Weltliteratur in Katalanisch - Der abenteuerliche Roman vom weißen Ritter Tirant lo Blanc

Ein unterhaltsamer Einblick in die Welt des Spätmittelalters - Für David

Erzählerischer Zugang zu Zeitumständen, Autor und Inhalt des Buches von Joanet Martorell (1410-1465)

Belagerung Konstantinopels, Buchmalerei 1455, Nationalbibliothek Paris
Belagerung Konstantinopels, Buchmalerei 1455, Nationalbibliothek Paris

Im Jahres des Herrn 1453, 29. Mai, in den Morgenstunden vor den Mauern Konstantinopels - Augenzeugen berichten:

 

In zwei Wellen waren die muslimischen Belagerer in der Nacht gegen die Mauern der Stadt angestürmt. Riesige Kanonen hatten mit gewaltigen Stein- und Eisenkugeln schwere Schäden angerichtet. Die verzweifelt kämpfenden byzantinischen Verteidiger und mit ihnen in der Stadt verbliebene Ausländer, Genuesen, Venezianer, Katalanen hatten die Angreifer zurückgeworfen.

 

Seit eineinhalb Monaten hatten sie sich der gewaltigen Übermacht des osmanischen Heeres und seiner Flotte erwehrt. Vergeblich hatten sie Ausschau nach Schiffen der übrigen Christenheit gehalten, die ihnen zu Hilfe hätten kommen sollen. Die Fürsten des Abendlandes, der Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches“, die mächtigen Handels- und Seefahrtsstädte Venedig und Genua, waren mit ihren eigenen Angelegenheiten, dem Ausbau ihrer Herrschaft und Streitigkeiten untereinander beschäftigt. Die Hilfeersuchen des Oströmischen Kaisers Konstantin XI. waren ergebnislos geblieben. Nur wenige Freiwillige waren gekommen. Der Papst hatte vier angemietete Galeeren geschickt, von denen drei den Absperrungsring der türkischen Flotte durchbrechen konnten.

 

Doch nun wollte Sultan Mehmet II. die Entscheidung erzwingen. Die Flotte nahm die Mauern unter Beschuss. Der Sultan selbst führte seine Elitetruppe, 12 000 Janitscharen, heran. Unter Trommelwirbel griffen diese für den Kampf von Kindheit an erzogenen Kriegersklaven mit wilder Entschlossenheit an. Beim St. Romanus-Tor fanden sie eine Ausfallpforte offen, drangen in die Stadt ein und metzelten unterschiedslos alle nieder, die sie antrafen. „Eala i polis“, „Verloren ist die Stadt“ gellte es durch die Straßen der alten Metropole des „griechischen“ Reiches, die schon längst von den Türken umzingelt und bedrängt war. Die Verteidiger wandten sich zur Flucht, die Byzantiner zu ihren Häusern, die Ausländer zu ihren Schiffen. 15 bis 20 Schiffen gelang die Flucht – mit ihnen einer Reihe von byzantinischen Gelehrten, die ihr Wissen in den Westen brachten und so die Renaissance beflügelten. Kaiser Konstantin kam in den Kämpfen um. Sein Kopf wurde auf eine Lanze gespießt und als Siegestrophäe durch die Stadt getragen.

 

In den Morgenstunden war die Stadt eingenommen. Nach Beseitigung des letzten organisierten Widerstandes plünderten die osmanischen Soldaten die Stadt, die prächtigen Häuser und Paläste, die Schätze der Kirchen und Klöster – wobei die heiligen Bilder und Reliquien profaniert, Bücher vernichtet -, Männer, Priester, Mönche, die sie antrafen, niedergemacht, Frauen, Nonnen, vergewaltigt wurden – ein osmanischer Geschichtsschreiber drückt letzteres so aus: „…die schönen Mädchen wurden von den Gotteskriegern in die Arme genommen.“ Viele Einwohner hatten sich in die Hagia Sophia geflüchtet, Frauen, Kinder, Säuglinge. Die meisten wurden unterschiedslos geköpft. Dem Blutbad wurde erst ein Ende bereitet, als der Großwesir auf die Kanzel stieg und verkündete: „Ruhet euch aus, dieser Tempel gehört jetzt Allah“.

 

Die Überlebenden der Stadt wurden zu Sklaven gemacht. Selbst der Sultan soll nach der Betrachtung der ehemals prächtigen Stadt und der Umgekommenen gesagt haben: „Welch eine Stadt haben wir der Plünderung und Verwüstung ausgeliefert.“ Die „Seufzer und Tränen“, die er dabei vergoss, seine angebliche „Reue“, hinderten ihn nicht, die überlebenden Adligen aus ihren Verstecken mit dem Versprechen zu locken, sie wieder in ihre Rechte einzusetzen und dann mitsamt ihren Familien köpfen zu lassen.- wie es heißt bei einem Gelage mit erbeutetem Wein.

 

So wurde aus dem über 1000jährigen Byzanz Istambul, der Thronsitz des Sultans. (Die Gerechtigkeit erfordert es aber anzumerken, dass 1204 die christlichen Kreuzfahrer in der Stadt ähnlich gewütet hatten wie die Osmanen - und mit der  Eroberung, zumindest aus türkischer Sicht, eine neue glanzvolle Ära der Stadt anbricht!)

 

Mehmet II. hatte sein Ziel erreicht, das „Tor zu Europa“ in Besitz zu nehmen. Das oströmische Reich war vernichtet, obwohl seine führenden Klassen es selbst schon im Laufe der Jahrhunderte heruntergewirtschaftet hatten und es nur noch aus einem Rest bestand. Die Eroberungszüge der Türken gingen weiter, Griechenland, der Balkan waren gefallen, Ungarn war umkämpft …1529 belagerten sie Wien. Auch Sizilien und Unteritalien waren bedroht und damit Einflussgebiete der aragonesischen Krone. Denn nachdem König Alfons V., „el Magnànim“, der Großmütige oder Großartige, Neapel erobert hatte, verlegte er seinen Hof dorthin.

 

Türkische Korsaren wurden zum Schrecken des Mittelmeeres, 1527 überfielen sie Cadaques, Roses und Palamos. Die nicht geflüchteten Einwohner wurden niedergemacht oder in die Sklaverei verkauft. Das Versäumnis der christlichen Reiche des Westens, dem bedrängten Byzanz zur Hilfe zu kommen, hatte seine Folgen.

 

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Joanot Martorell
Joanot Martorell

2. Januar 1460, Valencia, Calle del Mar

 

Die Sonne neigte sich dem Untergang zu. Das lebhafte Treiben in den Straßen ebbte ab Mossèn Joanot Martorell fröstelte und schlug den Kragen seines Mantels hoch. Auf seinem schmalen Gesicht mit den scharf blickenden Augen, umgeben von einer Pagenfrisur, lag ein mürrischer Zug.

 

Er hatte wieder einmal den Junker Marti Joan de Galba besuchen müssen. Er hatte den Junker bei einem Buchhändler kennen gelernt. Da waren beide über die in Valencia aufblühende Literatur ins Gespräch gekommen. Galba besaß eine große Bibliothek, meist fromme Bücher, nicht das, was Joanot schätzte, aber es waren einige Ritterromane und philosophische Werke dabei. Joanet hatte sich manches Mal einige der teuren Wälzer ausgeborgt. Martorell schätzte Ritterromane, wenn auch er sie meist zu abgehoben fand. In jungen Jahren bei einem Aufenthalt in England, das in Anspruch nahm, die Heimat des sagenhaften König Artus zu sein, hatte er selbst einen übersetzt, „Guillem de Varoic“. Es handelte sich um einen ritterlichen Grafen, der Einsiedler wurde, aber dann doch wieder die Waffen ergriff, um England von Feinden zu befreien.

 

Galba war kein Gelehrter, er war Kaufmann. Er lebte zwar auch noch von seinen Landgütern, aber seinen Hauptverdienst bezog er aus Handelsgeschäften, wobei er mit allem handelte, was gerade Geld brachte, Bücher, Seide...

 

Vor wenigen Jahren erst war die Bücherherstellung mit der Druckpresse im fernen Alemania erfunden worden. Nun brauchte man die Manuskripte der Schriftsteller nicht mehr mühsam mit der Hand abzuschreiben. Sofort erschienen Bücher berühmter Autoren aus der Antike und der Gegenwart auf dem Markt, billiger als die alten handgeschriebenen pergamentenen Folianten, in größerer Zahl, aber immer noch so teuer, dass nur Wohlhabende sie sich leisten konnten. Zu denen gehörte er, Martorell, nicht. Aber Bücher schreiben, das bot nun Aussichten, schnell berühmt zu werden und auch einiges zu verdienen. Man musste nicht mehr in der Gelehrtensprache Lateinisch schreiben. Es war modisch geworden, in der Volkssprache, hier dem Valencianischen, das sich nur wenig vom Katalanischen unterschied, zu schreiben. Hatte nicht sein im letzten Jahr verstorbener Schwager, Ausiàs March, Ritter wie er, nach Jahren ritterlich-kriegerischer Tätigkeit mit seinen Liebesgedichten am valencianischen Königshof Triumphe gefeiert? Und verkauften sich seine nun auch gedruckten Gedichtbände nicht gut?

 

Valencia im Mittelalter
Valencia im Mittelalter

Valencia war in ein „goldenes Zeitalter“ eingetreten. Der Handel florierte in der Seestadt, Valencia war zur größten Stadt im christlichen Teil der Iberischen Halbinsel angewachsen. Doch auch die Literatur, die Malerei, die bildende Kunst, die Musik erblühte. Neue Ideen, vor allem aus Italien kommend, beflügelten Künstler und Denker und verbanden sie mit den Gebildeten in aller Welt. Die große Zeit der antiken Kunst, Literatur, Philosophie und Wissenschaft schien in neuer Form wiedergeboren zu werden. Die aus dem eroberten Konstantinopel geflohenen Gelehrten, die zum großen Teil Aufnahme am Königshof von Neapel Aufnahme gefunden  hatten, trugen maßgeblich zu dieser „Renaissance“ bei. Durch die Druckerkunst konnten jetzt Schriften mit den neuen Ideen schnell überallhin verbreitet werden.

 

Zur Bücherherstellung benötigte man Papier, viel Papier. Valencia war zu einem Zentrum der Papierherstellung geworden. Man brauchte hierzu Leinenfasern, die man aus Hanf gewann und der wurde in der Umgebung von Valencia reichlich angebaut. Joanot trug einen dicken Packen Papier unter dem Arm, den er eben erstanden hatte, nebst Tinte und Federkielen. Das Geld dafür stammte aus einer Summe, die er sich von Galba geliehen hatte, denn der betätigte sich auch als Pfandleiher.

 

So richtig konnte Martorell den Junker nicht leiden. Er war mehr Bürger als Adliger. Martorell ärgerte sich darüber, dass die Bürger immer mehr Einfluss bekamen, im Rat, am Hofe. Sie hatten das Geld, und Ritter wie er veramten zusehends. Es waren doch die Ritter, dachte er, die das Land hier von den Mauren erobert hatten, die die Kriegszüge des Königs führten. Gott hatte ihren „Orden“ eingesetzt, um Gemeinschaft, Kirche und Glauben zu schützen. Ihnen gebührte Ehre, Vorrang, hohe Stellungen. Stattdessen schoben sich Pfennigfuchser und studierte Ämterschnorrer immer mehr nach oben. Wenn er auch nur aus dem niederen Adel stammte, sein Großvater und Vater waren doch einflussreiche Leute gewesen. Sein Großvater war Mitglied des königlichen Rates und so wohlhabend, dass er dem König sogar Geld leihen konnte. Sein Vater Francesc lebte als Kammerherr am Hofe Königs Marti, des Humanen.

 

Der rechte Ritter hatte Landbesitz und Dörfer, deren Bauern ihm gehörten und die für ihn arbeiteten. Neuerdings murrten die gegen die „mals usos“, den angeblichen Missbrauch der Rechte der Feudalherren. Verkehrte Welt, alles gegen die althergebrachten und gottgewollten Einrichtungen.! Man müsste die glänzenden Taten und Tugenden der Ritter den Menschen wieder vor Augen stellen! Auch den Rittern selbst, die zunehmend den Glauben an sich selbst verloren und die alten Rittertugenden vernachlässigten.

 

Joanot selbst hatte von seinem Vater Land und Dörfer geerbt. Alles war verloren gegangen. Jetzt als 50-jähriger war er, trotz seiner Dienste, die er Herrschern geleistet hatte, und der daraus resultierenden Beziehungen, mittellos und musste auf Pump leben.

 

Seine Reise nach England, die er seinerzeit unternommen hatte, war sehr kostspielig gewesen. Er hatte die Reise unternommen, um die Ehre seiner Familie zu wahren. Vetter Joan de Monpalau hatte seiner Schwester Damiata die Ehe versprochen, sie verführt und dann im Stich gelassen. Das musste gerächt werden. Joanot hatte den wenig glücklichen englischen König, Heinrich VI., zum Schiedsrichter für einen ritterlichen Zweikampf auf Leben und Tod auserwählt. Aus dem Kampf wurde nichts, da ihn die in Valencia als Statthalterin amtierende Königin Maria verhinderte. Aber immerhin schlug der König den jungen Martorel zum Ritter, der fortan die Ehrenanrede „Mossèn“ in Anspruch nehmen durfte.

 

Während der Abwesenheit Joanots hatte die Familie seine Güter verpachtet. Nach seiner Rückkehr eroberte er sie sich mit Gewalt wieder. Seiner Auffassung nach hatte er sich nur sein Recht geholt. Doch die Gerichte sahen das anders und gaben dem Pächter Recht. Kurzerhand hatte Joanot seine Güter verkauft. Das Geld ging bald drauf – ein Ritter hat schließlich Kosten, für Rüstungen, Pferde, standesgemäße Kleidung, Turniere, Fehden…Und dann hatte er keine Einkünfte mehr und musste sich zum Heeresdienst verpflichten, der aber auch nur wenig einbrachte.

 

Seine Geldnot war so groß gewesen, dass er es einigen der veramten Standesgenossen gleich tun musste, die man als „Raubritter“ bezeichnete. Er überfiel mit einer Bande von Outsidern, Mauren, eine Gruppe von Viehhändlern, die ihre Tiere zum Verkauf trieben, und beraubte sie ihrer Kasse und Kleider. Einer der Händler war dabei bedauerlicherweise umgekommen. Er selbst hatte sich aber nicht am Totschlag beteiligt. Martorell hatte dann die Männer in einer Burg eingekerkert. Zugegeben, das war nicht die feine Art, wie man sie heutzutage in höfischen Kreisen propagierte. Die konnten sich leisten, „höflich“ zu sein! Er nicht! Seiner Auffassung war er damals nach alter Sitte „im Krieg“ gewesen und da gelten eben andere Regeln. So hatte er es den protestierenden Viehhändlern erklärt. Leider sahen die Gerichte auch das anders. Mit Empörung und Scham dachte er daran, dass man ihn und den Burgvogt festnahm, sie wie gemeine Verbrecher öffentlich durch Valencia führte und dann 33 Tage ins Gefängnis steckte. Seitdem hatte er einen Hass auf die Juristen, diese moderne Landplage, die immer mehr Land und Leben mit ihren Gesetzestüfteleien überzogen.

 

Jeanot war bei seinem Gang ins Sinnen gekommen und er hatte nicht mehr auf seine Umgebung geachtet. Plötzlich löste sich vor ihm aus einem unbeleuchteten Torbogen eine kleine Gruppe dunkler Gestalten. Junge Mauren, wie Jeanot sofort erkannte. Nachdem Jaume I. 1238 Valencia erobert hatte, durften die Mauren bleiben, auch ihre Religion und Gebräuche behalten. Man brauchte sie als Arbeitskräfte. Aber viele – gerade in den Städten - lebten im Elend – und Armut schafft Verbrechen. Die Gruppe junger Männer umringte ihn, sie blickten begehrlich auf den Packen, den er unter den Armen trug. Joanot straffte sich und griff zum Dolch, den er stets unter dem Mantel trug. Er hatte keine Angst. Er war kampferprobt und kannte alle Tricks des Nahkampfes. Stets hatte er denen, die seine Ehre angriffen, die Fehde angesagt. Zwar blieb es dann meist bei verbalen Gefechten – seine mannigfachen Fehdebriefe legten davon Zeugnis ab – aber er war immer zu einem Kampf bereit gewesen, und sei es auf Leben oder Tod! Außerdem konnte er gut mit Mauren umgehen. Er nutzte den Augenblick ihres Zögerns und warf ihnen einige scharfe Worte in ihrer Sprache zu. Sie stutzten und verschwanden so urplötzlich, wie sie aufgetaucht waren.

 

Joanot setzte seinen Weg fort und war bald bei dem Stadthaus angelangt, das seine Vorfahren in Valencia erworben hatten. In der Calle del Mar hatten sich Noble angesiedelt, auch das Judenviertel befand sich hier, wo eine Reihe durchaus nicht armer Händler lebte, die den Adligen nicht selten mit einem Darlehen unter die Arme griffen. Das Haus der Familie Martorell war im Stile der valencianischen-katalanischen Herrenhäuser gebaut, zwei Stockwerke um einen Innenhof, Wandelgang mit gotischen Fenstern im oberen Stockwerk. Freilich merkte man an sichtbaren Spuren der Vernachlässigung, dass die Bewohner nicht mehr den ehemaligen Lebensstil aufrechterhalten konnten.

 

Nach der Rückkehr Joanots aus Italien, wo er sich lange Zeit in Neapel am Hofe Alfons V. aufgehalten hatte, war er von seinem Bruder Galceran aufgenommen worden. Mit ihm hatte er vieles gemeinsam unternommen.

 

Joanot klopfte an das Tor. Ein dunkelhäutiger Diener, Maure, öffnete und hieß ihn willkommen. Joanot durchquerte die Eingangshalle, den Vorhof und stieg langsam die Treppen hoch. Er blickte in den mondbeschienenen Vorhof und geriet wieder ins Sinnen.

 

Er erinnerte sich an Italien. Wie war er dahin gekommen?

Nach der Eroberung Neapels hatte sein König, nun der mächtigste Fürst des Mittelmeeraumes, erklärt, er wolle die Schmach der Eroberung Konstantinopels rächen und einen Feldzug unternehmen, um die Stadt wieder zu befreien.

 

In Valencia hatte man die Vorgänge um Konstantinopel aufmerksam verfolgt, zumal Valencianer betroffen waren. Valencianische Kaufleute bezogen Seide, mit der sie handelten, aus dem Orient, über Konstantinopel. Joanot hatte als christlicher Ritter erwartet, dass die Fürsten und Ritter den bedrängten Byzantinern zu Hilfe eilen würden. Nichts geschah! Als sein König den Plan des neuen Kreuzzuges kundtat, war er sofort bereit, sich zur Verfügung zu stellen. Er war nach Neapel gereist. Aber aus dem Vorhaben des Königs wurde auch wieder nichts. Immerhin erreichte Joanot, dass eine alte Angelegenheit bereinigt wurde. Der König verfügte, dass der wortbrüchige Monpalau eine Entschädigung an die verführte Schwester „unseres geliebten Mossèn Janot Martorell“ zu zahlen habe.

 

Außerdem hatte Martorell am Hofe des Königs Umgang mit einer Reihe von Künstlern, Schriftstellern und Philosophen. Unter ihnen war der berühmte humanistische Gelehrte, Schriftsteller und Diplomat Enea Silvio Piccolomini. Er war einer, der die Gefahren der türkischen Expansion sah und die christlichen Fürsten Europas zur Einigkeit und zum Handeln aufforderte. Er belebte die Bezeichnung „Europa“ von neuem und schloss das byzantinische Reich darin ein. Als Papst Pius II. lud er die Fürsten 1459 zu einem Kongress in Mantua ein. Mit flammenden Reden kritisierte er ihre Untätigkeit und rief sie dazu auf, den Vormarsch der Türken zu stoppen. Vergeblich!

 

Martorell hatte das alles aufmerksam mitverfolgt. Als dann König Alfons 1458 starb und sein unehelicher Sohn Ferrando die Nachfolge in Neapel antrat – Martorell missbilligte dies – verließ er Italien enttäuscht.

 

In ihm war ein Plan gereift. Wenn er schon nicht mit seinen Waffen eingreifen konnte, so wollte er das in anderer Weise tun, mit seiner Phantasie, seiner schriftstellerischen Begabung. In einem Buch wollte er darstellen, wie es hätte sein können, sein müssen! In seiner Vorstellungskraft wuchs die Gestalt eines Ritters, der alle ritterlichen Tugenden verkörpern würde. Sein Held sollte alle Entwicklungsstufen zum Ritter durchlaufen, sich in den europäischen Ländern bewähren, sich Verbündete suchen und dann nach Konstantinopel ziehen, um dem oströmischen Kaiser im Kampf gegen die türkische Bedrohung beizustehen. Dank seiner Fähigkeiten würde es ihm gelingen, das griechische Reich zu befreien und sogar zum „Cäsar“, zum Nachfolger des Kaisers, ernannt werden. Er musste nicht nur ein glänzender Ritter sein, sondern auch überragende Feldherrnkunst besitzen. Denn Martorell war es nicht entgangen, dass die Zeit der fahrenden Ritter und das Einzel-Kämpfertums vorbei war. Auf ritterliche Tapferkeit konnte man nicht verzichten, aber um Siege zu erringen, brauchte man finanzielle Mittel, große Heere, Strategie, Belagerungstechnik und Kanonen Sein Held sollte der Welt zeigen, wie die Osmanen besiegt werden könnten!

 

Doch er, Martorell, war nicht der Mann, der eine Propagandaschrift für den Kreuzzug in die Welt setzen wollte. Er hatte auch nicht vor, eine Abhandlung über das christliche Rittertum zu schreiben, wie der große Ramon Llull in seinem Dialog zwischen einem Einsiedler und einem Ritter-Aspiranten, "Libro del Orden de Caballería“, den er 1281 verfasst hatte. Joanot schätzte diese Schrift über den „Orden der Ritter“ über alles und er hatte vor, in seinem Geist zu schreiben und Teile zu übernehmen. Aber er war kein Theoretiker, sondern ein Mensch mit Welt- und Lebenserfahrung! In seinem Roman würde die Liebe eine große Rolle spielen! Sein Held sollte sich verlieben, am besten in die oströmische Kaisertochter! Das versprach spannende Verwicklungen! Er wollte die ganze bunte Welt schildern, die sein Held durchlief, Länder Europas, die er, Joanot, selbst kennen gelernt hatte, das, was er von der Pracht Ostroms und dem Zauber des Orients gehört und gelesen hatte. Nicht nur das: die Fülle des Menschseins, die unterschiedlichsten Charaktere, Überzeugungen, Schicksale, Gut und Böse, Glaube und Unglaube, Erfolg und Niederlage, Humor und Tragik, Geschichten aus alter und neuer Zeit - all das wollte er in seinem Buch zu einem Reigen des Lebens und zu einem Zeugnis seiner Zeit gestalten. Und das sollte nicht so abgehoben wie in den alten Ritterromanen geschehen, sondern wirklichkeitsnah, so wie menschliches Leben ist, auch wenn es eine erfundene Geschichte sein würde, in die er seine Leser führen wollte. Das entsprach dem neuen Zeitgeist, dem auch er sich geöffnet hatte. Der Mensch und das, was er vermochte, stand jetzt im Mittelpunkt des neuen Denkens.

 

Joanot hatte nach Vorbilder nach seinem Helden gesucht. Natürlich war da Sankt Georg, der Patron der Ritter, der „weiße Ritter“, der eine Königstochter befreit und den Drachen getötet hatte, das Untier war längst zum Symbol der Christenfeinde geworden. In der „Cronica“, die der weit herum gekommene Ramon Muntaner 1325 begonnen hatte, ebenfalls in der Volkssprache, in Katalanisch, war zu lesen, dass das Grab des Heiligen sich in Tira befinden sollte, nahe Ephesus, jetzt auch von den Türken erobert. In der Chronik des Muntaner hatte Joanot auch von Roger de Flor gelesen, Sohn eines deutschen Falkners, eigentlich hieß er Rutger von Blum. Ausgestoßen aus dem Templerorden, wurde er Pirat und trat dann in den Dienst Friedrich II. von Sizilien. Er sammelte die dort nicht mehr benötigten Almogàvers um sich, katalanisch-aragonesische Söldner. 1303 schiffte er sich mit seiner Flotte nach Konstantinopel ein, um unter Kaiser Andronikus II. gegen die Seldschuken zu kämpfen, Auf Grund seiner Erfolge wurde er zum Cäsar erhoben, zum Oberkommandierenden gemacht und heiratete in die kaiserliche Familie ein. Er fand ein tragisches Ende: der junge Kaiser Michael ließ ihn ermorden. Und in der Gegenwart: hatten nicht alle bewundernd auf den ungarischen Adligen und General János Hunyadi geblickt, den „weißen Ritter aus der Wallachei“. Er hatte 1456 Sultan Mehmed durch einen glänzenden Sieg seiner Flotte gezwungen, die Belagerung Belgrads abzubrechen und sich wieder nach Konstantinopel zurückzuziehen. Sein ruhmreicher Lauf wurde durch die Pest beendet. Viele sahen in ihm die Inkarnation des christlichen Ritters, zudem war er einer, der Heere mit Taktik und Strategie einzusetzen wusste.

 

An alle diese Gestalten ließ sich trefflich anspielen, dachte Martorell. Seine Leser würden das verstehen! Aber sein Held sollte eine eigene Figur mit eigenem Schicksal werden!

 

Joanot wandte sich von der Balustrade ab. Heute noch wollte er mit seinem Roman beginnen! Er begab sich in sein Zimmer, zündete schnell einige Leuchten an und sah, dass man ihm ein Abendessen bereitgestellt hatte. Er setze sich vor seinen Schreibpult, legte einen Bogen Papier vor sich, tunkte den Federkiel in Tinte und schrieb:

 

Libre del valeros e strenu caualler Tirant lo Blanch

(Das Buch vom tapferen und kühnen Ritter Tirant der Weiße)

 

Das nun war der Titel des Buches, mit dem er schon so lange schwanger ging. Den Namen seines Helden hatte er mit Bedacht gewählt, die Bedeutung „straff“ steckt darin, aber auch „Verbindungsbalken“ und weitere Anspielungen. Schnell schrieb er die Widmung nieder. So gehörte es sich, man widmete Bücher einer hoch gestellten Persönlichkeit! Dem neuen König Joan von Aragon-Katalonien wollte es nicht widmen, er war bei den Adligen unbeliebt, weil er deren Feudalrechte beschnitt und sich auf die Bauern stützte. Und dem Bastard Ferrando in Neapel schon gar nicht! Er widmete sein Buch einem anderen Ferrando, dem Kronprinzen von Portugal.

 

Da war er nun in einer etwas schwierigen Lage! Den Prinzen hatte er auf seiner Reise nach England in Lissabon kennen gelernt. Mit ihm verband ihn das Interesse an „den Taten der tapferen und hochberühmten Ritter von einst, deren Lob die Dichter und Geschichtsschreiber in ihren Werken gesungen haben“. Er hatte auch Ferrando sein Buchvorhaben mitgeteilt und um die Authentizität der „Geschichte der Taten Tirants“ zu erhöhen, angegeben, es handle sich um eine Originalquelle in englischer Sprache. Der hohe Herr hatte ihn gebeten, die Schrift ins Portugiesische zu übersetzen. Was nun tun? Joanot hatte eine elegante Lösung. Er schrieb, um dem Prinzen zu gefallen, dass er das Buch vom Englischen ins Portugiesische übersetzt habe und es nun in die valencianische Umgangssprache übertrage, „damit die Leute meines Heimatlandes“ sich daran „ergötzen“ und „höchlich erbauen mögen“ (die würden ja seine Hauptleser und Abnehmer sein!). Klippe umschifft und zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen! (Und die späteren Kommentatoren würden sich die Köpfe zerbrechen, in welcher Sprache nun das Original Martorells geschrieben sei!)

 

Dann schrieb er rasch den „Prolog“ zu seinem Buch in Valencianisch nieder. Das sollte für heute genügen! Er würde noch viele Tage an seinem Roman arbeiten müssen, und er war selbst gespannt, wohin es ihn noch führen würde! Ein wenig war ihm bange, ob er in seinem fortgeschrittenen Alter das Riesenwerk, das da wohl entstehen werde, würde vollenden können.

 

24.April 1465, Tribunal de Gobernación in Valencia

 

Es erscheinen vor dem Gericht: Mossèn Galceran Martorell und der ehrbare Junker Marti Johan de Galba. Mossèn Martorell erklärt, in den Händen des Junkers befindet sich ein wertvolles und umfangreiches Manuskript betitelt „Tiran lo Blanch“. Dieses Buch gehört in den Besitz seines verstorbenen Bruders, des Ritters Joanot Martorell. Er beantragt, die Auslieferung des Buches an das Gericht, eine öffentliche Versteigerung, und die Aushändigung des Erlöses an ihn, denn sein Bruder habe große Schulden bei ihm gehabt. Junker Galba weigert sich, dieser Forderung nachzukommen. Er begründet dies damit, dass er das Konvolut als Pfand für 100 Reales erhalten hat, die er dem Ritter vorgestreckt habe und die mehr wert seien als das Buch. Bedingung ist gewesen, dass er über das Manuskript nach Belieben verfügen könne, wenn die Schuldsumme nicht innerhalb eines Jahres zurückgezahlt würde. Dies ist nicht der Fall gewesen. Junker Galba weist einen Schuldschein vor, der dies belegt. Mossèn Galceran hingegen kann nichts Schriftliches vorweisen, da es ein Vorgang unter Verwandten gewesen sei.

 

Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Es urteilt, dass der Pfandleiher Galba im Recht sei, da er seine Ansprüche im Gegensatz zu Martorell belegen könne. Somit könne ihm das Manuskript nicht entzogen werden.

 

Jodokus Amman, Drucker-Werkstatt im 16. Jh.
Jodokus Amman, Drucker-Werkstatt im 16. Jh.

Im Jahr des Herrn 1489 – in der Drucker-Werkstatt von Nicolau Spindeler in Valencia

 

Vor kurzem erst hatte Nikolaus Spindeler seine Druckerei in Valencia aufgemacht. Nikolaus hatte in Zwickau, seiner Heimatstadt, die Druckerkunst erlernt. Aber in Deutschland sah er keine Zukunft für sich – es gab schon zu viele Drucker-Werkstätten und die Meister in den Städten wachten eifersüchtig darüber, dass niemand eine neue Druckerei eröffnete.

 

Sein Blick hatte sich nach Spanien gewandt. Dort beherrschten bislang nur wenige das Handwerk, aber wie man hörte, wurde auch dort viel Literatur hervorgebracht. Er hatte sich erst in Barcelona niedergelassen. Aber als Ausländer und Bücherproduzent war er der Inquisition verdächtig gewesen. Sie war vor kurzem von den „Katholischen Königen“ in Katalonien und ganz Spanien eingerichtet worden So hatte er Barcelona verlassen, sich erst in Tarragona und dann in Valencia niedergelassen. In Valencia herrschten noch freiere Verhältnisse.

 

Die Wechsel waren für ihn geschäftlich nicht günstig gewesen, aber er hatte genügend Erfahrungen mit den hiesigen Umständen gesammelt; er wusste, was an Druckerzeugnissen gefragt war. Das für ihn erst schwierige Katalanisch beherrschte er jetzt zur Genüge.

 

Nun wartete Spindeler auf die ersten Aufträge…

Die Tür öffnet sich und herein stolziert ein älterer, vornehm gekleideter Senyor mit einem dicken Packen unter dem Arm. Er stellt sich als Junker Galba vor und teilt mit, dass er einen Auftrag für die Werkstatt des Druckers habe. Er packt das Konvolut, das er mitgebracht hat, aus: ein umfangreiches Manuskript, handgeschrieben, mit Einfügungen, Ergänzungen und Korrekturen von anderer Hand. Ein Ritterroman, wie Junker Galba erklärt, mit allem, was man von einem solchen Roman erwartet. Es stamme aus dem Nachlass eines weit gereisten und gebildeten Ritters, der das Werk aus einem Original übersetzt habe, aber durch seinen Tod daran gehindert worden sei, es fertig zu stellen. Die vornehme Dame Dona Isabel de Lloris aus Portugal habe schon vor einiger Zeit eine Abschrift erhalten und und ihm dringend empfohlen, es zu vollenden und zum Druck zu geben. Er habe lange daran gearbeitet und einiges verbessern und zufügen müssen. Er wisse ja – sagte der Junker mit einem Augenaufschlag zum Druckermeister – die Kirche! Manches in dem Werk sei wohl nicht ganz im Sinne der hochheiligen, allein selig machenden Kirche gewesen, der wir ja alle gläubig anhängen…Und dann sei der Ritter den Muslimen gegenüber zu freundlich eingestellt gewesen, in seinem Werk bezeuge er seine Achtung vor muslimischen Rittern und Weisen. Aber man wisse ja, dass diese Abtrünnigen nichts Gutes gegen uns Christen im Schilde führen. Er sei nun also Mitautor des Werkes geworden und wolle als solcher auch genannt werden. Man wartet hier auf die Veröffentlichung des Werkes, sagt er.

 

Dem Drucker kommt der Junker etwas aufgeblasen vor. Aber er schweigt, da er sofort erkennt, dass es sich um einen umfangreichen Auftrag handelt, der einiges an Gewinn verspricht. Ritterromane sind beliebt und verkaufen sich gut. Und der Mann scheint Verbindungen zu haben. Das könnte ein guter Einstieg in Valencia sein.

 

Galba und Spindeler ziehen sich in das Kontor des Druckers zurück. Der Drucker blättert das Manuskript durch. „Ich gehe das Wagnis ein“ denkt er. Dann handeln die die beiden die Bedingungen des Druckervertrages aus. Der Junker entpuppt sich als gewiefter Handelsmann, der möglichst wenig zu den Druckkosten vorschießen und sich einen hohen Anteil am Verkaufserlös sichern will. Nach langem Feilschen kommen sie zu einem Ergebnis, mit dem der Drucker arbeiten und leben kann. Der Druck des Tirant kann beginnen.

 

Spindeler beginnt noch am selben Abend das Werk zu lesen und setzt die Lektüre in den kommenden Tagen fort. Es ist nicht immer einfach, die Handschriften zu entziffern, aber bald hat er sich eingelesen und kommt immer schneller voran. Ein Drucker ist ja in diesen Zeiten nicht nur Handwerker, sondern auch Verleger, er muss ein Buch lesen, beurteilen, verstehen, gut aufbereiten können. Er merkt, das riesige Werk muss in Bücher aufgeteilt, Kapitelüberschriften müssen eingefügt werden…

 

Der Anfang ist etwas langwierig, manches kommt ihm bekannt vor, das bleibt im Rahmen der üblichen Ritterromane. Der Ritter und der Einsiedler, die Aufzählung der Rittertugenden, der Held, der alle Gegner siegreich zu Boden schlägt… Aber dann wird er immer mehr von der Handlung gefesselt, vollends als es nach Konstantinopel geht. Das ist aktuell, denkt er, so hätte die christliche Welt handeln müssen wie dieser Tirant! Die bunte und realistisch geschilderte Welt, in der sich der Held bewegt, ein menschlicher und empfindsamer Held, der nicht nur das Schwert, sondern auch seine Vernunft einsetzt, der von Gefühlen bewegt wird und sie ausspricht, die lebensnah gezeichneten Charaktere, die Leidenschaften, die die Personen antreiben, das ist anders als in früheren Ritterromanen, neu, modern und wird das Interesse der Leser finden…Ein wenig stören ihn die vielen Reden, die den Handlungsablauf anhalten, aber das ist nun mal heute so üblich, man redet viel, ehe man handelt, die Reden geben das wieder, was man von den Personen erwartet, und der Autor zeigt seine rhetorischen Künste.

 

Als Spindeler nach Tagen an das Ende kommt, ist er bewegt von dem tragischen Schicksal des Helden und seiner Geliebten. Ja, so ist das Leben, das Schicksalsrad dreht sich unablässig und nimmt keine Rücksicht auf Stand und Pläne - diese Erfahrung kann man allenthalben machen!

 

Er ärgert sich auch über den aufgeblasenen Galba. An der Handschrift konnte er gut erkennen, was vom eigentlichen Autor und dem Bearbeiter stammte. Galba hatte einiges eingefügt, was den Lesern entgegen kommen sollte: eine lobende Erwähnung Valencias, eine stramme Missionspredigt, Mirakel, die die Überlegenheit des christlichen Glaubens zeigen sollten und die Muslime als Verdammte herabsetzten… Er hatte gegen Ende des Buches Passagen eingefügt, vor allem in Nordafrika, die den Zusammenhang störten. Auch die Bemerkungen, die er gegen Ende des Buches immer häufiger einschob, passten gar nicht zum Stil Martorells, der sich aller Einmischungen in die Welt seines Buches enthob.

 

Spindeler kam zu dem Schluss, dass der Erstautor das Buch fertig gestellt hatte, und dass die Bearbeitung Galbas weitgehend überflüssig war. Er war sich auch im Klaren, dass das Gerede von einer Übersetzung fingiert war, denn wer sollte so etwas Eigenwilliges und Aktuelles vor Martorell geschrieben haben? Nun sei´s drum, dachte er, er würde dem Junker seinen Willen und seine Behauptungen lassen! Mochte sich die Nachwelt streiten, was von Martorell oder anderen und was von Galba stammte! Eines wusste er, der Druck würde einige Zeit brauchen, aber das Buch würde ein Erfolg werden. Und dann machten er und seine Gesellen sich an die Arbeit des Druckens.

 

Titelbild des "Tirante" in der spanischen Übersetzung Valladolid 1511
Titelbild des "Tirante" in der spanischen Übersetzung Valladolid 1511

Valencia, 20. November 1490

 

Der „Tirant“ wird in 5 Büchern aus der Werkstatt des verstorbenen Nikolau Spindeler ausgeliefert (ein Schweizer Drucker-Meister hatte sein Werk fortgeführt). Als Verfasser werden die „trefflichen Ritter“ Joanot Martorell und Marti Joan de Galba genannt. (Auch Galba war bereits verstorben.) Das Werk erscheint in einer für damalige Verhältnisse hohen Auflage: 715 Exemplare. Es verkauft sich gut: ein „Bestseller“ der damaligen Zeit.

1497 erscheint in Barcelona ein weiterer Druck in 300 Exemplaren, editiert von den Gebrüdern de Gumiel.

 

1511 gibt einer der Brüder de Gumiel in Valladolid eine Übersetzung ins Spanische heraus: Tirante el Blanco de Roca Salada.

1538 erscheint in Venedig eine italienische Übersetzung .

Der Graf von Caylus veröffentlicht 1537 eine französische Fassung, gedruckt in London.

 

Rund hundert Jahre Jahre nach dem Erscheinen der spanischen Ausgabe des Tirant lässt Cervantes im „Don Quijote“ den Pfarrer bei einer Musterung und Verbrennung der Bücher Don Quijotes zum Barbier sagen: „Da ist ja der Tirante el Blanco… Ich sage Euch, mein Herr Genosse, das ist wegen seines Stiles das beste Buch der Welt: da essen die Ritter, sie schlafen und sterben in ihren Betten, sie machen vor ihrem Tod ein Testament, das entbehren die vorigen Bücher dieser Art…nehmt es mit nach Hause und lest es, ihr werdet sehen, es ist die Wahrheit, was ich Euch sagte.“

 

Und nun ein großer Sprung - Weihnachten 2013

 

Ein Paket kommt bei mir, dem Autor dieser Zeilen, an, von meinem ältesten Sohn. Ich packe es aus. 3 dicke Bände in einem Schuber:

 

Der Roman vom weißen Ritter Tirant lo Blanc. Aus der altkatalanischen Sprache des Königreichs Valencia erstmals ins Deutsche gebracht von Fritz Vogelsang, S. Fischer Verlag 2007.

 

Eine schöne Überraschung! Mein Sohn kennt mein Interesse an katalanischer Literatur. Natürlich habe ich von diesem Buch schon viel gehört und gelesen, es soll zur Weltliteratur gehören, ein Vorläufer des modernen Romans sein. Bisher ist es aber mir noch nicht in die Hände gekommen, es ist auch ziemlich teuer.

 

Nun endlich kann ich selbst nachprüfen, ob all das Rühmende stimmt, was man in Katalonien über dieses Buch sagt. Ich bin gespannt!

 

Ich beginne zu lesen. Es geht mir, wie ich es in meiner Schilderung dem Drucker Nicolaus Spindeler in den Mund gelegt habe. Ich lese mich nur langsam ein, finde den Anfang mit seinen ewigen Ritterkämpfen, in denen die Helden stets siegen, und die langen Reden, die sie halten, ermüdend. Das ständige "Krieg-Spielen" kommt mir pubertär vor...

 

Und dann werde ich doch in das Buch hineingezogen. Die Reden nehme ich als kulturgeschichtliche Zeugnisse, aber die Handlung, das Geschick des Helden und seiner Mitpersonen wird immer fesselnder. Die Verwicklungen häufen sich und ich bin gespannt, wie der Autor sie löst.

 

Neben der Lektüre des Romans beschäftige ich mich mit der Person und Zeit des Autors. Das Vor- und Nachwort des Übersetzers im ersten Band gibt aufschlussreiche Auskünfte. Auch das „Nachwort“ des peruanischen Schriftstellers Mario Vargas Llosa im dritten Band ist erhellend. 2007 geschrieben hat es zu einer „Wiederentdeckung“ des Romans geführt. Llosa entdeckt in dem alten Werk Techniken des modernen realistischen Romans! Ich stelle fest, dass es eine umfangreiche Martorell-Literatur, zumeist in der Katalanistik, gibt. Vieles in der Biographie des Autors und im Roman ist umstritten. In meinem erzählerischen Zugang zu Person und Buch Martorells habe ich versucht, neue Erkenntnisse einzuarbeiten. Aber es bleibt manches offen: z.B. wo der Roman geschrieben wurde – meine Verortung in Valencia ist möglich, aber hypothetisch!

 

Nach zwei und einem halben Monat habe ich das Werk ausgelesen. Ich bin in die Welt des Spätmittelalters, der Renaissance, eingetaucht. Mir scheint, das Werk Matorells steht an der Schwelle zweier Zeiten. Es blickt nach dem Mittelalter zurück, aber trägt auch Züge der beginnenden Neuzeit.

 

Vieles ist für uns zeitgebunden und nur kulturgeschichtlich interessant. Aber in einer Zeit, in der Ritterspiele im Internet und mittelalterliche Feste florieren, in denen Phantasy-Romane wie "Dre Herr der Ringe" Erfolge erzielen, könnte der Roman Martorells doch wieder eine Chance haben. Er ist kein "Aufguss", sondern das Original-Zeugnis einer historischen Situation !

 

Trotz der fernen Zeiten, in denen das Buch spielt, hat mich aber manches angesprochen, die Psychologie der Personen, ihre Widersprüchlichkeit, die Gefühle und Leidenschaften, die sie bewegen, ihre Leiden, die Versuche, ihre Bestimmung zu finden, das Leben, seine Herausforderungen und Wechselfälle zu meistern…Ich finde Aussagen, die auch heute noch gültig sind, z. B. in einer Rede, die der muslimische Unterhändler und Weise Abdullah Salomon an den siegreichen Tirant hält. Die Rede ist eine Art „Fürstenspiegel“, in der es darum geht, welche Qualifikationen ein Herrscher haben soll. Dabei scheint Martorell die Missbräuche byzantinischer Kaiser, aber auch westlicher Herrscher, vor Augen zu haben: 

 

"Und wahrlich, kein Krieg kann härter sein, als der Kampf, den ein Mensch gegen sich selbst, gegen die Gewohnheiten und Lässigkeiten seines eigenen Wesens zu führen hat.“

„Es ist besser, reiche Untertanen zu haben, als die Staatskasse zu füllen, bis sie überquillt.“

„ Sein Herzensanliegen sei es, diejenigen zu lieben, über die er herrscht; denn wer liebt, lässt Liebe wachsen und gedeihen. Umgekehrt gilt aber, dass man ein Reich nicht übler gefährden und ins Wanken bringen kann, als wenn man versucht, es gegen den Willen derer zu regieren, die darin wohnen.“

„Der Fürst muss erkennen, dass sein Stand auf der Wahrheit gründen muß, auf der unerschütterlichen Verläßlichkeit seines Worte.“

 

Da ist manches dabei, was auch heutige Politiker beherzigen sollten!

 

Für diejenigen, die das Buch nicht lesen wollen, gebe ich eine ausführliche Zusammenfassung des Inhalts und der Handlung. Für andere, die sich genauer mit dem Werk beschäftigen wollen, mag das eine Anregung sein.

 

Ritter im Turnier / Manesse - Handschrift, Heidelberg
Ritter im Turnier / Manesse - Handschrift, Heidelberg

1. Tirants Werdegang zum Ritter und erste Bewährung in Zweikämpfen

 

Der Roman führt über einen Umweg zur Geschichte des Haupthelden. Es beginnt mit der Schilderung des Lebens eines vorbildlichen Ritters, des englischen Grafen Wilhelm von Warwick. Über diesen Weg ergibt sich für den Autor die Gelegenheit, ausführlich über die „Themen ritterlichen Lebens“ zu sprechen. ( Martorell benutzt in diesem „Vorspann“ die erwähnte Übersetzung des „Guillem de Varoic“.) Zudem wird die Bedrohung durch maurische Invasionen thematisiert.

 

Wilhelm von Warwick – Warwick ist eine Stadt in Wales – beschließt nach einem Leben voller ritterlicher Taten – eine Pilgerreise nach Jerusalem zu unternehmen. Er verabschiedet sich von Frau und kleinem Sohn, wobei die Gräfin schmerzerfüllt zurückbleibt. Nach dem Besuch der heiligen Stätten lässt er über Mittelsmänner zu Hause mitteilen, er sei auf der Heimreise ums Leben gekommen. Er begibt sich zwar nach Warwick, lebt aber in der Nähe unerkannt als Einsiedler.

 

Inzwischen hat der maurische König von Kanarien einen Feldzug gegen England begonnen. Er besiegt den englischen König Heinrich, der sich nach Warwick, einer der wenigen noch nicht eroberten Städte, zurückzieht und dort Aufnahme bei der Gräfin findet. (Das ist natürlich eine historische Erfindung. Sinn ist: Seid nicht sicher - ein solcher Einfall muslimischer Truppen kann auch im fernen England von Afrika aus passieren!) 

 

Als die Mauren auch Warwick belagern, ist der König tief bekümmert. In einem Traum erscheint ihm die Madonna und verspricht ihm Hilfe. Er solle den ersten Mann, der ihn um ein Almosen bittet, die Führung seiner Mannen anvertrauen. Er begegnet dem Einsiedlergrafen und handelt nach dem Geheiß Marias. Der Einsiedler weigert sich zunächst, lässt sich aber dann doch erweichen. Er hat von Arabern die Herstellung von „Sprengkugeln“ gelernt, lässt sich das Material dazu geben, schleicht in Maurenkleidung in das Lager der Feinde und bringt dort die Sprengsätze zum detonieren. Sie entfachen einen gewaltigen Brand, der die Mauren in Verwirrung bringt, sodass die Kämpfer des englischen Königs die Gegner in die Flucht schlagen können.

 

Daraufhin fordert der maurische König den englischen Herrscher zu einem Zweikampf auf, der den Krieg entscheiden soll. Der schwache König will dem Kampf zwar nicht ausweichen, lässt sich aber überzeugen, dass er das lieber einem stärkeren Vertreter überlassen soll. Als solchen bestimmt er den Grafen von Warwick. Dieser ist dazu bereit, wenn der König ihm zeitweilig Königswürde und Führung überlässt. Er erhält die Zustimmung und lässt sich - immer noch unerkannt – von der Gräfin seine frühere Rüstung und Waffen geben. So tritt der Einsiedlerkönig in die Schranken. Dank seiner kämpferischen Erfahrung besiegt er den jungen Maurenkönig und tötet ihn.

 

Die Mauren halten sich aber nicht an den versprochenen Abzug. Mit Hilfe von Kriegslisten schlägt der neue Befehlshaber der englischen Truppen das Heer der Mauren, wobei sich sein noch kindlicher Sohn, den er trotz Widerstreben der Gräfin mit sich genommen hat, auszeichnet. In der Folge wird England von den Feinden befreit, die auf ihren Schiffen abziehen.

 

Der Graf von Warwick gibt sich seiner Frau zu erkennen, setzt den angestammten König wieder in seine Herrschaft ein, will aber seinem Gelübde treu bleiben und sich weiter dem „Dienst Gottes“ als Einsiedler widmen.

 

Der englische König will sich mit der Tochter des Königs von Frankreich vermählen und lässt zu diesem Anlass Adlige aus aller Welt zu großen Turnieren einladen.

 

Und hier wird nun Tirant, „ein Edelmann von altehrwürdigem Stamme und bretonischer Herkunft“ eingeführt.

 

Auf dem Weg nach London gerät er unversehens in die Einsiedelei des Grafen von Warwick. Er stellt sich dem Einsiedler als „Tirant lo Blanc“ vor, Sohn des Herrn der „Tiraner Mark“ und Blancas, einer Tochter des Herzogs der Bretagne. Der Einsiedler erfährt von ihm, dass er sich in London zum Ritter schlagen lassen will. Dies veranlasste den Eremiten, ihn in die Satzungen und Gebräuche des „Ritterordens“ einzuführen. Er belehrt ihn mit Hilfe einer Schrift (es ist das erwähnte Werk Ramon Llulls über den „Ritterorden“), was zu einem Ritter gehöre und wie sich ein Ritter zu verhalten habe. Als Beispiel führt er den Ritter „Quintus Superior“ vor, der als Gesandter des Papstes mit zwei Galeeren nach Konstantinopel kam, das schwer unter der türkischen Besatzung litt. Quintus tadelt den kleinmütigen byzantinischen Kaiser, der sich nicht getraut, gegen die Türken anzugehen, beseitigt die Entweihung der Hagia Sophia durch die Muslime und besiegt mit seiner Mannschaft die Türken. („Quintus Superior“, der „Fünfte Größere“, spielt an König Alfons V. den „Großherzigen“ an, die Gestalt dieses Ritters und sein Eingreifen erinnert an Roger de Flor – siehe die erzählerische Einführung oben.) Der Einsiedler nennt aber auch andere ritterliche Helden in Geschichte und Gegenwart. Tirant fragt ihn, warum er den hochberühmten Grafen von Warwick nicht nenne, von dem er schon so viel gehört habe. Ohne sich zu erkennen geben, erzählt der Einsiedler einige seiner ritterlichen Taten.

 

Tirant bekundet seine Entschlossenheit, in den Orden der Ritter einzutreten und diesem alle Ehre zu machen. Der Einsiedler verabschiedet ihn, gibt ihm die Schrift über das Rittertum zur Instruktion für andere mit, und bittet ihn um einen erneuten Besuch auf seinem Rückweg.

 

Nach der königlichen Hochzeit kehrt Tirant mit seinen Begleitern zum Einsiedler zurück Auf dessen Bitten berichtet er ausführlich über den Ablauf der Festivitäten und der Wettkämpfe. Martorell benutzt das, um dem Leser einen Einblick in die Prachtentfaltung solcher höfischen Feste der Renaissance-Zeit zu geben, die er selbst kennen gelernt hatte. Der Einsiedlergraf bittet Tirant zu berichten, wer als Schlusssieger aus den Turnieren hervorgegangen sei. Tirant berichtet von den Kämpfen vornehmer Herren, ohne sich selbst zu nennen. Dabei erfährt der Graf auch, dass sein jugendlicher, am Königshofe lebender Sohn sich heimlich Rüstung und Waffen von Tirant ausgeborgt und in einem Zweikampf einen starken Ritter gefällt habe. Dies, obwohl König und Mutter ihm verboten hatten, an den Turnieren teilzunehmen, um sein Leben nicht zu gefährden. Der Grafensohn verteidigt sein Tun unter Berufung auf die ritterlichen Taten seines Vaters.

 

Der Einsiedler dringt darauf zu erfahren, wer nun der endgültige Sieger der Turniere gewesen sei. Aus Bescheidenheit schweigt Tirant und läuft davon. Daraufhin ergreift sein Verwandter und Freund Diafebus das Wort und weist eine königliche Urkunde vor, aus der hervorgeht, dass Tirant zum Ritter geschlagen worden und als Sieger aus allen Waffengängen hervor gegangen sei. Diafebus erzählt, wie Tirant zum Ritter geschlagen wurde (wobei wir erfahren, wie das vor sich ging), er berichtet von seinem Schwur, Frauen und Jungfrauen, Hilflosen und Verlassenen, sofern sie im Recht sind, rückhaltslos zu Hilfe zu kommen und schildert seinen ersten Tjost als Ritter. (Auch hier erfahren wir wie ein solcher Kampf vonstatten ging).

 

Seinen ersten Gegner tötet er mit einem Lanzenstoß. (Martorell scheint sich mit seinem Stand und seiner Zeit nicht daran zu stören, dass diese ritterlichen Wettkämpfe viele Opfer forderten.). Im zweiten Kampf fällt er den Gegner mit einem Axthieb. Er will den zu Boden Liegenden schonen, der dies aber aus Stolz verschmäht. Daraufhin tötet er auch diesen mit den Worten: „Ein Ritter muss nach den Bräuchen des Kriegerordens grausam sein…“ Der Erzähler lobt die Haltung des besiegten Ritters, denn so ging er in die „Ruhmesliste der Märtyrer des Kriegerstandes“ ein. Solche Ritter wurden trotz Niederlage geehrt. Diejenigen, die ihren Stolz verleugneten, wurden als „missratene Ritter“ registriert und aus dem Ritterstand ausgestoßen.

 

Das nächste Duell, das Tirant bestehen muss, entsteht aus einem Streit, bei dem es um eine Brosche der „schönen Agnes“ geht, einer Tochter des Herzogs von Berry. Tirant trägt ihr seine Dienste an, wenn sie ihm eine Brosche gebe. Mit ihrer Zustimmung nestelt er das Schmuckstück von ihrer Brust, was den Zorn des hoch gestellten Herrn von Vilesermes hervorruft, der die Dame seit langem vergebens liebt. Er schickt Tirant einen „Fehdebrief“, der Tirant zu einem Zweikampf auf Leben und Tod auffordert. Ausführlich werden nun die Vorbereitungen zum Kampf und der Kampf selbst geschildert - die rechte Form wird von „Wappenkönigen“ als Vermittler und Schiedsrichter überwacht. Sie versuchen vergebens die Kampfeswilligen zu versöhnen. Wir erhalten hier Einblick in das Zeremoniell, wie eine solche „Fehde“ vor sich ging. Ehe der Kampf beginnt, setzen sich die Gegner durch Reden gegenseitig herunter, wobei Vilermes Tirant wegen seiner „niederen“ Abkunft schmäht. Natürlich siegt Tirant, wenn auch schwer verwundet.

 

Nun folgen weitere Kämpfe, die Tirant siegreich besteht. Absurd ist der Kampf mit einem großen Hetzhund des Prinzen von Wales, den Tirant mit bloßen Händen – um der „Waffengleichheit“ willen und einem Biss erledigt. Auch hier verleihen ihm König und Königin sowie die Kampfrichter die „Ehre des Siegertitels“.

 

Schließlich besiegt Tirant vier Herrscher, den König von Friesland, den König von Polen, den Herzog von Burgund und den Herzog von Bayern, letzterer ein Sohn des deutschen Kaisers. Alle vier hatten sich als Pilger in Rom getroffen und beschlossen gemeinsam, inkognito zu den Turnieren nach England zu ziehen. Dort treten die vier „Waffenbrüder“ - durch „Gesichtslarven“ unkenntlich - mit großer Pracht auf und fordern die Ritter am Hofe auf, gegen sie im Zweikampf auf Leben und Tod anzutreten. Dabei wollen sie in verschiedenen Kampfarten kämpfen, jeweils unter verschiedenen Symbolwörtern, die auf ihre Schilde gemalt sind. Diese lauten: Mut, Liebe, Ehre, Erniedrigung. Tirant kommt allen anderen Rittern zuvor und es gelingt ihm – mit Zustimmung des englischen Königs und der Vermittlung von vier schönen, edlen Damen – die Anwartschaft auf alle vier Duelle zu erhalten. In den Kämpfen, die dem Erzähler wieder Gelegenheit geben, seine Kenntnis von Waffenarten und Kampftechniken darzutun – tötet Tirant die Gegner. Er kann die Schilde der Gefallenen an sich nehmen – wie es der Sitte entsprach.

 

Der Tod der vier Herrscher führt dazu, dass Rächer auf den Plan treten, zumal als herauskommt, welchen hohen Rang die vier inne hatten. Tirant muss sich gegen den Vorwurf verteidigen, dass er die Kämpfe mit Hinterlist gewonnen habe. Unter den neuen Gegnern ist ein Riese aus Friesland, „Kyrieeleison von Wittberg“. Durch Fehdebriefe wird der Kampf in die Wege geleitet, den Tirant „im Vertrauen auf die Hilfe unseres Herrgottes und seiner allerheiligsten Mutter sowie meines Schirmherrn, des seligen Ritters Sankt Georg“ annehmen will – wobei man sich fragt, warum der „Herrgott“ und seine Himmelgenossen nicht dem anderen beistehen sollten! Dem Kämpen aus Friesland platzt aber schon vor dem Kampf aus Zorn und Trauer die Galle, als er die inzwischen in einem Mausoleum standesgemäß bestattete Leiche seines Königs in ihrer Gruft sieht.

 

Diesem Kampf war Tirant entgangen, dafür trat nun der Bruder Thomas des Hingeschiedenen auf den Plan, ebenfalls gigantisch aber „hochmütige“ und „hartherzig“. Er schlägt alle Versöhnungsversuche aus, auch als man ihn an die Vergebungsbereitschaft Christi erinnert. In einem harten Zweikampf zwingt ihn Tirant, den Vorwurf der „Heimtücke“ in den Kämpfen zurückzunehmen und besiegt ihn, dank seines langen Atems. Schwer verwundet, wird Thomas zur Kirche Sankt Georgs geschleppt und schmachvoll seiner Ritterwürde entkleidet. Später – von seinen Wunden genesen – tritt er in ein Franziskanerkloster ein. Tirant ist glänzend gerechtfertigt, da der Ausgang des Kampfes ja auch als Gottesurteil betrachtet wurde.

 

Er siegt in weiteren Wettkämpfen, auch in solchen, die mehr spielerisch mit abgestumpften Turnierwaffen ausgeführt wurden.

 

Weiter erzählt Diafebus dem Einsiedler, der die Ausführungen mehr mit „fachkundigen“ als mit „geistlichen“ Bemerkungen begleitet, von der Stiftung des „Hosenbandordens“.

 

Der englische König hatte ein Strumpfband an sich genommen, das eine – in den Augen des Hofes nicht standesgemäße und nur wenig hübsche – Dame beim Tanz verloren hatte. Er trug das Strumpfband am linken Hosenbein solange, bis ein mutiger Diener ihn auf die Lächerlichkeit seines Verhaltens aufmerksam machte. Darauf stiftete er – nicht unwitzig - unter dem Zeichen der Borte und dem Motto „Honni soit qui mal y pense“ („ein Schuft, wer Übles dabei denkt“) einen Orden. Weiteres Kennzeichen ist eine goldene Halskette mit S-förmigen Gliedern (= fromme Seligkeit, weise Sanftmut, herrscherliche Souveränität), die Julius Cäsar seinerzeit bei der Eroberung Britanniens einem weißen Hirsch angelegt hatte. Dieser Hirsch – der wunderbarerweise die Zeiten überlebt hatte – wurde bei einer Jagd des englischen Königs erlegt. In Windsor, in einer neu zu erbauenden Sankt-Georgs-Kapelle, ist der Stammsitz des Ordens, wo sich eine Runde von 25 auserwählten Rittern unter dem Vorsitz des Königs – alle gleichberechtigt - regelmäßig treffen soll. (Das spielt an die Gralsrunde des Königs Artus an.) Es entbehrt nicht der Ironie, dass jeder aufgenommene Ritter verpflichtet ist, ein Hosenband in der Art eines Damen-Strumpfbandes zu tragen, mit dem genannten Spruch. Außerdem erhält er eine silberne Nachbildung der S-Kette. Die Regeln des Ordens schreiben ritterliches Verhalten vor, unter anderem, im Kampf nie zu flüchten. Tirant der „beste aller Ritter“ als erster aufgenommen, nach ihm lauter vornehme Herren.

 

Tirant und seine Genossen verabschieden sich von dem Einsiedlergrafen und ziehen in ihre Heimat zurück. Am Hofe des Herzogs der Bretagne erfährt Tirant von der Bedrohung der Insel Rhodos, auf dem sich der Johanniter-Orden nach dem Fall Jerusalems niedergelassen hat. Der Sultan von Kairo hat vor, die Insel zu erobern. Genuesen, die ihre Handelsroute bedroht sahen, wollten dem zuvor kommen und waren mit einer Flotte dort vor Anker gegangen, um sich der Burg und der Stadt zu bemächtigen. Fast wäre es ihnen mit List und Täuschung gelungen, wenn nicht eine schöne Dame über einen verliebten Genuesen von dem Plan erfahren hätte. Sie teilt das Vorhaben einem ebenfalls in sie verliebten Ordensritter mit, der den Großmeister der Johanniter warnt. Der Anschlag wird vereitelt, aber die Genuesen tun sich nun mit dem Sultan zusammen und die Stadt wird von den vereinigten Streitmächten belagert. Die Ordensritter befinden sich in arger Bedrängnis, da ihnen die Vorräte ausgehen. Es ergehen Hilferufe an Papst und die Fürsten der Christenheit, insbesondere an den französischen König, die aber vorerst ergebnislos verhallen.

 

Tirant lässt sofort ein Schiff ausrüsten und begibt sich auf die Fahrt nach Rhodos und zum Heiligen Grab in Jerusalem. Heimlich hatte sich ein Sohn des französischen Königs, Philipp – er kannte Tirant und Tirant ihn – an Bord geschlichen.

 

Damit endet das erste Buch des Romans, eine Art Vorspann, in dem der Werdegang des Helden und die Welt des Rittertums geschildert werden, auf denen der Fortgang aufbaut.

 

Byzantinisches Kaiserpaar neben dem Pantokrator Christus in der Hagia Sophia
Byzantinisches Kaiserpaar neben dem Pantokrator Christus in der Hagia Sophia

2. Tirant befreit Rhodos und gelangt nach Konstantinopel. Er fällt in Liebe und bewährt sich als Feldherr gegen die Türken

 

Auf hoher See entdeckt Tirant den blinden Passagier. In Lissabon wird er und seine Begleiter vom König von Portugal freundlich aufgenommen. Tirant teilt dem französischen König den Verbleib seines Sohnes mit. Dieser ist hoch erfreut über die „gute Gesellschaft“, in der sich Philipp befindet.

 

Das Schiff Tirants läuft in die Straße von Gibraltar ein, wo sich seine Mannschaft erfolgreich gegen den Angriff maurischer Schiffe wehrt. Sie laufen Sizilien an, wo sie in Palermo ankern.

 

Der Konig von Sizilien empfängt sie ehrenvoll. Philipp entflammt für die Königstochter Ricomana. Tirant betätigt sich nun als Kuppler, der umsichtig eine Verbindung des schüchternen und tölpelhaften, aber gut aussehenden französischen Prinzen mit der skeptischen und klugen, aber auch verliebte Infantin arrangiert. Man will mit der Heirat aber bis zum Eintreffen der Einwilligung des französischen Königs warten.

 

Inzwischen stechen Tirant, der Prinz und der König von Sizilien in See, letzterer hat sich entschlossen mit Tirant nach Rhodos und ins Heilige Land zu reisen. Sie durchbrechen den genuesischen Sperrring um Rhodos und landen dort. Mit ihrer riesigen Ladung an Weizen und anderen Nahrungsmitteln lindern sie den Hunger, den die Belagerten leiden. Der Großmeister der Johanniter begrüßt Tirant und seine Begleiter freudig. In der nächsten Nacht steckt ein Seemann Tirants das Flaggschiff der Genuesen in Brand. Erschreckt von diesem Vorfall und in Kenntnis der Nahrungsmittelversorgung der Stadt gibt der Sultan den Befehl zum Aufbruch aus dem Heerlager zu einem Sammelplatz, wo die Truppen sich einschiffen sollen. Während sie auf die Schiffe übersetzen, überfällt sie Tirant mit einem Trupp und richtet ein großes Gemetzel an. Der Sultan entkommt, wird aber in seinem Land auf Betreiben des Oberkadis wegen Feigheit den Löwen vorgeworfen.

 

Der Großmeister will Tirant belohnen und bietet ihm an, vom Schatz des Ordens soviel zu nehmen, wie er will. Der antwortet: „Die Ehre, die mir zuteil geworden, ist Lohn genug für alle Mühe und ersetzt mir sämtliche Ausgaben.“ Er hat nur eine Bitte, dass täglich eine Messe für das Heil seiner Seele gelesen werde.

 

Mit einem venezianischen Schiff reisen Tirant, Diafebus, Philipp und der sizilianische König nach Beirut und setzen von da den Weg nach Jerusalem fort. Nach dem Besuch der heiligen Stätten machen sie sich auf den Weg nach Alexandria, wo Tirant eine Menge christlicher Sklaven freikauft. Von da kehren sie nach Rhodos zurück, wo die Freigekauften auf Kosten Tirants versorgt und entlassen werden.

 

Von Rhodos reisen sie nach Sizilien, wo inzwischen eine französische Gesandtschaft eingetroffen ist, die die Einwilligung des Königs zur Heirat Philipps mit Ricomana bringt und das Versprechen, sich an einem Kreuzzug zu beteiligen. Die Prinzessin unterwirft Philipp verschiedenen Prüfungen, die Tirant geschickt zum Besten wendet, so dass schließlich die Trauung stattfindet.

 

Eine Flotte des Königs von Sizilien, des französischen Königs und einer Koalition christlicher Länder segelt nach Tripolis in Syrien. Tirant leistet den Schwur, als erster an Land zu gehen und als letzter zurückzukehren. Trotz Missgunst anderer Ritter und Gefährdungen gelingt dies Tirant knapp. Die Kreuzfahrer können in Tripolis eindringen und einige Straßenzüge auszurauben, müssen sich dann aber vor der Übermacht der Sarazenen zurückziehen. Man plündert die türkische Küste und Tunis aus und kehrt nach diesen Akten wenig christlicher Piraterie nach Sizilien zurück.

 

Der König von Frankreich, sein Sohn Philipp, Tirant und ein Sohn des sizilianischen Königs segeln nach Marseille, wo die Flotte entlassen wird. Sie begeben sich nach Paris, wo der sizilianische Prinz mit einer französischen Königstochter verheiratet wird. Tirant besucht seine Eltern in der Bretagne. Auf Veranlassung des französischen Königs reisen Philipp und Tirant wieder nach Sizilien.

 

Am Königshof in Palermo wird ein Sendschreiben des Kaisers von Konstantinopel an den König von Sizilien verlesen. Der „Sultan“ (von Kairo?) und der „Großtürke“ (d.i. der osmanische Sultan?) sind mit einer riesigen Streitmacht eingefallen und haben den größten Teil des Reiches besetzt. Der Kaiser bittet flehentlich, den „viel gerühmten Kämpen“ Tirant nach Konstantinopel zu schicken, wo er in die Dienste des Kaisers treten soll. Aus Bescheidenheit zögert Tirant, den Auftrag anzunehmen, erklärt sich aber auf Drängen des Königs dazu bereit.

 

Galeeren werden ausgerüstet, Soldaten angeworben und schließlich gelangt die Truppe nach Konstantinopel. Tirant wir vom Kaiser freudig empfangen und zum Stellvertreter und obersten Heeresführer ernannt. Er löst den Bann der Trauer, der wegen des gefallenen Kaisersohnes über der Kaiserin und der Tochter Karmesina liegt. Bei der Begegnung mit der schönen     (erst 14jährigen!) Infantin (Thronfolgerin) fällt er in tiefe Liebe zu ihr, auch sie verliebt sich in ihn. Der Liebesschmerz wirft ihn nieder, Diafebus kann ihn in seinem Liebeskummer nicht trösten. Auch die Prinzessin ist verwirrt, verbirgt aber ihre Zuneigung und verhält sich dem verstecktem Werben Tirants gegenüber sehr zurückhaltend. Tirant plagt die Ungewissheit und die Hoffnungslosigkeit angesichts der „Erhabenheit“ der Kaisertochter.

 

Im Kronrat fordert die Kaiser Tirant auf, einen Feldzug gegen die Schiffe der Genuesen zu unternehmen, die sich mit den Türken verbündet haben. Tirant nennt als Bedingung für eine wirksame Kriegsführung: „Truppen, Geld, und Proviant“. Dies wird ihm zugesagt. Einwände gegen den „Ausländer“ Tirant und wegen der Übergehung des Herzogs von Makedonien, der als naher Verwandter des Kaisers das erste Anrecht auf das Amt des Generalkapitäns besitze, werden vom Kaiser und der Infantin niedergeschlagen. Tirant ergreift Maßnahmen zur Sicherung der Person des Kaisers und der Stadt.

 

Zwischen Tirant und Karmesina findet weiterhin ein Liebes-Geplänkel statt. Tirant gesteht der Prinzessin seine Liebe, was diese erst tadelt, ihm dann aber wieder Zeichen der Zuneigung gibt. Sie warnt ihn vor den Intrigen des Herzogs von Makedonien, der den Tod des Kaisersohnes verschuldet habe.

 

Die Hofdamen der Infantin und Diafebus mischen sich in das Liebesspiel ein. Hofdame Stephania von Makedonien ermuntert die Prinzessin mit leichsinnigen Reden, sich auf das Begehren Tirants einzulassen, auch „Wonnemeineslebens“ ("Plaerdemivida") - eine der stärksten Charaktere im Buch - ergreift Partei für Tirant; nicht hingegen ihre Amme, die „Muntere Witwe“. Sie tadelt die Beziehung als unstandesgemäß. Diafebus betätigt sich als Zuträger.

 

Eine große Heeresschau findet statt. Da kommt die Nachricht, dass das byzantinische Heer auf Grund einer unüberlegten Entscheidung des Herzogs von Makedonien von den Türken und ihren Verbündeten geschlagen wurde. Tirant zieht mit seinen Truppen aus – verstärkt durch ein Kontingent, das der Großmeister von Rhodos geschickt hat - und mittels einer Kriegslist fügt er den Feinden eine Niederlage zu.

 

Der Großtürke und seine Mitführer bitten um einen zeitweiligen Frieden. Der Herzog von Makedonien zeigt offen seine Ablehnung Tirants und unterwirft sich seinem Oberbefehl nicht. Er will den angebotenen Waffenstillstand akzeptieren, Tirant lehnt ihn ab. Tirant treibt mit den feindlichen Truppen ein Katz- und Maus-Spiel. Der Herzog von Makedonien lässt dem Kaiserhof die falsche Nachricht zukommen, dass Tirant geschlagen und geflüchtet sei. Tirant schneidet den ihn verfolgenden muslimischen Truppen den Rückweg ab, indem er eine Brücke in Brand setzen lässt. Die zurück gebliebenen Truppen befinden sich in einer aussichtslosen Lage. Ein Bote Tirants wendet die ausgebrochene Trauer in Konstantinopel. Die eingekesselten Türken und die mit ihnen verbündeten Christen beschließen, sich zu ergeben. Tirant lässt sie entwaffnen und gefangen nehmen, behandelt sie aber gut. Abdullah Salomo hält die schon erwähnte Rede. Ihm wird von Tirant die Freiheit geschenkt.

 

Die Gefangenen werden von Diafebus nach Konstantinopel gebracht. Die christlichen Adligen wurden als „Verräter“ an der christlichen Sache ihrer Ritterwürde entkleidet und nach Erhalt von Lösegeld freigelassen. Diejenige Christen und Mauren, die kein Lösegeld einbrachten, überführt man nach Italien, wo sie verkauft werden. Andere wurden gegen Waffen, Pferde und Nahrungsmittel eingetauscht. Einen Teil der Soldaten übernahm man in das byzantinische Heer, wer sich weigerte, zu Festungsarbeiten gezwungen.

 

Diafebus nutzt die Zeit, sich mit Stephania zu verloben, die ihm ihre Person und das Herzogtum Makedonien überschreibt, deren rechtmäßige Erbin sie ist (der jetzige Herzog von Makedonien ist ihr Stiefvater). Außerdem betätigt er sich wieder als Liebesbote für Tirant. Die Prinzessin gibt ihm heimlich eine bedeutende Menge Gold aus dem Kronschatz zur Unterstützung Tirants mit, neben dem Erlös, den die Gefangenen erbracht haben.

 

Als ein Heereskontingent von Philipp, der inzwischen König von Sizilien geworden ist, eintrifft, beschließen Kaiser und die Prinzessin, das Heerlager Tirants aufzusuchen. Die Prinzessin reist mit ihren Hofdamen als gerüstete „Damentruppe“ - sie nimmt dann einen kleinen "Mohren" gefangen. Kaiser und Prinzessin beziehen Stellung in einer Burg, von wo aus sie die folgenden Geschehnisse beobachten können.

 

Die Anführer des muslimischen Heeres haben beschlossen, Tirant zu beseitigen. Der König von Ägypten schreibt ihm einen Fehdebrief, in dem er ihn beschimpft und zum Zweikampf auffordert. Tirant wird vor diesem Zweikampf von einem Sarazenen christlicher Abkunft gewarnt, der sich als „Doppelagent“ betätigt, aber insgeheim auf der Seite der Christen steht. Nach Beratung mit seinen Anführern und, nachdem er die Billigung des Kaisers eingeholt hat, antwortet Tirant dem König von Ägypten, er werde sich mit seinem Heer der Schlacht stellen, und dabei hätte der Ägypter die Gelegenheit zum Kampf mit ihm. Wieder opponiert der Herzog von Makedonien gegen Tirant mit Hetztiraden und üblen Verdächtigungen.

 

Die Heere stellen sich zur Schlachtordnung auf. Tirant lässt seine Kavallerie eine geordnete Flucht mimen. Dies veranlasst die türkische Reiterei zur ungeordneten Verfolgung und die Schlachtordnung der Muslime löst sich auf. Die Truppen Tirants nehmen die Gegner in die Zange. Die Könige von Ägypten, Kappadokien und Nordafrika verabreden sich, es nur auf Tirant abzusehen. Während des Nahkampfes verwundet der Herzog von Makedonien Tirant hinterrücks, wird dann aber vom König von Afrika getötet. Der König von Ägypten verwundet Tirant, muss sich aber wegen einer eigenen Verwundung zurückziehen. Tirant kämpft weiter und tötet den König von Kappadokien. Entgegen dem Befehl Tirants bricht Diafebus aus dem Hinterhalt, in dem er mit seinem Truppenteil gelegen hatte, zu früh hervor. Der König von Ägypten und der Sultan wenden sich mit den ihnen verbliebenen Leuten zur Flucht, die ihnen dank des übereilten Handelns von Diafebus gelingt.

 

Der König von Ägypten verschanzt sich in einer nahe gelegenen Stadt, die am nächsten Tag durch Verrat erobert wird. Der König wird festgenommen, Tirant will den Wehrlosen schonen, aber der Markgraf, dem der Ort früher gehört hatte, schneidet im die Kehle durch. Der Sultan hat Zuflucht in einer weiter entfernten Stadt gefunden. Durch den Doppelagenten erfährt Tirant, dass er Versorgungsschiffe und eine große Armada unter der Führung des Großkaraman (Herrscher der zentralasiatischen Turk-Völker), der seine Tochter mit dem Sultan verheiraten will, und des Königs des „Unabhängigen Indiens“ erwartet.

 

Nachdem der bisherige Großkonnetabel (Befehlshaber der Landstreitkräfte) gefallen ist, wird Diafebus vom Kaiser hierzu ernannt. Die Prinzessin und der Kaiser wollen Tirant eine Grafschaft mit dem Grafentitel schenken, der die Grafschaft jedoch an Diafebus weitergibt.

 

Bei einer Siegesfeier auf der Burg, in der sich Kaiser und Prinzessin aufhalten, verbringen – das wird von Stephania eingefädelt - Tirant und Diafebus heimlich eine Nacht mit ihren Geliebten. Was sich dort abspielt, wird von der Hofdame „Wonnemeineslebens“ beobachtet und als „Traumerzählung“ wiedergegeben. Stephania gibt sich Diafebus hin, Tirant kommt auf Grund des Widerstandes der Prinzessin, der er sich fügt, nicht über Zärtlichkeiten hinaus.

 

Es gelingt Tirant die in einen Hafen eingelaufenen Versorgungsschiffe des Großkaramanen zu entern und zu erbeuten. Hiermit endet das zweite Buch.

 

Byzantinische Prinzessin / Russische Ikone
Byzantinische Prinzessin / Russische Ikone

3. Tirant und die Prinzessin – eine Liebe mit Irrungen und Wirrungen

 

Mit Hilfe einer Täuschung gelingt es den wenigen, aber leichten Schiffen der Flotte Tirants die große, schwerbeladene Armada der Türken und Genuesen in die Flucht zu schlagen und einzelne Schiffe zu kapern. Tirant verfolgt die Galeone des Großkaramanen und nach heftigem Kampf nimmt er den Großkaraman und den indischen König gefangen. Der Großkaraman hatte vorher seine Tochter und die Schatztruhe, die er mit sich führte, über Bord. geworfen, um sie nicht in die Hände der Feinde fallen zu lassen. Trotz Niederlage und unritterlichen Verhaltens - er verkriecht sich ins Innere des Schiffes - zeigt sich der muslimische Potentat sehr überheblich. Er wird von Tirant gezwungen, sich vor dem Kaiser zu beugen, seine Hand zu küssen und damit das Unrecht seiner Eroberungen gegenüber dem rechtmäßigen Herrscher anzuerkennen.

 

Die Kämpfe mit dem Sultan mit dem Sultan gehen zunächst weiter, wobei das Fehlen Tirants sich sehr negativ für das byzantinische Heer auswirkt. Der Feldherr zögert wegen einer Verwundung und - mehr noch - wegen der Prinzessin zur Front zu eilen. Tirant beklagt sich über die Sprödigkeit der Infantin, die an seine Ehre appelliert und ihn auffordert, den Befreiungskampf fortzuführen. Der Sultan schickt wieder den Unterhändler Abdullah Salomon, der um einen Waffenstillstand und die Auslösung der gefangenen Könige bittet. Zum Entsetzen Tirants will der Sultan Karmesina zur Frau nehmen.

 

In einem Gespräch über die Angelegenheit und der Frage, was für einen Ritter wichtiger sei, plädiert die Kaiserin für die Kühnheit und die Tochter für die Klugheit – in der Art eines philosophischen Dialogs. Der Kaiser entscheidet öffentlich, dass der Weisheit der erste Rang gebühre, aber Klugheit und Kühnheit „geschwisterlich beisammen sein“ müssten. Indirekt geht es hier nicht nur um die Kennzeichnung der Personen und das Ideal des Renaisance-Ritters, sondern auch um die Haltung, die Tirant gewinnen soll .

 

Der Kaiser veranstaltet zu Ehren der Gesandtschaft des Sultans Festlichkeiten, in denen Turniere abgehalten werden, aber auch die Erörterungen und Belehrungen über die Ideale des Rittertums weitergehen. Neben anderen Gästen, erscheint die Königin Morgana, die ihren Bruder, den König Artus, sucht. Der wird in einem silbernen Käfig am Hofe des Kaisers festgehalten – eine surreale Erfindung Martorells, um diese legendäre Figur des Rittertums ins Spiel zu bringen. Im Blick auf sein Schwert Excalibur antwortet Artus in Trance auf Fragen zum ritterlichen Verhalten. Dies führt zu Schwüren Tirants und seiner Freunde, die den Kampf gegen die Sarazenen betreffen.

 

Am Ende unterzeichnet der Kaiser den Waffenstillstand, will aber die gefangenen Könige erst frei geben, wenn ein glaubwürdiger Friedensschluss und die Rückgabe aller seiner verlorenen Gebiete garantiert wird.

 

Den Hauptteil des dritten Buches nimmt die Schilderung des Auf und Ab der Beziehung Tirants und der Prinzessin ein. Tirant versucht immer wieder, an das Ziel seiner Wünsche zu gelangen, der leiblichen Vereinigung mit der Prinzessin. Beide streiten mit langen Reden um diesen Punkt: die Infantin argumentiert mit ihrem Ruf und dem Skandal, der ausgelöst werden könne. Sie fordert ihn auf, zu warten, bis eine legitime Vereinigung möglich sei. Tirant beruft sich auf das natürliche Recht seiner leidenschaftlichen Liebe und seine Verdienste um die Rettung der Kaisertochter.

 

Die Hofdamen mischen sich ein und spinnen ihre Intrigen. Stephania, jetzt mit Diafebus verheiratet, dem Großkonnetabel und Herzog von Makedonien, und „Wonnemeineslebens“ („Plaerdemivida“) begünstigen mit Reden und Initiativen das Zusammenkommen der beiden. „Wonnemeineslebens“ stachelt Tirant zu forschem Verhalten auf und tadelt sein Zögern scharf. Sie lotst Tirant auf raffinierte Art und Weise zweimal in das Bett der Prinzessin. Martorell schildert die Vorkommnisse dabei sehr offenherzig. Tirant weicht aber aus Rücksichtnahme auf die Prinzessin vor dem letzten Schritt zurück.

 

Das erste Têt-a-Têt verläuft unglücklich. Tirant muss sich durch Eingreifen der „Munteren Witwe“ – die großen Lärm im Palast auslöst - aus einem Fenster abseilen, stürzt ab und bricht sich dabei den Fuß. Engste Freunde bringen ihn in Sicherheit.

 

Die „Muntere Witwe“ hat sich in Tirant verliebt und spielt die Liebenden durch Verleumdungen gegeneinander aus. Ihr letzter Coup ist besonders infam. Sie bezichtigt - nach der heimlichen Verlobung der beiden - Karmesina der Untreue mit dem Gärtner, einem dunkelhäutigen Afrikaner. Tirant ist skeptisch, aber die Witwe verspricht ihm, den Beweis zu liefern. Sie lässt eine Maske herstellen, die dem Neger gleicht und überredet die Prinzessin und die Hofdamen zu einem „Fronleichnamspiel“ im Garten – an diesem Tag wurde im Mittelalter allerlei Mummenschanz getrieben. In der Maske und Kleidung des Afrikaners verführt „Wonnemeineslebens“ scherzhaft die Prinzessin. Tirant beobachtet das Treiben in Spiegeln, die die Witwe am Fenster eines Raumes angebracht hat, in dem sie Tirant postiert hatte. Er hält das Täuschungsspiel für echt und ist tief betroffen. Die Witwe bietet sich ihm an, was Tirant aber zurückweist.

 

Tirant tötet den unschuldigen Gärtner und verrennt sich in Klagen und Selbstmitleid. Er weicht den Fragen der ratlosen Prinzessin aus – dies alles während eine Festes, das der Kaiser zu Ehren Tirants gibt. Zu diesem Tiefpunkt Tirants kommt die Nachricht, dass die Türken auf Grund eines Streites der Kommandierenden des byzantinischen Heeres einen Sieg errungen und Diafebus und andere gefangen genommen haben. Der ganze Hof verliert sich in Trauer.

 

Tirant legt sich zum Sterben nieder und lässt sich die Sterbesakramente geben. Die fingierte Nachricht, dass die Türken vor der Tür stünden, reißt ihn aber vom „Totenbett“ empor. Tirant will nun mit seiner Flotte ins Kriegsgebiet abreisen und begibt sich heimlich an Bord ohne der Prinzessin, dem Kaiser und der Kaiserin die Gelegenheit zum Abschied zu geben.

 

Auch für die Kaiserin ist das Auslaufen der Flotte schmerzlich, da der junge Ritter Hippolyt mit aufbricht. Zwischen die Schilderung der dramatischen Liebesbeziehung von Karmesina und Tirant hat der Autor eine weitere pikante amouröse Erzählung eingeflochten. Hippolyt, Neffe Tirants, hat sich in die Kaiserin verliebt, die seine Mutter sein könnte. Diese, von dem alternden Kaiser vernachlässigt, hat sich gern auf die Affaire eingelassen. Sie hat sogar Hippolyt an Stelle ihres gefallenen Sohnes adoptiert, um der Beziehung einen unverdächtigen Schein zu geben.

 

Kaiser, Kaiserin und Infantin eilen zum Hafen, können aber zum Schiffs Tirants wegen eines aufziehenden Unwetters nicht übersetzen. Karmesina bittet „Wonnemeineslebens“, sich mit Hippolyt zur Galeere hinüberrudern zu lassen, um die Gründe des Verhaltens von Tirant zu erforschen. An Bord klärt sie die Missverständnisse und den Betrug der „Munteren Witwe“ auf.

 

Inzwischen wütet der Sturm so, dass die Ankertaue reißen und die Schiffe auf die offene See getrieben werden. Hippolyt rettet sich an Land, aber „Wonnemeineslebens“ verbleibt an Bord.

 

Das Schiff treibt navigationsunfähig Richtung „Berberei“ (Nordafrika). Wieder bejammert Tirant sein Schicksal und klagt „Fortuna“ an. „Wonnemeineslebens“ weist ihn zurecht: „Wollt Ihr wissen, was Euch in diese Lage gebracht hat? Euer unzulängliches Begriffsvermögen, das die Vernunft fahren ließ, um dem zügellosen Willen zu folgen.“ Sein freier Wille, seine Entscheidungen, haben ihn in diese Situation gebracht!

 

Das lecke Schiff treibt dem Ufer zu, wo schon Mauren warten, um sie zu versklaven. „Wonnemeineslebens“ wird an Land gespült und trifft am nächsten Tag auf einen alten „Muselmann“, der sie in sein Haus mitnimmt. Er war als Gefangener in Spanien und wurde von seiner Herrin auf Grund seines tapferen Eintretens für ihren Sohn gut behandelt und frei gelassen. Er bringt die „junge Dame“ nach Tunis, wo sie von einer verwitweten Tochter freundlich aufgenommen wird. Auch Tirant entgeht mit einem Matrosen den Häschern. Sie wandern landeinwärts, wo sie an einem Weinberg Rast machen und in einer Höhle übernachten.

 

Mauren und christliche Ritter im Kampf - Buchmalerei 14. Jh.
Mauren und christliche Ritter im Kampf - Buchmalerei 14. Jh.

4. Tirants Abenteuer in Nordafrika

 

Tirant wird von einem vornehmen Emir entdeckt, der während einer diplomatischen Reise auf der Jagd ist. Der Emir ist von der Schönheit und Liebenswürdigkeit Tirants begeistert, verspricht ihm im Namen Gottes und Mohammeds, ihn als vierten Sohn anzunehmen. Tirant stellt sich ihm mit dem Namen „Blanc“ vor und erzählt ihm seine Geschichte, in dem sich Wahrheit und Erfindung mischen, denn er möchte verständlicherweise nicht seine wahre Identität preisgeben. Beim Aufbruch fällt er mit seinem noch nicht ausgeheilten Bein der Länge nach hin, mit ausgebreiteten Armen, was von den Muslimen als schlechtes Vorzeichen für ihn gedeutet wird. Er hingegen deutet es als Hinweis, „dass ich, mit Hilfe der Allmacht Gottes, die ganze Berberei zu erobern habe“. Die Umstehenden lachen, aber diese Voraussage sollte sich erfüllen.

 

In der Folge wird nun (im vierten Buch) der Aufstieg Tirants zum erfolgreichen „Kapitän“, d.h. Feldherrn, des jungen Königs Escariano von Äthiopien, berichtet. Tirant unterwirft ihm auf Grund seiner Tapferkeit und seines militärischen Geschicks die ganze „Berberei“. Bei all den Abenteuern und Kämpfen, die nun geschildert werden, ergibt sich eigentlich nichts Neues für Haltung und Taktik Tirants, außer, dass er sich unter den neuen Umständen bewährt. Das Geschehen verlagert sich auf neue Schauplätze und nimmt den Charakter eines Glaubenskampfes gegen die Muslime an. Natürlich vertritt Martorell die Überlegenheit des christlichen Glaubens, es gibt aber auch Bemerkungen, in denen er die Respektierung der anderen Religion und eine mögliche Koexistenz beider Bekenntnisse vertritt. Hasserfüllte und massiv-missionarische Partien gegenüber dem Islam sind von einem Bearbeiter. Es scheint, dass Martorell die Bemühungen Ramon Llulls kennt, Muslime durch Dialog und Beispiel zu überzeugen ( Ramon Llull, Das Buch vom Heiden und den Drei Weisen, 1274-76).

 

Der Autor nimmt in diesem "Kapitel" die historischen (vergeblichen) Versuche europäischer Herrscher auf, die "Berberei" zu erobern und zu christianisieren. Auch hier realisiert Tirant (alias Martorell in seiner Phantasie) einen okzidentalen "Wunschtraum" wie im Falle Konstantinopels. Träume, die in der Wirklichkeit scheiterten!

 

Fritz von Dardel (1817-1901), Tlemsen
Fritz von Dardel (1817-1901), Tlemsen

Der Emir, Hauptmann des Königs von Tlemsen (heutiges Algerien), bemerkt bald die militärischen Fähigkeiten Tirants und setzt ihn für seine Zwecke ein.

 

Wegen eines Streits um die Tochter des Königs von Tlemsen, die sowohl dem Sohn des Emirs als auch dem König Escariano versprochen ist, greift Escariano den König von Tlemsen an. Durch Verrat gelingt es Escariano, die Burg des Königs von Tlemsen zu erobern, ihn und den Sohn des Emirs zu töten und die Königstochter fortzuführen. Auch durch Verrat, gelingt es Tirant und dem Emir, den König Escariano gefangen zu nehmen. Der Emir will ihn und die Königstochter, die bei ihm ist, töten lassen, aber Tirant rettet ihr Leben. Die nun als Königin von Tlemsen eingesetzte Königstochter macht Tirant mehrere Liebesanträge, denen er aber widersteht, da er an seine „Frau“, Karmesina, gebunden ist.

 

Tirant überzeugt König Escariano mit theologischen und philosophischen Erörterungen vom Christentum: Das „höchste Gut“ sei, nach Wissen zu streben, um sich selbst zu erkennen, recht zu leben und Gott zu dienen. So werde einem „die himmlische Seligkeit“ zuteil.

 

Tirant lässt den Äthiopier Bruderschaft schwören, einmal als Muslim, nach der Taufe als Christ. Ein großer Teil seines Heeres folgt seinem Beispiel und lässt sich taufen. Später sorgt Tirant für die Verbindung Escarinos mit der Königin von Tlemsen

 

Escarino ist somit Waffenbruder Tirants. Escarino tötet den Emir in einem Zornanfall. Tirant lässt seine gefangenen Waffengenossen freikaufen, unter anderen seinen Vetter, den Herrn von Agramunt, der sein Befehlshaber wird. Die ehemaligen Verbündeten Escarinos, eine große Koalition von muslimischen Herrschern, wenden sich nun gegen den „Abtrünnigen“, werden aber nach und nach besiegt.

 

Auf dem Eroberungzug Tirants kommen die Truppen vor die Stadt Montàgata. Bei der Belagerung wird der Herr von Agramunt schwer verwundet. Er schwört, dass er nicht ruhen werde, bis die gesamte Bevölkerung „unter sein Richtschwert gekommen sei.“ Die Einwohner wollen sich ergeben, erst senden sie eine Abordnung, dann die junge Herrin der Stadt, eine Königstochter. Vergeblich! Tirant und der Herr von Agramunt bleiben hart.

 

A. Sureda, Frauen an einem Brunnen in Tlemsen, 1916
A. Sureda, Frauen an einem Brunnen in Tlemsen, 1916

In diese Stadt hat es „Wonnemeineslebens“ verschlagen, als Sklavin der Prinzessin, die eine große Zuneigung für sie empfindet. „Wonnemeineslebens“ bittet darum, mit dem Kapitän der Christen reden zu dürfen. In der Aufmachung einer vornehmen Maurin tritt sie unerkannt vor Tirant. Sie appelliert an seine Menschlichkeit, doch Tirant bleibt unerbittlich.

 

Da deckt sie ihm – als vermeintliche Wahrsagerin – seine Vergangenheit auf und wirft ihm vor, „ bockig“ nur darauf bedacht zu sein, „dieses armselige Land zu erobern, damit ein anderer es besitze“, Karmesina aber und das griechische Reich im Stich zu lassen. Tirant bricht zusammen. Sie belebt ihn mütterlich-liebevoll und bittet ihn um der Liebe zu Karmesina willen, denen zu verzeihen, die darum flehen. Tirant lässt sich umstimmen.

 

Der Herr von Agramunt will die vermeintliche Maurin töten, was aber Tirant verhindert. „Wonnemeineslebens“ gibt sich schließlich zu erkennen und verzeiht dem Herrn von Agramunt, dessen Frau sie später wird. Nach der Übergabe der Stadt übergibt ihr Tirant die Herrschaft, die sie aber der angestammten Herrin zurückschenkt Diese und später die Einwohner werden Christen - durch jenes hochherzige Verhalten überzeugt.

 

Für den Schwur des Herrn von Agramunt findet „Wonnemeineslebens“ eine humorvolle Lösung: Die Einwohner Montàgatas marschieren unter seinem hoch gehaltenen Schwert hindurch, womit erfüllt ist, was er geschworen hat.

 

Während der letzten Kämpfe und Eroberungen Tirants in Nordafrika, sendet er einen Boten nach Konstantinopel, der dem Kaiser und der Prinzessin über sein Ergehen berichtet und seine Rückkehr mit einer großen Streitmacht ankündigt.

 

Nach der Eroberung der letzten Stadt im Berberland hat Tirant das vollendet, „was sein großer Wunschtraum gewesen war“.

 

Der Bote kehrt aus Konstantinopel zurück und berichtet, dass die Türken das gesamte Reichsgebiet bis auf die Stadt selbst und das benachbarte Pera wiedererobert hätten. Die Prinzessin lebt in Trauer in einem Franziskanerkloster. Der Kaiser und die Prinzessin bitten dringend um sein Kommen. Das Buch endet mit dem „Aufschrei“ Tirants über seinen Trennungsschmerz und der Bitte an Gott, den Aufmarsch der Feinde so lange aufzuhalten, bis er dem bedrängten Kaiser zu Hilfe kommen und seinen Teil beizutragen könne zur Einigkeit aller Christen.

 

Die Mauern von Konstantinopel (Bild: Archäologisches Museum Istanbul)
Die Mauern von Konstantinopel (Bild: Archäologisches Museum Istanbul)

5. Tirant befreit Konstantinopel aus der türkischen Umklammerung; sein und der Prinzessin trauriges Ende

 

In Constantine (Algerien) sammelt Tirant ein großes Heer und Schiffe. Die Schilderung der Vorbereitungen und Unternehmungen, bis er vor Konstantinopel angelangt ist, sind umständlich und durcheinander gewürfelt, so dass man den Eindruck hat, hier stamme auch nicht alles von Martorell .

 

Es ist aber auch eine so nette Geschichte eingefügt worden, wie die von dem Ritter Espercius, der als Bote Tirants Schiffbruch erleidet und auf eine Nachinselinsel von Kos gerät. Hier haust die in einen Drachen verwandelte Tochter von Hippokrates auf einer Burg. Nur der Kuss eines mutigen Ritters kann sie wieder in das schöne Mädchen zurückverwandeln, das sie einst war. Espercius gelingt das und er kann sie heimführen.

 

Tirants Flotte landet in Troja an, ohne, dass die Türken seine Ankunft bemerken. Durch einen Überraschungsangriff, kapert er die feindlichen Schiffe. Dies führt zu einem hundertjährigen Frieden mit dem Sultan und dem Großtürken, die solange in Konstantinopel ihn ehrenvoller Haft gehalten werden, bis Tirant und seine Mannen das ganze griechische Reich wieder eingenommen haben. Die Gefangenen der muslimischen Fürsten, unter ihnen der Herzog von Makedonien (Diafebus) kommen frei. Aus den Erzfeinden werden Verbündete. (So hätte es sein können, soll wohl der Leser denken!) Die Idee einer "Union der Religionen", die Nikolaus von Kues 1453 (nach dem Fall Konstantinopels) in seiner Schrift "Vom Glaubensfrieden" vertritt, erscheint bei Martorell aber nicht. 

 

„Wonnemeineslebens“, jetzt „Königin von Fez“, muss wieder herhalten, um die Begegnung Tirants mit der Prinzessin vorzubereiten. Sie informiert diese über die Umstände, die zu der Entfremdung des Paares geführt haben und versäumt nicht hervorzuheben, „wie viel Unheil und Mühsale er erlitten hat, um das Glück Eurer Liebe zu erlangen.“

 

Die „Muntere Witwe“, die der Ankunft Tirants mit Schrecken entgegen sieht, richtet sich selbst durch Gift.

 

Heimlich lässt sich Tirant aus dem Feldlager nach Konstantinopel übersetzen. Hier hat „Wonnemeienslebens“ schon eine nächtliche Begegnung mit der nichts ahnenden Prinzessin vorbereitet, nicht ohne Tirant zu ermahnen, nun endlich zuzugreifen. Zwar ziert sich die Prinzessin anfangs wieder, aber Tirant lässt sich nicht davon abhalten, die „Schlacht“ zu gewinnen und in die „Burg“ mit „Waffengewalt“ einzudringen.

 

Nachdem Tirant das griechische Reich wieder hergestellt hat, ernennt der Kaiser Tirant zum Stellvertreter („Cäsar“) und Nachfolger. Die Hochzeit mit der Thronfolgerin und ein Staatsempfang für Tirant und all die orientalischen und okzidentalen Könige, Königinnen und Adligen, die mit ihm gekommen sind oder noch kommen – unter ihnen der äthiopische König (Escariano) – werden vorbereitet. Ein großes Fest der Vereinigung sollte es werden! Martorell hat eine weite Perspektive, die über die Europa-Idee Piccolominis hinausgeht; die Vision Martorells ist aber noch stark vom westlich-christlichen Imperialismus geprägt. 

 

Alles ist auf dem besten Wege. Da schlägt „Fortuna“, die Schicksalsgöttin, erbarmungslos zu. Auf dem Weg nach Konstantinopel wird Tirant von einem heftigen Schmerz überfallen. Die Ärzte können nicht helfen. Tirant legt eine Generalbeichte ab, in der er auch die leibliche Vereinigung mit der Prinzessin vor der Ehe, entgegen dem kirchlichen Gebot, bekennt. Sein Verhalten im Sterben sei „nicht das eines Ritters, vielmehr das eines heiligen Ordensmannes“ gewesen. Er macht bei klarem Verstand sein Testament – was später Cervantes beeindruckt - in dem er seine Waffenbrüder und Verwandten bedenkt. Zum Universalerben und Nachfolger setzt er seinen Neffen Hippolyt ein. Er stirbt mit Worten, in denen er die die letzten Worte Jesu aufnimmt: "Jesus, in deine Hände, Herr, befehle ich meinen Geist."

 

Am Hofe des Kaisers verwandelt sich die Festfreude in verzweifelte Trauer. Die Prinzessin bricht zusammen. In Hochzeitskleidung und unter Wehklagen wirft sie sich auf die in der Kirche aufgebahrte Leiche ihres Geliebten und küsst ihn wieder und wieder. Sie will sterben und sich mit ihm in der anderen Welt wieder vereinigen. Auch sie legt die Beichte ab und macht ihr Testament, in dem sie ihre Zofen beschenkt und die Kaiserin als Universalerbin einsetzt. Zwischen den toten Körpern ihres Vaters und ihres Geliebten, die man auf ihr Geheiß herbeigebracht hatte, stirbt sie unter langem Gebet mit Worten „rechten Sterbens“… „Bei ihrem Ende sah man auf einmal eine große Helle von schimmernden Engeln, welche ihre Seele hinweg führten, gemeinsam mit der Seele Tirants, die bei Karmesinas Tod noch zugegen gewesen war und auf sie gewartet hatte.“

 

Nach den Trauerfeierlichkeiten tröstet sich die Kaiserin schnell mit Hippolyt. Die Freunde und Sippengenossen Tirants beschließen, der Kaiserin vorzuschlagen, Hippolyts zum Gemahl zu nehmen und zum Kaiser einzusetzen. Dieser Vorschlag wird von ihr gerne angenommen, zumal Hippolyt auch unter den Byzantinern sehr beliebt ist. Die Hochzeit und die Krönung finden unter großem Glanz statt. Nach den Feierlichkeiten verabschiedet der neue Kaiser die vornehmen Gäste und das fremde Kriegsvolk unter großzügiger Belohnung. Der Autor billigt Hippolyt noch eine glückliche Regierungzeit, eine neue Heirat nach dem Tod der Kaiserin und Nachkommen zu, aber er läßt durchblicken, das mit dem Ende der byzantinischen Kaiserfamilie auch das Ende des Reiches gekommen ist, womit er sich der historischen Wirklichkeit annähert.

 

Die Leiber Karmesinas und Tirants werden einbalsamiert; in Brokat gehüllt und mit unbedeckten Gesichtern, wie Schlafende, in einem Schrein unter Begleitung des Königs und der Königin von Fez ( der Herr von Agramunt und „Wonnemeineslebens“) in die Heimat Tirants, in die Bretagne, überführt. In der Hauptkirche von Nantes werden sie unter großen Feierlichkeiten in einen kunstvoll verzierten alabasternen Sarkophag gesenkt. Über dem Grabmal werden in goldenen Lettern die Verse eingemeißelt:

 

„Grausame Lieb, die sie im Leben einte

und dann leidvoll sie dies verlieren ließ,

schließe am End zu zweit sie ein im Grab“.

 

Königs-Sarkophag in der Kathedrale von Nantes
Königs-Sarkophag in der Kathedrale von Nantes

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