlechter erhaltene Münze aus einem Münzhandelangebot)

Mehr Beachtung schenkt der Berichterstatter den nächsten Stationen:

 

Nach Leipzig „reisete [der König] den 5. Nach Weisenfels, als wohin ihn der dasige Herzog [Johann Georg] selbst eingeladen hatte. Nachdem er nun auch an diesem Orte auf das prächtigste und herrlichste war bewirthet worden, und sich von nachmittags 4 Uhr bis abends 9 Uhr allda aufgehalten hatte, brach er überaus vergnügt nach Halle auf.“

 

Ausführlicher wird das Zusammentreffen im „Theatrum Europaeum“ (S. 195 f.) geschildert. Der junge Herzog des Sekundärfürstentums Sachsen-Weißenfels hatte sich schon in Leipzig beeilt, „Ihro Majestät“ zu begrüßen. Er wird gewiss seine politischen Ziele gehabt, dass er Karl so zuvorkommend einlud und auf seinem barocken Prachtschloss Neu-Augustusburg in geradezu pompöser Weise aufnahm. Im Gegensatz zum „Theatrum Europaeum“ erwähnt der Hallenser Professor solche Hintergründe nicht. Der nach mehr Einfluss im Reich strebende Regent eines zweitrangigen Fürstentums erhoffte sich offenbar von dem Habsburger Unterstützung. Er wird sicher einiges mit dem Kaisersohn zu bereden gehabt haben, was der Verfasser des Theatrum Europaeum andeutet, sich darüber aber nicht genauer auslässt. Offenbar kam der Herzog bei den ausladenden Zeremonien des Abends mit seinen Absichten nicht recht zum Zuge, was wohl der Grund war, dass er Karl „biß nach Holland nachfolgete.“ (Theatrum Europaeum).  In Halle ließ sich der Weißenfelser noch einmal durch seinen Hofmarschall für die „große Ehre“ und den „Hohen Zuspruch“ bedanken, den „Seine Majestät“ ihm erwiesen habe. Der seinerseits auf Unterstützung angewiesene Thronprätendent sah sich genötigt, über einen Abgesandten eine Entschuldigung für die Kürze des Besuchs auszusprechen, aber höflich zu betonen, wie „überaus vergnüget, [sie] von dieser Bewirthung gewesen“ seien. Immerhin war der Herzog vertretungsweise Sprecher des „Corpus Evangelicorum“, d.h. der evangelischen und reformierten Reichsstände, an deren Unterstützung Karl ja gelegen sein musste. (Wenn Karl sich darauf beschränkt, in seiner Erwiderung nur das Vergnügen bei der Bewirtung zu nennen, lässt daran denken, dass er von den sonstigen Ambitionen des Fürsten nicht in gleichem Maße erbaut war.)  Dass Zschackwitz die Großzügigkeit des Herzogs und das „Vergnügen“ des Besuchers hervorhebt, ohne die Umstände zu erwähnen, könnte damit zusammenhängen, dass der im nahen Halle tätige Verfasser sich das Wohlwollen des seinerzeitigen Herzogs nicht verscherzen wollte.

 

Schloss Neu-Augustusburg - Carl Benjamin Schwarz, 1786
Schloss Neu-Augustusburg - Carl Benjamin Schwarz, 1786

Ich berichte von diesem „Intermezzo“, um zu zeigen, dass der Zug Karls nicht nur ein reines Fortbewegungsunternehmen war. Karl und seine Begleiter reisten sozusagen mit dem „Diplomatenkoffer“ im Gepäck. Unterwegs wurde Diplomatie betrieben – auf Seiten der Besucher und der Besuchten. Dass die Berichterstatter nur andeutungsweise darauf eingehen, hat darin seinen Grund, dass wir uns im Zeitalter der Kabinettspolitik und Geheimdiplomatie befinden. Es wird aber auch deutlich, dass die Berichte über Karls Reise von diplomatischen Rücksichten und politischer Parteinahme gefärbt sind.

 

In Halle erhielt Karl von der Universität ein Glückwunschschreiben. (Leibniz, a.a.O. S. 610)

 

Nach Halle fassen sich die erwähnten Autoren kurz über die Reiseroute.  Tschackwitz lässt die „Katholische Majestät“ über das Braunschweigische und „verschiedene andere namhafte Orte“ schnell in der nächsten Fürstenresidenz, nämlich in Düsseldorf, „anlangen“. Von Halle nach Düsseldorf ist es aber doch eine ganz beachtliche Strecke – immerhin reiste man 10 Tage - und wir müssen uns anderweitig umsehen, wenn wir Karl begleiten wollen.

 

Im Fürstentum Halberstadt

Halberstadt
Halberstadt
Halberstadt in einem Buch von 1794 (Titel siehe weiter unten)
Halberstadt in einem Buch von 1794 (Titel siehe weiter unten)

Die Idee, der folgenreichen Reise des spanischen Königs in spe nachzugehen, bekam ich durch einen zufälligen Fund auf einem Flohmarkt. Beim Durchblättern des „Goslarers Bergkalenders“ 1989 fand ich einen kleinen Artikel von Dr. Horst-Günther Lange, einem (verstorbenen) Gymnasiallehrer und Heimatforscher aus Salzgitter: „1703: Spaniens junger König im Amt Liebenburg (ebd. S. 93-95). Lange beschreibt die Route, die Karl bei der Fahrt durch das „schöne Vorharzland“ nahm: Halberstadt, Hornburg, das Dorf Beinum, Schloss Nettlingen, Hildesheim. Da wir lange in Katalonien gelebt haben und jetzt unser Domizil im Vorharz aufgeschlagen haben, war mein Interesse geweckt.

 

Wir sind den Weg mit unserem PKW abgefahren, die Strecke, für die der König vier Tage brauchte, haben wir mit Suche und Besichtigungen in einem Tag bewältigt.

Hier ist die alte Postroute von Halberstadt nach Hildeheim, die Karl fuhr, eingezeichnet -  wikimedia nach dem Urheber: triloba
Hier ist die alte Postroute von Halberstadt nach Hildeheim, die Karl fuhr, eingezeichnet - wikimedia nach dem Urheber: triloba

Lange gibt bis auf eine Ausnahme seine Quellen nicht an. Auf einen Nachweis, dass sich Karl in Halberstadt aufhielt, hat mich Frau Dr. Sibylle Heise (Stadtarchiv Hornburg) aufmerksam gemacht. In der 1794 erschienenen „Stiffts=Stadt=und Land=Chronick des jetzigen Fürsthentums Halberstadt…“ des in Westdorf bei Aschersleben amtierenden Pastors Caspar Abel heißt es:

 

„A. [Anno] 1703 zog der Ertz-Herzog, und nachmalige Kaiser Carolus VI. auf seiner Reise nach Spanien, durch Halberstadt und 1708 seine Schwester Maria Anna, vermählte Königin in Portugal, die beide grosse Generals, der Herzog von Marlborough und P. Eugenius [„Prinz Eugen“] von Savoien, sind ebenfalls mehr als einmal auf ihren Reisen dadurch gekommen…“

 

Karl III. in Halberstadt
Caspar Abels Buch - Titelseiten / Bestand Historisches Stadtarchiv Halberstadt
Karl III.  auf seiner Reise durch Deutschland in Halberstadt
Die Seite, auf der Abel den Besuch Karls III. in Halberstadt erwähnt

Eine andere Notiz findet sich in einem Brief des Helmstedter Theologie-Professors Johann Andreas Schmid an Leibniz vom 7. Oktober 1703:

 

„Carolo III. per Halberstadium eunti Cl.[ericus] Reimmannus attulit anagramma adjectum cum carmina germanico.“ (Leibniz, a.a.O., S. 609)

 

Hier erfahren wir, dass Karl von dem Halberstädter Theologen und Pädagogen Jakob Friedrich Reimmann mit einem (nicht erhaltenen) deutschen Anagramm-Gedicht in Halberstadt begrüßt wurde. (Ein Anagramm bezeichnet eine Buchstaben- oder Wortumstellung, die einen neuen Sinn ergibt – hier ergab sich wohl durch die Umstellung der Name und eine ehrende Titulatur des Königs.)

 

Die Erwähnung der Schwester Karls, Anna Maria von Österreich, im ersten Zitat ist in unserem Zusammenhang insofern interessant, weil auch sie wie Karl von Wien nach Portugal gereist ist.

 

Die 25-jährige war in Wien mit dem König von Portugal, Johann V., in einer Art „Ferntrauung“ vermählt worden, wobei der Bruder Karls, Kaiser Joseph I., den abwesenden Bräutigam vertreten hatte. Sie reiste nun nach Portugal, um dort von ihrem Ehegemahl zu den eigentlichen Hochzeitsfeierlichkeiten in Empfang genommen zu werden. Ihre Reise dauerte vom 11. Juli bis zum 27. Oktober, also mehr als 100 Tage. Über Land, von Wien nach Wesel, reiste sie 25 Tage, ungefähr so lange wie Karl von Wien nach Düsseldorf. Dabei war ihr Reisetross wesentlich größer und prächtiger als der Karls, er bestand aus 98 Wagen und 596 Pferden. Sibylle Heise hat auf Grund verschiedener Quellen herausgefunden, dass die Reiseroute über Leipzig nach Halle, dann über Aschersleben, Osterwieck, Hornburg, Hildesheim nach Hannover führte. (Sibylle Heise, Stadtarchiv Hornburg: Die Königin von Portugal reiste durch das Fürstentum Halberstadt) Wir können annehmen, dass Karl von Halle bis Hildesheim die gleiche Strecke fuhr, zumal das der Postroute entsprach. Dass er über Osterwieck reiste, deutet der Brief eines Korrespondenten aus Wolfenbüttel an Leibniz vom 7. Oktober 1703 an. (Leibniz, a.a.O., S. 609)

 

In Halberstadt haben wir uns gefragt, wo Karl empfangen wurde. Dies könnte die Dompropstei oder der am Ende des Domplatz liegende "Petershof" gewesen sein. Hier - in dem alten Bischofssitz - residierte in preußischen Zeiten die Regierung des Fürstentums Halberstadt.

 

Das Bistum Halberstadt war durch die Beschlüsse des Westfälischen Friedens in ein weltliches Fürstentum umgewandelt worden und an das Kurfürstentum Brandenburg gekommen. Kurfürst Friedrich III. hatte sich, durch den Beitritt zur Habsburgischen Allianz und hohe Geldzahlungen ermöglicht, als Friedrich I., König in Preußen, die Krone aufs Haupt gesetzt. Der Statthalter des Königs in Halberstadt war zu dieser Zeit der in Hornburg geborene Regierungspräsident Daniel Melchior Ruck. Wir können annehmen, dass er – und wohl auch Vertreter des Domkapitels, des Magistrats, der Stände und der Bürgerschaft – die königliche Hoheit empfangen haben. Der Große Kurfürst hatte 1676 den „Kammerjunker“ von Ruck an den Hof Karls II. geschickt, um Subsidiengelder, die der Kurfürst dem spanischen König geleistet hatte, zurückzufordern – vergeblich. Von Ruck hatte über die desolaten Zustände am Hofe des schwachen, von Frauen, Höflingen und Diplomaten abhängigen Königs nach Berlin berichtet. Wenn Ruck den Thronprätendenten getroffen hat, konnte er diesem sicher einiges über die Verhältnisse in Madrid und Spanien berichten. (Über von Ruck schreiben: Cornelia Fero, Dr. Sibylle Heise, Daniel Melchior von Ruck, Regierungspräsident im Fürstentum Halberstadt um 1700, in: Zwischen Harz und Bruch, Nr. 50, März 2008, S. 39-45)

Dompropstei und alter Bischofspalast ("Petershof") in Halberstadt

Tatsächlich hat sich meine Vermutung, dass Karl von dem Regierungspräsidenten empfangen wurde, bestätigt. Herr Robert Pilz vom Historischen Stadtarchiv Halberstadt hat auf meine Anfrage ein Dokument gefunden, dass den Empfang belegt.

 

Das Stadtarchiv bewahrt ein Manuskript der Chronik des Halberstädter Regierungsrates, Juristen und Geschichtsschreibers Johann Heinrich Lucanus (1693 -1760) auf:

 

NOTITIA PRINCIPATUS HALBERSTADENSIS

oder

Gründliche Beschreibung des alten löblichen Fürsthentums Halberstadt.

deßen sonderbareste Merckwürdigeiten und eigentliche Beschaffenheit im Politischen, Kirchen und Civil-Wesen etc., sowohl in alten als auch denen neuen Zeiten. In IV. Theilen verfasset,

 Tom. [Band] I. Pars Generalis [allgemeiner Teil]

 

                        [Bild] Halberstad

 

mit besonderem Fleiß zusammengetragen von Joh.[ann] Henr[icus] Lucanus. Königlich Preußische[m] Regierungs Rath und Advocatus fisci zu Halberstadt und vermehret bis ann.[o] 1742 Scl. [scilicet (?) = versteht sich] nach dem autographo des autoris abgeschrieben und continuiert ao. [anno] 1744

 

(Historisches Stadtarchiv Halberstadt, Augustinische Sammlung - Lukanische Bibliothek, Nr. 164)

 

Dort wird auf S. 225/Blatt 133 die Begegnung beschrieben:

 

"Königs Friederich I. [Zeit]

 

...setzte ein Cammer-Herr ein großes güldenes Lavoir [Waschschüssel] auf die Taffel vor den König und servierte zugleich das Wasser. Der Fürst von Lichtenstein aber präsentierte die Serviette zum Trocknen. Als nun der König von der Tafel aufgestanden, hält ein Jesuite das Gebät worauf der König sich allein in ein Gemach retirirte [zurückzog], indessen aber ging der Fürst von Lichtenstein und alle übrige östereichische und spanische Cavalliero zur Tafel, wozu der halberstädtische President von Ruck und der Dechant [Vorsteher des Domkapitels] von Busch mitgezogen wurden. Nach geendigter Mahlzeit ließ der König von Spanien den Presidenten von Ruck zu sich in sein Zimmer anfordern und rühmte in dessen Gegenwart die große Assistenz und Freundschaft, so ihm von Seiten des Königs in Preußen widerfahren, befahl auch seine Danksagung deßhalb abzustatten. Bei der Abreise ließ er 20 Dukaten an die Wache auszahlen und fuhr fast um 3 Uhr wieder weg. Der Obrist Hofmeister Fürst von Lichtenstein saß demselben zur Seiten und dazu Ober Postmeister Graff von Paar gegen über in des Königes Wagen, wovon der Himmel [das Dach] hinten und vorne niedergelegt, so daß der König von jedermann gesehen werden konnte, wie er denn auch jedweden mit besonders gnädigen Mi[e]nen ansahe..."

Titelseite und Auszug aus der Handschrift (Bilder: Hist. StadtA HBS)

Wir erleben in der Schilderung einen großzügigen, leutseligen und höflichen "König", dem Achtung und Respekt entgegengebracht wird, der aber auch sich seiner Würde und Stellung bewusst ist.

 

Wir erfahren auch, dass Karl am Nachmittag wegfuhr und wohl nicht in Halberstadt übernachtete.

 

Welches die nächste Station der Reisegesellschaft war, ist unsicher - es ließen sich bisher keine Dokumente darüber finden. Es könnte Osterwieck oder Hornburg gewesen sein, beides heute sehenswerte Fachwerkstädtchen. Für Osterwieck spricht das schon erwähnte Zitat in den Briefen von Leibniz, in dem der Absender davon spricht, dass Karl in Osterwieck erwartet wurde:

 

„...Wir wissen noch nicht den Tag, an dem der neue König von Spanien drei Meilen von hier im Land des Königs von Preußen nach/in Ostervic  durchreisen wird ... (passera … à Ostervic)“.

(Friedrich Hans von Walter an Leibniz, Wolfenbüttel, 7. Oktober 1703, Leibniz a.a.O. S. 609)

 

Für Hornburg kann angeführt werden, dass es da eine große Poststation gab und das Schloss mehrfach vornehme Gäste beherbergte. Hornburg war auch der Sitz der Familie von Ruck.

 

Die Straße von Halberstadt zu den Orten Osterwieck und Hornburg dürfte als Post-, Versorgungs- und Militärweg des Fürstentums in gutem Zustand gewesen sein; der Reisezug wird also gut vorangekommen sein. So ist es durchaus möglich, dass der königliche Zug das ca. 40 km von Halberstadt entfernte Hornburg noch am späten Abend erreichen konnte.

 

In der sehenswerten evangelischen Kirche Beatae Mariae Virginis dort – eine der ältesten evangelischen Kirchen in der Region - entdeckten wir auf einer Empore die Sitze der Adelsfamilien von Ruck(en) und von Campen.  

 

Auch in Hornburg fragten wir uns, wo der König übernachtet haben könnte. In Frage kommt die Schlossburg, die die Bischöfe von Halberstadt zu einer Grenzbastion ausgebaut hatten. Wenn sie auch im 30-jährigen Krieg weitgehend zerstört wurde, muss doch ein repräsentatives „Amtshauß“ geblieben oder wiederaufgebaut worden sein. Jedenfalls wurden auf dem Schlosse weiterhin hohe Gäste bewirtet, wie z. B. 1726 „seine königliche Maiestet von Preußen“ [Friedrich Wilhelm I.]. (Sibylle Heise, Die Hornburg. Burg, Schloss, Amtshaus, in: Braunschweiger Geschichtsblog, 09.11.2017) Zudem war auch noch ein angeschlossenes weitläufiges Stiftsgut vorhanden, auf dem Tross und Pferde hätten Platz finden können. Pferde konnten auch in den Ställen der unterhalb des Schlosses liegenden ausgedehnten Poststation untergebracht werden. Denkbar ist auch, dass Melchior Ruck den Gast auf sein heute verschwundenes Rittergut eingeladen hat. Zeugnis von der Existenz des Gutshofes legt noch ein Gasthaus namens „Am Ruckshof“ ab.

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Zwischenstation Osterwieck - alte Gasthäuser. Links Brauhaus und späteres Gasthaus "Zur Rose" (erbaut 1610). Rechts: Gasthaus "Zur Tanne" (erbaut um 1500) - Hat Karl in einem der Gasthäuser Osterwiecks Rast gemacht?

Unten: Alte Vogtei (erbaut 1533). Sitz des Halberstädter bischöflichen Vogts, beim Durchzug Karls Besitz des preußischen Königs - ältestes Bauwerk des niedersächsischen Fachwerkstils - wurde Karl hier von einem Repräsentanten des Königs begrüßt?

Hornburg - ein Übernachtungsort der königlichen Reisegesellschaft?

Karl III. auf seiner Reise durch Deutschland in Hornburg
Hornburg zur Zeit des 30-jährigen Krieges (1641) - Stich von Matthäus Merian. In der Mitte die große damalige Burganlage vor ihrer Schleifung
Hornburg heute - mit Blick auf das Burgschloss (rechts)
Hornburg heute - mit Blick auf das Burgschloss (rechts)

Bildergalerie Hornburg (beim Anklicken wird das Bild vergrößert und öffnet sich eine Beschriftung)

 

Im Fürstentum Hildesheim

 

Von Osterwieck oder Hornburg ging die Reise Karls weiter Richtung Hildesheim. In dem Dorf Beinum wurde Rast gemacht und im Dorfkrug gespeist. Horst Günther Lange hat dafür einen Beleg ausgegraben. Der Amtsschreiber auf der Liebenburg hat im Haushaltsbuch des zum Hildesheimer Fürstbistum gehörigen Amtes Liebenburg unter „Geldausgaben“ 1703 festgehalten:

 

„Auf ankunft Ihrer Königl. Majstt in Hispanien für allerhandt Sachen vermöge Rechnung auf Befehl angeschafft und bezahlt worden mit 149 (Talern) 26 (Groschen).“ Er trägt dann noch nach: „Der Krüger von Beinembt bringet ein, eine Rechnung bei dem durchmar[s]ch der Königl Majestätt von Spanien 20 (Taler).

 

Der Amtsschreiber hat dann die bisherige Summe auf der Seite durchgestrichen und auf 190 Taler und 34 Groschen erhöht.

Karl III. auf seiner Reise durch Deutschland in Beinum
Die Eintragung des Liebenburger Amtsschreibers ( Goslarer Bergkalender 1989, S. 94 )

Dieser Eintrag ist in mancher Hinsicht interessant. Er zeigt, dass „Majestät“ sich auf seiner Reise gern von seinen Gastgebern aushalten ließ, in diesem Fall von der Regierung in Hildesheim. Leopold I. hatte den 1702 den zum Kurfürsten und Bischof ausersehenen Josef Clemens von Köln am Amtsantritt gehindert, da er auf die französische Seite getreten war. Statt seiner übte das Domkapitel die Regierung aus. Das Domkapitel sah sich durch den militärischen Druck des kaisertreuen Welfenherzogs von Celle, Georg Wilhelm, der die Schutzherrschaft über das Fürstentum beanspruchte, genötigt, den Kaiser zu unterstützen.  Somit war die Gelegenheit für den kaiserlichen Sohn günstig, hier „einzukaufen“ ohne zu bezahlen. Unter den „allerhand Sachen“ muss man wohl Reisebedarf wie Proviant und Pferdefutter verstehen. Die Summe, die der König verbrauchte, war nicht unbeträchtlich. Für die 20 Taler, die der König beim Essen ausgab, musste damals ein Handwerksmeister ca. vier bis fünf Monate arbeiten.

Rast im "Krug" von Beinum (früheres Hildesheimer Amt Liebenburg)


Nach Horst-Günther Lange wurde die Übernachtung an diesem Reisetag im „geräumigen“ Schloss Nettlingen bei Hildesheim vorgenommen. Später nahm hier auch Zar Peter I, „der Große“, auf der Durchreise Quartier.

 

Schloss Nettlingen bei Hildesheim (erbaut um 1570 von Kurt von Saldern) - Alte Postkarte
Schloss Nettlingen bei Hildesheim (erbaut um 1570 von Kurt von Saldern) - Alte Postkarte

Danach ging es nach Hildesheim. Bisher habe ich kein Dokument über einen offiziellen Empfang in der Bischofsstadt  gefunden. Für das Hildesheimer Domkapitel und die Bürgerschaft waren 1702 und 1703 unruhige Jahre, und so mag der Durchzug der königlichen Gesellschaft nicht die Aufmerksamkeit gefunden haben, die ihm sonst zuteil wurde.

 

Zumindest das Jesuitengymnasium ließ sich nicht nehmen, den von Jesuiten erzogenen und begleiteten Königsaspiranten mit einer achtseitigen poetisch gestalteten Huldigungsadresse zu begrüßen.

 

Das Dokument, dessen Kenntnis ich Herrn Prof. Dr. Michael Schütz, dem Leiter des Stadtarchivs Hildesheim, verdanke, spricht nicht direkt von einem Aufenthalt in der Stadt. Im Vorwort ist von einer "raschen und eiligen Ankunft Eurer Majestät im [Hildesheimer] Vaterland" die Rede. Die persönliche Wendung an die "Majestät" ("dum Tu..."= "während Ihr...") und andere Hinweise lassen aber doch darauf schließen, dass der Text bei einem Empfang in Hildesheim vorgetragen wurde. Es ist naheliegend, dass der in Eile befindliche Karl bei den ihm vertrauten und auch politisch gewogenen Jesuiten einkehrte und sich mit der Begrüßungszeremonie in ihren Räumlichkeiten begnügte. Der Ort des Vortrags der Eulogie könnte die große und prächtige Aula in der damals neu errichteten Anlage des Jesuitenkollegs "Mariano-Josephinum" gewesen sein.

 

Das Institut wünscht dem auf dem Weg nach Holland befindlichen "König der spanischen und indianischen Länder" "einen ruhigen Weg und nach der Schifffahrt eine glückliche und dauernde Herrschaft." 

 

Wie es sich für ein Bildungsinstitut der damaligen Zeit gehört, wird in Form und Inhalt auf die Antike Bezug genommen. Der mit einer englisch-niederländischen Flotte nach dem spanischen Königreich reisende Karl wird mit  dem griechischen Heros Jason verglichen, der mit den Argonauten das goldene Vlies in Kolchis zu erlangen suchte. Hier wird die Geschichte allerdings nach "Iberien" verlegt. Der Drache, der das Vlies bewacht, ist in diesem Fall "Gallus", der französische Hahn. 

 

Die Verfasser des teilweise dialogisch abgefassten Werkes bedauern, dass ihr "gegenwärtiges Votum" wegen der Schulferien, bei nur wenig anwesendem Personal und auf Grund von Zeitmangel,  nur in Gedichtform - "in epischem Metrum" - und nicht szenisch aufgeführt werden könne. Der ursprüngliche Plan der Autoren war, die "Mühen des langen Weges" Jasons und des Königs in einem Theaterstück darzustellen, was aber aus den genannten Gründen unterblieb. (Die Jesuiten pflegten im 16./17. Jahrhundert in ihren Schulen das Theaterspiel mit teils sehr aufwendigen Stücken in lateinischer Sprache - das sogenannte "Jesuitentheater".)

 

Es war in der damaligen Zeit durchaus üblich, Herrscher mythisch zu überhöhen. Die Parallelen der Anspielung waren jedem Gebildeten deutlich.

 

Dem Königssohn Jason wird sein Erbe, die Herrschaft über Thessalien, vorenthalten. Der Ursupator will erst zurücktreten, wenn Jason sich als Held beweist und das "goldene Vlies", das Fell eines goldenen Widders, aus der Ferne zurückholt.

Weniger passend  für die Grußbotschaft ist, dass die Geschichte  nicht glücklich ausgeht. Dem Helden gelingt es zwar, das goldene Vlies zu gewinnen, aber König wird er trotzdem nicht - von anderen schlimmen Entwicklungen abgesehen. Man möchte meinen, in Teilen eine ungewollte Vorwegnahme des Endes der Spanien-Expedition Karls!

 

Karl III. auf seiner Reise durch Deutschland in Hildesheim
Titelbild der Grußadresse des Hildesheimer Jesuitengymnasiums an Karl III. (Bild: Stadtarchiv Hildesheim, Signatur 100-67, Nr. 9))
Das "Josephinum" auf dem Hildesheimer Domhügel - mit der 1694 errichteten barocken Giebelfront
Das "Josephinum" auf dem Hildesheimer Domhügel - mit der 1694 errichteten barocken Giebelfront
Hildesheim -  Mariendom mit Fürstbischöflicher Residenz (1725)
Hildesheim - Mariendom mit Fürstbischöflicher Residenz (1725)

In Ermangelung genauerer Angaben über die weitere Route Karls, springen wir nach Düsseldorf.

 

Karl in Düsseldorf

 

Karl III. auf seiner Reise durch Deutschland in Düsseldorf
Düsseldorfer Schloss von der Rheinseite her - handkolorierter Stich nach L. Janscha, 1798

Am 16. Oktober wurde Karl von seinem Onkel, dem Kurfürsten von der Pfalz, Johann Wilhelm (genannt „Jan Wellem“) und seiner Gemahlin Anna Maria Luisa de Medici im Düsseldorfer Schloss glänzend empfangen und bewirtet. Der Fürst stand in enger familiärer Beziehung zu Karl: er hatte in erster Ehe eine Halbschwester des Kaisers geheiratet, die Mutter Karls stammte aus dem Hause Pfalz-Neuburg. Johann Wilhelm war von den Franzosen aus Heidelberg vertrieben worden, zu der Zeit Erzschatzmeister des Heiligen Römischen Reiches, katholisch und kunstliebend. Im vergangenen Jahr war der Kurfürst an der Belagerung und Eroberung der von dem Kölner Kurfürsten den Franzosen übergebenen Stadtfestung Kaiserswerth durch Truppen der „Allianz“ beteiligt gewesen. Das Unternehmen wurde als „Reichsexekution“ durchgeführt. So war man hier unter Gleichgesinnten und hatte viel zu bereden. Außerdem belustigte man sich bei Jagd, Bällen und Opernbesuchen. Anlässlich des königlichen Aufenthaltes wurde in der Düsseldorfer Hofoper eine aufwendige Oper mit dem bezeichnenden Titel „La Monarchia stabilita“ einstudiert und aufgeführt.

 

Es war wohl der Besuch Karls, der den Kurfürsten veranlasste, Ausschau nach einer geeigneten Braut für den jungen Verwandten zu finden. In der Folge bemühte er sich darum, die schöne und kluge Markgräfin Wilhelmine Caroline von Brandenburg-Ansbach für die Verbindung zu gewinnen. Das scheiterte aber, weil die lutherische Markgräfin nicht zum katholischen Glauben konvertieren wollte. Sie heiratete Georg August von Hannover und wurde mit ihm – er als Georg II. - Königin von England. Wir werden sehen, dass der Kurfürst sein Bemühen, für Karl eine passende Gemahlin zu finden, nicht aufgab.

 

In Düsseldorf traf Karl mit John Churchill, dem ersten Herzog von Marlborough zusammen, dem obersten Befehlshaber der englischen Truppen. Er spielte im Spanischen Erbfolgekrieg eine bedeutende Rolle. Bei der Abreise machte ihm der König ein kostbares Geschenk. Er nahm seinen mit Diamanten besetzten Degen von der Seite – die Diamanten waren zu seinem Namen angeordnet – und überreichte ihn dem Herzog mit den Worten:

 

„Mylord/ich gestehe gern/daß ich ein armer Prinz bin/dessen gantzer Reichtum in meinem Mantel und Degen bestehet; dieser letztere soll ein vielleicht nutzbares Geschenk vor Euer Großheit seyn/und wird deswegen nicht verachtet werden/daß ich ihn heut selbst an meiner Seiten getragen habe.“ Der Herzog bedankte sich „mit Küssung des Knopffs von solchem Degen“ und will sein „eignes Leben dran...wagen/daß Euer Majestät/einer der größten Fürsten gesambter Christenheit werden möge.“ („Theatrum Europaeum“, Bd. 16, S. 313)

 

Dazu bekommt der Herzog aber noch die beträchtliche Summe von 2000 Reichstalern von dem „armen“ Prinzen.

 

So schafft man sich Freunde! Kein Wunder, dass bei der Freigebigkeit des Königsaspiranten die Reisekasse in Den Haag erschöpft war und er bei einem Amsterdamer Geldverleiher ein Darlehen von 60 000 Reichstalern aufnehmen musste. Als Pfand hinterließ er seine Edelsteine.

 

Mit dem aus Den Haag gekommenen kaiserlichen Gesandten, reiste Karl am 24. Oktober auf einer kostbaren Jacht mit Segeln aus weißem Damast nach Holland ab. Der Kurfürst hatte das Schiff eigens für den königlichen Gast herstellen lassen. In Düsseldorf hatte der Thronprätendent also über eine Woche geweilt.

 

Erwähnenswert ist, dass Karl vor dem Besuch bei dem prunkliebenden Fürsten am 14. Oktober in dem damals preußischen und reformierten Duisburg Halt gemacht hatte. Duisburg galt auf Grund der 1655 gegründeten Universität als „gelehrte Stadt“ und so machte auch die Universität „Seiner Majestät“ ihre Aufwartung in Form einer lateinischen Ansprache. Karl beantwortete sie ebenfalls in Latein, das er nach dem Zeugnis von Zeitgenossen exzellent sprach und schrieb. Der später an die Universität als Professor für Geschichte, Beredsamkeit und Griechische Sprache berufene Johann Hildebrand Withof schreibt in der „Chronik der Stadt Duisburg“ (1742 - Hrsg. Albrecht Blank, Norderstedt 2008, S. 370 f.):

 

„Er war allhier im Creutzbrüder Kloster einlogieret, woselbst Sr. Majestät auch unter andern die hiesige Universität mit einer kurzen lateinischen Anrede ihre untertänigste Aufwartung machte, welche in gleicher Sprache höchstgeneigt beantwortet wurde.“

 

Der am selben Tag eingeführte neue Rektor verzeichnet das Ereignis in den Universitätsannalen (auf lateinisch):

 

„Zur Erinnerung eines Ereignisses. Am Tag der Einführung in das hohe Rektorat, am 14. und 15. Oktober nämlich, kam der Monarch der Spanier, Carolus III., in das durch eine Übernachtung gewürdigte Duisburg.“

 

Karl kämpft in Spanien

 

Die Tage in Den Haag waren mit Audienzen, Begegnungen und Verhandlungen gefüllt. Karl erhielt einen Brief von der englischen Königin, in dem er als „Mein Herr Bruder!“ angeredet wird. Anna Stuart gratuliert ihm zur Königsnennung, wünscht ihm mit „aufrichtigem Herzen Glück darzu“ und versichert ihm ihre Unterstützung. Er antwortetet ihr mit der Anrede: „Meine Frau Schwester!“.

 

Widrige Stürme verzögerten die Abreise. Erst am 3. Januar 1704 konnte eine große Flotte mit 62 Schiffen der Alliierten auslaufen. Sie kam am 6. Januar in England an, wo Karl auf Schloss Windsor empfangen wurde. Auch hier machten Stürme einen baldigen Aufbruch unmöglich. Am 23. Januar stach die Flotte mit 12 000 englischen und holländischen Soldaten in See und kam am 7. März in Lissabon an. Der spanische König wurde von dem König von Portugal in einem ausgeklügelten Zeremoniell feierlich empfangen. Karl erließ eine Proklamation an die Spanier, in der er seine Rechte darlegte, und sie aufrief sich von der französischen Herrschaft zu befreien. Philipp antwortete mit der Kriegserklärung, in der er Karl und seine Verbündeten als Staatsfeinde bezeichnete und seinen Untertanen gebot Krone, Vaterland und Religion zu verteidigen.

Karl III. in Barcelona
Karl III. in kämpferisch-herrscherlicher Pose vor dem Hafen von Barcelona - Frans van Stampart 1714 (Museum der Geschichte / Wien)

Schlacht von Almansa ( Provinz Albacete) 1707 - Buonaventura Ligli und Philippo Pallota (1709 / Museo Prado) - In der Schlacht wurden die Truppen der Alliierten (Engländer, Österreicher, Portugiesen) von den spanisch-französischen Verbänden geschlagen.

In der Schlacht - an der Karl nicht teilnahm - standen sich 16 000 und 21 000 Mann gegenüber (Alliierte - Franzosen/Spanier). Auf Seiten der Alliierten gab es 5000 Gefallene/Verwundete und 7000 Gefangene,  auf der anderen Seite waren es 2000 Tote/Verwundete.

 

Nun tritt der Kampf Karls um die spanische Krone in seine entscheidende Phase.

 

Die Kriegshandlungen, an denen sich zunächst beide Könige beteiligten, begannen schleppend. Sie waren durch die Uneinigkeit der Generäle der verschiedenen Heeresteile und Flottenverbände gekennzeichnet, aber auch durch die Zögerlichkeit Karls und seine Schwierigkeiten, sich durchzusetzen. Immer wieder leiden Karl und seine Verbündeten an Geldmangel, ausbleibendem Nachschub und Versorgungsschwierigkeiten.

 

Nach wechselnden Erfolgen kapitulierte 1705 Barcelona. Karl, der sich an der Belagerung persönlich beteiligt hatte, zog nach einmonatigen Vorbereitungen feierlich in die Stadt ein. Bei den Festlichkeiten leisteten ihm die Abgeordneten der Stadt und die Stände Kataloniens den Treueid. Karl beschwor die „fueros“, die alten Rechte der Stadt und des Prinzipats. Auch Valencia und Aragonien, deren fueros Karl ebenfalls bestätigte, stellten sich auf seine Seite. Bei der Belagerung Barcelonas durch die spanisch-französischen Truppen, die die Stadt fast wieder erobert hätten, verließ Karl die Stadt trotz Anraten seiner Räte nicht und bewies Mut und Entschlossenheit.

 

1706 wurde Madrid (für kurze Zeit) eingenommen und Karl in Abwesenheit als König ausgerufen. Er selbst war in Katalonien damit beschäftigt, Wallfahrtsorte - wie den Montserrat - zu besuchen und in Zaragossa sich als König von Aragonien huldigen zu lassen. Angeblich soll er den Marsch auf Madrid nicht gewagt haben, weil er über keine standesgemäße Kalesche für die Krönung verfügte.

 

Auf die Dauer konnte sich Karl nur auf Katalonien, Aragonien und Valencia stützen. Barcelona war der Ausgangspunkt seiner Operationen. In Barcelona hatte Karl einen aufwendigen und europäisch-multinationalen Hof aufgebaut, um sich als den "wahren König" zu inszenieren. Die Katalanen und die Karl ergebenen Provinzen nahmen es mit Befriedigung auf, dass sie nun wieder einen "eigenen" König hatten, der ihre Rechte achtete. Dies verstärkte aber seine Unbeliebtheit in Madrid und Kastilien. Die alte Teilung Spaniens in die von Kastilien beherrschten Teile und die der Krone Aragons zugehörigen Bereiche zeichnete sich erneut ab. Die Kämpfe nahmen zunehmend die Form eines Bürgerkrieges an: auf beiden Seiten kämpften Freischärler aus dem Volke, bei den Katalanen die „Miqueletes“.

Miqueletes auf der (Vor-) Festung Trinitat über Roses (nachgestellt - die Festung Roses war aber während des Krieges in französischer Hand verblieben)
Miqueletes auf der (Vor-) Festung Trinitat über Roses (nachgestellt - die Festung Roses war aber während des Krieges in französischer Hand verblieben)

Am 17. September 1710 zog Karl mit seinen Truppen in Madrid ein, von den Einwohnern nicht jubelnd, sondern feindselig empfangen. Eigentlich wäre er hier, wo er in der Kathedrale zum König gekrönt hätte werden sollen, am Ziele seines Zuges gewesen. Doch schon am 9. Oktober musste er die Stadt wieder verlassen, abgeschnitten von den Versorgungswegen und bedrängt von dem Heer Philipps. Für die Krönung blieb keine Zeit.

 

Der Ausgang

 

1711 erhält er in Barcelona die Nachricht vom Tode seines am 17. April früh verstorbenen Bruders, des Kaisers Joseph I. Karl leistet der aus Wien, London und Den Haag ergangenen Aufforderung Folge, die Nachfolge seines Bruders anzutreten und bereitet seine Abreise vor. Er erlässt eine Erklärung an die Katalanen:

 

„…Da indessen meine Anwesenheit in meinen Erblanden durchaus notwendig ist, um die Sicherheit zu erhalten, vornehmlich um zum Besten unserer heiligen Religion zu arbeiten und insbesondere, um für euch mit allem Eifer Truppen und Subsidien zur Verteidigung dieses treuen Fürstentums und zur Beendigung des Krieges herbeizuschaffen, so hat dies alles mich bestimmt, auf eine kurze Zeit nach Deutschland zu gehen…“ (Friedrich Förster, Die Höfe und Cabinette Europa´s im achtzehnten Jahrhundert, 1.Bd., Potsdam 1836, S. 80)

 

Als Beweis seiner Liebe zu den standhaften Katalanen hinterlässt er ihnen ein „theures Pfand“, seine Gemahlin, die als Statthalterin in Barcelona bleibt.

Elisabeth Christina von Braunschweig-Wolfenbüttel (unbekannter Maler 18. Jh.)
Elisabeth Christina von Braunschweig-Wolfenbüttel (unbekannter Maler 18. Jh.)
Elisabeth Christinas Ankunft in Barcelona 1708 -  Stich von Peter Schenk
Elisabeth Christinas Ankunft in Barcelona 1708 - Stich von Peter Schenk

Der Kurfürst von der Pfalz hatte seine Bemühungen um eine Gattin für Karl nicht aufgegeben. In Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel fand er (und andere) eine geeignete Partnerin für seinen Verwandten. Die liebreizende und gebildete junge Welfen-Prinzessin – wegen ihres hellen Teints und blonden Haare später in Wien „die weiße Liesel“ genannt - konvertierte im Gegensatz zur Markgräfin Wilhelmine Caroline zum katholischen Glauben. Die schon 1705 geplante Heirat und Konversion rief eine heftige Debatte unter evangelischen Theologen hervor. Die Prinzessin selbst und Angehörige hatten Bedenken, aber unter dem Einfluss ihres ehrgeizigen Großvaters Herzog Anton Ulrich und seiner Helmstädter „Unionstheologen“ ließ sie sich umstimmen. Sie wurde in Wien ferngetraut, wobei wieder Joseph I. als Stellvertreter des Bräutigams fungierte. Sie reiste über Genua per Schiff nach Barcelona, wo Karl seine ihm bisher nur durch ein Bild bekannte Frau hoch erfreut über ihre Erscheinung in Empfang nahm. Die Ehe wurde dann am 1. August 1708 in der „Marien=kirche [Santa Maria del Mar?] in der Nähe des königlichen Palastes [Palau Reial Major]“ vom Erzbischof von Tarragona nochmals eingesegnet und der Anlass mit großer Pracht gefeiert. (Wilhelm Hoeck, Anton Ulrich und Elisabeth Christine von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel, Wolfenbüttel 1845)

 

Am 8. September kehrt Karl auf einem anderen Weg als er gekommen war zurück: auf dem Seeweg nach Genua und von dort über Mailand, Innsbruck nach Frankfurt. Am 12. Oktober 1711 wird Karl III. als Karl VI. (in Abwesenheit) zum deutschen Kaiser gewählt. Am 22. Dezember wurde der in Frankfurt Angekommene „mit allem herkömmlichen Pomp“ zum Kaiser gekrönt. Er wird nicht mehr nach Spanien zurückkehren.

Verhandeln hinter verschlossenen Türen: Die Delegierten des Friedenskongresses in Baden (Schweiz) 1714 - Johann Rudolf Huber
Verhandeln hinter verschlossenen Türen: Die Delegierten des Friedenskongresses in Baden (Schweiz) 1714 - Johann Rudolf Huber

Die Kaiserin, die sich in Barcelona auf ihrem schwierigen Posten durchaus bewährte und von den Katalanen geschätzt wurde, verließ im März 1713 auf englischen Schiffen die Stadt, als sich die Aussichtslosigkeit der Ansprüche ihres Gemahls und die Belagerung abzeichneten. Die englischen und niederländischen Truppen und schließlich auch die österreichisch-deutschen wurden im Laufe von Abmachungen und Friedenschlüssen zurückgezogen. Die zwischen den einzelnen Kriegsparteien abgeschlossenen Friedensvereinbarungen von Utrecht, Rastatt und Baden (im Aargau) 1713/1714 beendeten den Spanischen Erbfolgekrieg. Im Badener Frieden gestand man Kaiser Karl VI.  den Titel als König über Spanien und den Anspruch über das spanische Erbe formal zu. Da aber die europäischen Mächte eine Übermacht der Habsburger genauso wenig wünschten wie die der französischen Könige, blieb die Herrschaft über Spanien bei Philipp V.  Sowohl dieser wie auch der französische Thronfolger mussten einer zukünftigen Vereinigung der Krone Spaniens mit der Krone Frankreichs absagen. Der Antrag des österreichischen Kabinetts, Katalonien als eine von dem Könige von Spanien unabhängige Republik anzuerkennen, wurde weder von den Verbündeten noch von Frankreich unterstützt.

Erstürmung Barcelonas 1714 - Jacques Rigaud (1680-1754)
Erstürmung Barcelonas 1714 - Jacques Rigaud (1680-1754)

Die Katalanen sahen sich allein gelassen. Eine mit der Unterwerfung verbundene, ihnen angebotene Amnestie lehnten sie ab, da sie an dem „Schwur der Treue“, die sie König Karl III. gegeben hatten, „unverbrüchlich“ festhalten wollten. Am 11. September 1714 wurde Barcelona nach heftiger Gegenwehr von spanisch-französischen Truppen im Sturm genommen und harte Vergeltung an den „widerspenstigen Rebellen“ geübt. Die auf dem Boden des niedergelegten Stadtteils Ribera errichtete Zitadelle sollte jeglichen weiteren Widerstand der Bevölkerung unterbinden. Das 1716 erlassene Dekret Philipps „Nueva Planta“ nahm den Katalanen die bisherigen Sonderrechte und die relative Selbständigkeit. Fortan wurde Katalonien von Madrid aus zentralistisch regiert. Das Scheitern Karls und der Sieg Philipps V. bewirkte eine bis heute andauernde Dissonanz zwischen Katalonien und dem übrigen Spanien, aber auch eine untergründig fortwirkende Enttäuschung, von den europäischen Mächten im Stich gelassen worden zu sein.

Protestbanner vor dem aufgelösten katalanischen Parlament 2017
Protestbanner vor dem aufgelösten katalanischen Parlament 2017

So endete das mit einer Reise durch Deutschland hoffnungsvoll begonnene Unternehmen des jungen Thronanwärters. Es war eine große Herausforderung, vor die sich der junge Mann Karl bei seiner Abreise aus Wien gestellt sah. Er hat sich dieser Herausforderung im umkämpften Spanien 10 Jahre lang angenommen, so gut er es vermochte, wenn es auch in erster Linie die Soldaten und Generäle waren, die Leib und Leben für ihn einsetzten. In der großen Politik geht es nicht wie in einem Märchen zu, wo der Prinz durch Tugend, guten Willen, Beharrlichkeit und Tapferkeit sein Königreich erringt. Letzten Endes war Karl III. ein Spielball der Mächte Europas, denen er mit seiner Person wenig entgegenzusetzen hatte. Paradoxerweise führte ihn sein Scheitern als König von Spanien auf den Kaiserthron. Aber auch als Kaiser sah er sich mit den Auswirkungen seiner gescheiterten Mission konfrontiert. Offenbar schwebte ihm bei seinem Abschied aus Spanien und nach dem Besteigen des Kaiserthrons die Idee vor, das Großreich seines Vorfahren Karl V. wiederherzustellen, ein Reich, das Spanien und das Heilige Römische Reich umfasste. Doch Europa hatte sich nach den Auseinandersetzungen um die spanische Erbfolge verändert. Das mit großen Opfern hergestellte System eines europäischen Mächtegleichgewichts duldete solche Träume nicht mehr. 1718 verzichtete der Kaiser auch auf seine formalen Rechte über Spanien, obwohl er sich wohl zeit seines Lebens innerlich im Rechte sah. Das Versprechen einer Unterstützung seiner treuen Anhänger im kleinen Katalonien hatte der Kaiser im Ringen der Großen um die Macht in Europa längst fallen gelassen.

 

Karl VI. als Kaiser - Mit Kette und Gewand eines Großmeisters des habsburger Ritterordens zum Goldenen Vlies (österreichische Linie) / Johann Gottfried Auerbach (1697-1753)
Karl VI. als Kaiser - Mit Kette und Gewand eines Großmeisters des habsburger Ritterordens zum Goldenen Vlies (österreichische Linie) / Johann Gottfried Auerbach (1697-1753)

Nach Beendigung des Krieges wurde der Orden in eine spanische und eine österreichische Linie geteilt. Im spanischen Zweig ging die Schirmherrschaft über das "Goldene  Vlies" auf die Bourbonen über, im österreichischen Bereich verblieb sie bei den Habsburgern. Berufungsrecht und Amt des Großmeisters liegt bei den königlichen Staatsoberhäuptern bzw. den Chefs der Häuser.

                                         

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Die historischen Bilder sind meist deutschen oder spanischen Wikipedia-Artikeln entnommen und gemeinfrei.

Dieser Artikel ist auf Grund bisheriger und vorläufiger Recherchen geschrieben worden. Es kann also sein, dass er noch ergänzt wird (Letzte Bearbeitung: 14.12.2019).

Literatur: Einen Überblick über den Spanischen Erbfolgekrieg, seine Enstehung und Folgen gibt Matthias Schnettger, Der Spanische Erbfolgekrieg 1701-1713/14, in der Reihe C.H. Beck Wissen, München 2014.


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