Graf Ramon Berenguer III. oder die Anfänge des Traumes von der Einheit Kataloniens und Okzitaniens

„Nationen beruhen auf Nationalbewusstsein. Nationen erkennen sich in einer gemeinsamen Geschichte, in gemeinsamen Ruhm und gemeinsamen Opfern wieder – man muss hinzufügen, dass diese gemeinsame Geschichte in aller Regel von begrenzter Realität ist, in der Regel mehr erträumt und konstruiert als wirklich.“ (Hagen Schulze, Staat und Nation in der europäischen Geschichte)

 

Abraham Willaerts, Schiffe vor Stadt, 17. Jh.
Abraham Willaerts, Schiffe vor Stadt, 17. Jh.

Im Januar 1112 segelt eine kleine Flotte katalanischer Galeeren von Barcelona aus auf das Meer. Auf Deck befinden sich wohl gerüstete Ritter und Knappen, dazwischen Adlige in prächtigen Gewändern, auch einige schwarz gekleidete Kleriker sind zu sehen. Das größte Schiff hat die Flagge der Grafen von Barcelona aufgezogen, vier rote vertikale Streifen auf Gold. Graf Ramon Berenguer, der dritte seines Namens, angetan mit einem hermelinbesetzten Umhang, das gräfliche Schwert an Seite, umgeben von einigen Hofleuten, blickt zu den Mauern und Türmen seiner ausgedehnten Stadt zurück. Der dreißigjährige hat die kleine, aber kräftige Gestalt der Grafen von Barcelona. Man sieht ihm an, dass er kampferprobt ist – in den Kämpfen mit den Sarazenen und den Auseinandersetzungen mit rebellischen Adligen. Immer wieder fallen die almoravidischen Heere in die Grafschaft ein. Einige Feldzüge scheinen sie in die Schranken gewiesen zu haben. Seine Vorherrschaft unter den katalanischen Grafen ist jetzt unbestritten. Nun ist er dabei, seinen Einfluss jenseits der Pyrenäen, in Okzitanien, auszuweiten. Hier gibt es alte Ansprüche der Grafen von Barcelona.

 

Ramon Berenguer III. (Genealogische Rolle von Poblet, um 1400 - Wikimedia)
Ramon Berenguer III. (Genealogische Rolle von Poblet, um 1400 - Wikimedia)

Sein Weg zur Herrschaft war nicht leicht gewesen. Als Kind war er zeitweise unter der Vormundschaft seines Onkels Berenguer Ramon II. aufgewachsen und hatte – faktisch nur dem Namen nach - mit ihm regiert. Sein Onkel stand unter dem Verdacht, den eigenen Bruder, den Vater Ramon Berenguers III, umgebracht zu haben. Deshalb wurde er als „Fratricida“ („Brudermörder“) bezeichnet. Nach einem Gottesurteil am Hofe Alfons VI. von Kastilien, musste er als Pilger oder Kreuzfahrer ins Heilige ziehen und starb dort. (Darüber haben wir in „Szenen aus der Geschichte Kataloniens“ im Artikel „Brudermord im Hause Barcelona“ berichtet.) Mit 14 Jahren hatte Ramon Berenguer III. die Alleinherrschaft angetreten. Da hatte er sich schon bei der allerdings erfolglosen Belagerung des von den Sarazenen gehaltenen Tortosa bewährt. Nur mühsam befreite er sich von der Übermacht seiner adligen und geistlichen „Berater“.

 

Der Blick des Grafen richtet jetzt sich Osten. Ein kräftiger Wind treibt die Flotte die Küste des Maresme, des Empordà entlang in den Golf von Lion hinein. Gefährliche Stürme bleiben aus. Im Golf von Lion zeigen sich am Horizont zwei Schiffe sarazenischer Korsaren. Sie haben es auf Handelsschiffe abgesehen. Aber als sie die Waffen und Rüstungen auf den Decks aufblitzen sehen, drehen sie schnell wieder ab. Sie wissen: hier holt man sich blutige Köpfe. Die Fahrt geht schnell voran und nach einigen Tagen gelangt man an die breite Mündung der Rhone. Die Schiffe fahren in die Flussniederung ein, kreuzen den trägen Strom hinauf. Man gelangt nach Arles und schließlich nach Avinhon (Avignon). Hier ist man im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches, dem Arelat, aber der Kaiser in Deutschland ist fern. Im Gebiet von Arelat herrschen die „Grafen der Provence“. Die derzeitige Regentin ist Gerberga, Witwe des Grafen Gilbert von Gevaudan. Ihre Abgesandten empfangen den hohen Gast aus Barcelona. Die Schiffe werden vertäut und unter Bewachung zurückgelassen. Der Graf und sein Tross besteigen Kähne, die der Durance hinauf getreidelt werden. Es geht nach Forcalquier, wo Gerberga auf dem Burgberg residiert (heute Haute Provence).

 

Die Gräfin begrüßt den Regenten aus Barcelona würdevoll mit ihrem Gefolge. Ein großer Empfang war vorbereitet worden. Während des festlichen Banketts spielen Musikanten auf, Gaukler zeigen ihre Künste, Trobadoure tragen ihre Lieder vor.

 

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Dulce I. von der Provence
Dulce I. von der Provence

Graf Ramon sitzt zwischen der Gräfin und ihrer Tochter Dulce. Immer wieder ruht sein Blick auf der 22jährigen. Sie ist schön und gebildet. Die hoch entwickelte Kultur der Provence hat sie geformt. Erst zurückhaltend, dann angeregt plaudern die beiden. Auch ihr gefällt der mächtige und tapfere Graf. Ramon Berenguer weiß jetzt: er hat die richtige Wahl getroffen. Sie wird eine Zierde des Hofes in Barcelona sein. Denn Dulce war das Ziel seiner weiten und mühsamen Reise. Durch Unterhändler hatte er von Barcelona aus um ihre Hand angehalten. Die Mutter hatte zugestimmt.

 

Aber es war nicht nur die Schönheit und Kultiviertheit der jungen Frau, die ihn überzeugte. Dulce war eine vorzügliche Partie und passte in die Expansionsbestrebungen des Grafen. Durch ihre Mutter war sie Erbin der Provence, durch ihren Vater fiel ihr die Grafschaft Gevaudan zu, zu der Millau, Rodez, das Lodève und das Carlat im Norden des Languedoc gehörten.

 

Am 3. Februar 2012 heiratet Ramon Berenguer Dulce. Noch vor der Hochzeit hatte ihre offenbar amtsmüde Mutter ihrer Tochter alle Herrschaftsgebiete und Rechte abgetreten und am Tage der Hochzeit wurden sie in die starken Hände des Schwiegersohns gegeben. Ramon Berenguer war jetzt auch Graf der Provence und des Gevaudan und damit einer der mächtigsten Regenten im Mittelmeerraum. Bis 1267 sollte die Grafschaft Provence in der Hand einer Nebenlinie des Hauses Barcelona bleiben, bis sie durch Heirat in das Haus Anjou überging.

 

Damit hatte der Graf einen großen Schritt in seinem Projekt der „Gran obra occitana“, seines „großen okzitanischen Werkes“ getan (so der katalanische Historiker Soldevila). (Die konkurrierenden Grafen von Toulouse, die Herren von Les Baux und die französische Geschichtsschreibung haben allerdings mehr die Perspektive der Kriege eingenommen, die aus den Auseinandersetzungen folgten.)

 

Dieser Coup war nicht der erste, den Graf Ramon Berenguer durch Heirat landete. Ramon Berenguer war in seinen jungen Jahren schon zweimal verheiratet und danach verwitwet gewesen. Immer waren es politische Gründe gewesen – wie im Falle seiner ersten Frau Maria Diaz de Vivar, der Tochter des „El Cid“, dem Herrscher des maurischen Valencia - die ihn zur Heirat veranlasst hatten. Damit läutete der Graf einen probaten Weg der Einflussstärkung auch für das Haus Barcelona ein: Politik durch dynastische Verbindungen. Die 7 Kinder, die der Ehe mit Dulce entsprossen, waren allesamt durch ihre Heiraten ein Mittel des Grafen in dieser Politik.

 

„Des Grafen Berenguer, Brüder, erinnern wir uns gut“ dichtet 1876 Frederic Mistral der Erneuerer der provenzalischen, mit dem Katalanischen eng verwandten Sprache, „Als er von Katalonien hergeführt wurde durch einen guten Wind, Weiße Segel setzend, Trat er in unsere Rhone ein und empfing die Hand, Und die Krone und die Diamanten, Der Prinzessin Docinella.“

 

Es gibt einen Traum, dem nicht wenige Südfranzosen und Katalanen immer noch nachtrauern: die verlorene kulturelle und politische Verbindung der Länder im Süden Frankreichs und im Nordosten Spaniens. Das Languedoc, die Provence und Katalonien hatten einst enge dynastische Bindungen, verwandte Sprachen, Lebensart, dichte kulturelle und religiöse Beziehungen, Handelsaustausch… Mit dem Sieg der Kreuzritter (die gegen die „Albigenser“ und die sie schützenden Adligen zogen) unter Simon Montfort, 1213 auf dem Schlachtfeld vor Muret, über die katalanisch-tolosanische Koalition des Königs Pere I. („der Katholische“) mit dem Grafen Raimund VI. war dieser Traum zu Ende. In der Folge verlor Okzitanien seine Eigenständigkeit und geriet unter den Zentralismus des französischen Königs in Paris. Das Prinzipat Katalonien/Aragon ging seinen eignen Weg, verlor im Pyrenäenfrieden von 1659 „Nordkatalonien“ an Frankreich, 1714 seine relative Selbständigkeit und wurde seinerseits vom König in Madrid zentral regiert. 

 

Denkmal Ramon Berenguer III. in Barcelona (Wikimedia - Foto: Toniher)
Denkmal Ramon Berenguer III. in Barcelona (Wikimedia - Foto: Toniher)

Derjenige Herrscher, der diesen heute noch untergründig nachwirkenden Traum – siehe unseren Artikel „ Vilasacra – Hauptstadt der Welt“ unter „Wege, Orte, Menschen“ - ein Stück weit in die Tat umsetzte, war Graf Ramon Berenguer III. von Barcelona, genannt „el Gran“. Wohl jeder Besucher des alten Teil Barcelonas hat sein Standbild schon gesehen (ohne immer zu wissen, um welche Persönlichkeit es sich handelt). Auf der nach ihm benannten Plaza an der Via Laetana – an den römischen Mauern – steht er hoch zu Ross und in stolzer Pose. Das Standbild wurde 1881 von dem Bildhauer Josep Llimona aus Barcelona geschaffen. Es ist ein typisches Denkmal der katalanischen Renaixenca, der Zeit, als das katalanische Bürgertum an die große Vergangenheit der Katalanen wieder anknüpfen wollte.

 

Ein anderes frühes künstlerisches Werk dieser Epoche ist ein Gemälde, das im „Museu Nacional d`Arte de Catalunya“ in Barcelona zu finden ist. Es zeigt den Grafen auf den Mauern der Burg Foix im Ariège, in triumphierender Haltung, die Fahne der Heiligen Eulalia aufrichtend, über einem darnieder liegenden Feind, inmitten seiner anstürmenden Soldaten und den zurückweichenden Verteidigern...Das Bild stammt von Maria(no) Fortuny, einem bekannten katalanischen Historienmaler und wurde 1857 gemalt – der junge Maler erhielt dafür ein Rom-Stipendium von der Disputacion de Barcelona. Das Thema ist die Niederwerfung einer Rebellion gegen den Grafen, der dieser 1116 ein Ende setzte und mit der Verheiratung seiner Tochter Ximena (aus erster Ehe) mit dem Grafen Roger III. von Foix besiegelte. (Bild am Ende des Textes.)

 

Über die Taten und Erfolge des Grafen wäre viel zu berichten: die Übernahme der Grafschaft Besalu durch einen geschickten Heiratsvertrag – Ramon Berenguer verheiratete seine kaum zweijährige Tochter Ximena mit dem ältlichen Grafen Bernat III. von Besalu, der dann prompt ohne Erben starb - ; die Inbesitznahme der Grafschaft Cerdanya durch Aussterben der bisherigen Linie; die Unterwerfung des rebellischen Vizegrafen Ato von Beziers und Carcassonne; die Einigung mit dem Grafen von Toulouse über die Herrschaft in der Provence; die Anektierung der Vizegrafschaftschaft Perelada, nachdem er den aufständischen Grafen Pons III. von Empuries gefangen genommen hatte; die Zerstörung der blühenden arabischen Madina Mayurqa ( Palma de Mallorca) und die kurzfristige Besetzung Mallorcas und Ibizas (auf diese Weise drängte er die sarazenischen Überfälle auf Handelsschiffe zurück und befreite christliche Gefangene); die Abwehr almoravidischer Angriffe auf das Gebiet von Barcelona; Tributzahlungen sarazenischer Kleinfürsten, die - wie die Einführung von neuen Handelssteuern - Geld in die Kassen des Grafen spülten; die Besiedlung ehemaliger maurische Gebiete; die Wiederaufrichtung des alten Erzbistums Tarragona, das den Almoraviden entrissen wurde und die Besetzung des Amtes durch den Bischof von Barcelona, den später selig gesprochenen Oleguer Bonestruga (das beendete die geistliche Abhängigkeit der Grafschaft Barcelona vom Erzbistum Narbonne), die Heirat der Tochter Berenguera mit König Alfons VII. von Kastilien, um einen Verbündeten gegen den aragonesischen König Alfons I. zu haben – mit dem er sich um den Gewinn sarazenischer Städte wie Leida stritt.

 

Ramon Berenguer erwies sich als würdiger Nachfolger seines Vorfahrens Guifré el Pelós, dem Begründer des Hauses Barcelona. Er verband die nach dessen Tode zersplitterten Gebiete wieder und erweiterte sie. Darüber hinaus wies er den späteren Grafenkönigen die politischen Richtungen, die sie zu gehen hatten. Sein Sarkophag findet sich heute im Querschiff der Klosterkirche von Ripoll, gegenüber der Tumba Guifrés. Zum ersten Mal taucht in seiner Zeit – in einer Pisaner Schrift über die Eroberung Mallorcas- die Bezeichnung katalanisch und Catalunya auf. Das alte Katalonien formiert sich unter ihm.

 

Nach 34jähriger Regentschaft – wohl in Vorahnung seines nahenden Endes – legte er sich 1130 das Ordenskleid der Templer an, die ihm auf seinen Kreuzzügen viel geholfen hatten. Ein Jahr später starb er – seit längerer Zeit krank – unter den Armen im Hospital Santa Creu, 48jährig. Sein Grabmal findet man in der Klosterkirche von Ripoll, wo auch der Sarkophag Guifrés zu finden ist.

 

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