"Städte und Landschaftsbilder" - Eine Reise... 2. Zaragossa

Zaragossa – hauptstädtische Lebendigkeit, Glanz maurischer Architektur, überbordende Marien-Verehrung

Wir laufen in einen Campingplatz vor Zaragossa ein. Rings umher wüstenartige, vom Lößsand geprägte,  gelb gefärbte Landschaft. Einzelne Hochhäuser ragen daraus hervor. Erinnert uns alles an Australien. Nördlich in der Ferne, lang getreckt,  die hochhausbestückte Silhouette  Zaragossas, die Hauptstadt Aragoniens.  Eine Wüstenstadt? Ein Kanal fließt vorbei, der Canal Imperial, offenbar eine wichtige Wasserader. An Wasser scheint es nicht zu mangeln, auf dem Campingplatz wird auf keine Beschränkungen hingewiesen, offenbar bringt der Ebro genug Wasser.

Am nächsten Tag nehmen wir ein Taxi in die Stadt, der Bus nimmt unseren Hund nicht mit. Wir lassen uns bei der Aljafería  absetzen.  Das ist das Schloss der maurischen Könige von Medinat Saraqusta. Mitte des  11. Jahrhunderts ist es von dem Taifa-Herrscher Abu Ǧa  ̍far Aḥ̣mad ibn Hud (Sulayman) al-Muqtadir  Billah (al-Muktadir= der Mächtige, auch einer der „schönen“ Namen Allahs)  als „Palast der Heiterkeit“ (Qasr al-Surur) nach orientalischen Vorbildern ausgebaut worden. Das war wohl auch im Zeichen des Triumphes über die Wiedereroberung des Festung  Barbastro (Huesca) geschehen, die 1064 von einem christlichen Ritterheer genommen worden war. Vom  Namen Ǧa  ̍far (sprich: schaafar) kommt die heutige Benennung (al-Ǧa  ̍fariyya). Nach der Eroberung  Zaragossas durch den aragonesischen  König Alfons I („El Batallador“) 1118 wurde es Benediktinerkloster, dann war es Residenz  der Grafen-Könige von Aragon-Barcelona  und der „Katholischen Könige“, das Inquisitionsgericht tagte  darin und schließlich wurde es Garnison. Bemerkenswert ist, dass die spanischen Könige in ihren Erweiterungsbauten den Taifa-Stil  - genannt Mudéjar - beibehielten und durch arabische Baumeister ausführen ließen. Vielleicht ist die Aljafería  sogar durch die christliche Eroberung vor der Zerstörung durch die nachrückenden,  fundamentalistischen und  kulturfeindlichen Berberstämme  der Almohaden bewahrt worden. Das Wappen von Aragonien zeigt übrigens als Erinnerung an die Kämpfe mit den Sarazenen  vier gekrönte abgehauene Maurenköpfe in einem Kreuz.

Heute ist die Anlage Museum und Sitz des aragonesischen Regional-Parlamentes.

Wir nähern uns der Eingangsseite, diesmal mit vielen Touristen, vor allem Gruppen von spanischen Pensionistas.  Schon  diese Seite, mit Rundtürmen (erneuert) und einem Tor mit Hufeisenbogen weisen auf den maurischen Ursprung  des Bauwerks hin.

Wie immer bei den Besichtigungen auf dieser Reise, geht Dagmar zuerst hinein. Ich spaziere mit Fritz, dem Hund, der nicht zugelassen ist, um den  großen viereckigen, mit Türmen und Bastionen besetzten Gebäudekomplex  herum. Ein tiefer, breiter Graben umgibt ihn. Von außen eine Festung, dessen Bastionen und Gräben auf den spanischen König Philipp II. zurückgehen.

Doch  innen öffnet sich eine andere Welt. Über einen Vorplatz mit der Kapelle Sankt Martin gelangt man in einen von Säulenumgängen  umgebenen und mit Orangenbäumchen besetzten rechteckigen  Innenhof – nach muslimischer  Auffassung sollten solche Höfe Abbilder des Paradiesgartens sein. Der Hof ist sozusagen „getauft“ worden, man hat ihn mit dem Namen „Patio de Santa Isabel“ versehen, nach Isabel von Aragon, die 1282 Königin von Portugal wurde. Doch die  orientalische Atmosphäre ist nicht zu verdrängen. Man glaubt, in die Welt von 1000 und eine Nacht versetzt zu sein. Gleich rechts, im Norden des Hofes öffnet sich eine märchenhafte Säulenhalle, ein Vielzahl von schlanken Säulen mit wellenförmig gezackten offenen oder verschränkten Bögen, über ihnen filigrane Muster  aus Stuck, sich verschlingend oder kreuzend, wobei die Hauptlinien auch wieder ein Geflecht sich überkreuzender Wellen bilden. An den Wänden Reliefs mit pflanzlichen und geometrischen Mustern, auch Bänder von arabischen Inschriften, Suren aus dem Koran. Im Hintergrund der Halle öffnen sich Türen mit Hufeisenbögen,  reich dekoriert. Wir befinden uns in der Empfangshalle des Königs. Von hier geht  es in den Thronsaal, den „Goldenen Salon“ (nicht zu verwechseln mit dem Thronsaal der spanischen Könige im oberen Geschoss). Hier saß der Herrscher in einer Bogennische und empfing Gäste und Gesandtschaften, unter einer kunstvollen Decke, die den Himmel symbolisiert. Der kriegerische, aber auch kunstliebende Al-Muqtadir  hat Palast und Saal selbst in einem Gedicht verherrlicht:

„Oh Palast der Heiterkei! Oh Goldener Salon! Dank euch bin ich zum Gipfel meiner Wünsche gelangt. …“

Ein verziertes  Hufeisen-Tor – es  soll vom Eingang der Mezquita von Cordoba inspiriert sein - an der Ostseite der Halle führt in eine kleine Moschee, den Gebetsraum des Königs, mit dem Mihrab, der gegen Mekka gewandte Gebetsnische, in die eindrucksvoll  von oben Licht fällt. Auch ihr Eingang erinnert an den des Miḥ̣rab in Cordoba. Das Oratorium mit Kuppelgewölbe ist besonders  prächtig verziert und gestaltet.

Auch die übrigen Räume und Säle der Aljafería, die wir zu sehen bekamen, sind sehenswert und prächtig, aber am besten gefallen hat uns doch der Trakt des maurischen Regenten, Urbild des aragonesischen Mudéjar-Stils.

Wir streben durch die Stadt zur nächsten großen Sehenswürdigkeit, der Basilika de Nuestra  Senora del Pilar. Die monumentale barocke Kirche erhebt sich auf einem großen Platz, der „Plaza del  Pilar“. Er bildet unverkennbar den Mittelpunkt  Zaragossas.  Auffallend sind an dem lang gestreckten Kirchengebäude die zahlreichen mit bunten Keramikkacheln bedeckten Kuppeln und vier hohe Ecktürme.  An der Stelle der heutigen Kirche soll im Jahre 40 dem Apostel  Jakobus  (Santiago) Maria erschienen sein, in leiblicher Gestalt, um ihn bei  seiner Missionierung  im römischen Caesaraugusta  zu ermutigen. In der daraufhin gebauten Kapelle wurde die Erscheinungsstelle durch eine Jaspissäule – angeblich von Maria bei ihrer Erscheinung hinterlassen - gekennzeichnet. Daher der Name der Kirche: Pilar= Säule.

Wir stärken uns erst einmal in einem Arkadencafé.

Dann treten durch einen der Eingänge ein. Ein riesiger Kirchenraum erstreckt sich vor uns. Er erinnert an den Petersdom in Rom. Gleich, da wo wir eintreten, befindet sich die Kapelle der in ganz Spanien. der spanisch sprechenden Welt, und vor allem in Aragonien verehrten Marienfigur. Viel Marmor, Silber, Gold…und Stuck. Vor  der Madonna wird gerade eine Messe zelebriert, an der  zahlreiche Menschen teilnehmen oder wenigstens im Vorbeigehen inne halten. Wir sehen die kleine dunkle Figur mit dem Kind im Arm, ihr Haupt ist bekrönt und von einem Strahlenkranz umgeben.  Wir lesen in unserem Führer, dass es sich um eine spätgotische Holzfigur burgundischen Stils handelt.  Im unteren Bereich verhüllt ein kegelförmiger Mantel die Säule, auf der sie steht.  Jeden Tag wird sie neu bekleidet – wie schon die ägyptischen Götter in ihren Tempelschreinen.  Nur  an drei Tagen im Monat bleibt die Säule unverhüllt. Wir blicken in die Kuppel der Santa Capilla hinauf  und versuchen die Malereien von Velásquez zu erkennen, Szenen von der Marienerscheinung.  Die „Ankunft Mariens“ wird auch links von der Pilar  - im Zentrum der Kapelle - in einem barocken Skulpturenensemble aus Marmor dargestellt.

Was uns dann verwundert, ist, dass an der rechten Säule der Kapelle zwei kleine Bomben angebracht sind, säuberlich geputzt, ohne Dellen und Schrammen. Fahnen südamerikanischer Länder hängen über ihnen. Was sollen diese Kriegsinstrumente in einer Kirche, nahe einer Madonna, deren Aufgabe ja wohl sein sollte, Frieden zu stiften? Eine Tafel gibt Aufschluss.: "Zwei der drei Bomben, die am 3. August 1936 gegen das Heiligtum der Pilar abgeworfen wurden." Darunter eine ziemlich schwülstige große Tafel mit der Widmung einer offenbar national-katholischen Vereinigung, deren Inschrift endet: "Die Roten wollten die Basilika unserer Herrin Pilar zerstören, aber  ein Wunder der jungfräulichen Kapitänin hat dies verhindert."  Die Bomben wurden 1936 von einem republikanischen Flieger abgeworfen, durchschlugen das Dach der Kirche, beschädigten das Goya-Bild ( davon später) an einer Ecke, fielen auf den Boden, aber explodierten nicht. Dies wurde von der Geistlichkeit, vom Franco-Regime und natürlich auch manchen Einwohnern Zaragossas als "Wunder" gewertet. Die Jungfrau habe einen üblen Anschlag der "Roten" abgewendet. ( Die Massenerschießungen und -einkerkerungen nach dem Einmarsch der aufständischen Franco-Truppen in Zaragossa wollte sie offenbar nicht verhindern und wohl auch nicht die franquistisch-italienische Bombardierung ihrer Himmelsgenossin Santa Eulalia in der Kathedrale von Barcelona 1938, wobei 42 Menschen umkamen!).

Nach dem Übergang Spaniens zur Demokratie wurde immer wieder gefordert, die Bomben und die Inschriften zu entfernen, vor allem anlässlich der Expo 2008 in Zaragossa. Die Geistlichkeit lehnt dies als unwichtig ab. Wichtig sei die Verehrung der Pilar. Es wurden auch Zweifel an der Authentizität der herkömmlichen Darstellung der Vorkommnisse geäußert. Sei es wie es sei: dass die Bomben nicht explodiert sind, hängt damit zusammen, dass sie aus niedriger Höhe abgeworfen wurden, sie wohl auch uralt und die Zünder nicht intakt waren.

2013 wurde in der Katedrale von einer anarchistischen Zelle eine selbstgebastelte Bombe zu Explosion gebracht, die Materialzerstörungen anrichtete. Die Gruppe begründete den Anschlag damit, dass die Kathedrale ein Symbolort des Faschismus und der damit verbundenen Kirche sei. Man wolle keine Gläubigen oder Touristen verletzen, aber niemand solle sich in solchen Orten sicher fühlen.

Die Pilar - für die einen ist sie die verehrte wundertätige Schützerin der spanischen Nation, für andere ein Symbol des Zusammenwirkens von katholischer Kirche und Franco-Regime, Stein des Anstoßes und Quelle der Zwietracht. Immer noch geht ein Riss durch die spanische Gesellschaft!

Unser Führungsblatt  macht uns darauf aufmerksam, dass sich an der Decke des  gegenüberliegenden Chores  ein  Gemälde von Goya  befindet: “Die Anbetung des Gottesnamens“. Das sehr barock anmutende Fresko wurde 1772 ausgeführt. An der rechten Seite sieht man noch das Einschlagloch der Bombe. Goya wurde in der Nähe von Zaragossa geboren und hat sich Zeit seines Lebens mit Zaragossa verbunden gefühlt.

Mit Massen an Menschen wandern wir in der dreischiffigen  Kirche umher, an Seitenaltären und dem gewaltigen Spätgotik/Renaissance-Hauptaltar aus Alabaster (Marienthemen) unter der Hauptkuppel,  an Figuren und Malereien vorbei, teilweise von berühmten Künstlern angefertigt. Immer wieder wandert der Blick zu ausgemalten Kuppeln hinauf, deren Gemälde aber schwer zu erkennen sind. Eine der Kuppeln – im Nordschiff - wurde 1772 von Goya ausgemalt.  Die Fresken stellen Maria als Schutzherrin der aragonesischen  Märtyrer dar. Skizzen dazu finden wir an Seitenwänden.

Die barocke Fülle der Kirchenausstattung ist erdrückend und wir empfinden die Kirche mit ihrem Getriebe als großen religiösen Markt. Wir fragen uns, was Jesus wohl zu dieser Veranstaltung gesagt hätte. Religion als „Opium des Volkes“ – der Gedanke ist hier nicht fern.

Nach einer Pause gehen  wir zur nahen Kirche des Erzbischofs hinüber, La Seu oder San Salvador, deren schlanker  Turm und Fassade  einen Gegenpunkt zum Tempel der Pilar bilden, auch wenn sie wie diese unverkennbar barock gestaltet sind. Leider ist die im Inneren gotische Kirche - mit vielen Kunstschätzen-  geschlossen – es ist Mittagzeit und sie macht erst wieder am späten Nachmittag auf.

So begnügen wir uns, um die Kirche herum zu wandern. Wir bewundern die Mudéjar-Fassade gegenüber dem Palais des Erzbischofs – eine Backsteinwand mit bunten Azulejos. Der Mudejar-Stil wurde ja in der christlichen Baukunst fortgeführt, erst durch maurische Handwerker (Mudéjaren = die „Untertänigen“, sind die unter christlicher Herrschaft lebenden Mauren in Spanien), dann durch christliche Baumeister und Kunsthandwerker, die den Stil übernahmen. Auch die nun still gewordenen Gassen um die Kirche mit alten Häusern und Palästen, lohnen den Rundgang.

Wir machen einen Abstecher zum Ebro-Ufer und wandern dann durch die Stadt zurück Richtung Alfería. Wir kommen an manchen interessanten Geschäften, Gebäuden, Plätzen, Kirchen im Mudéjar-Stil und Museen vorbei. Aber alles ist nun geschlossen. Wir haben aber das gesehen, was wir unbedingt sehen wollten und den Abend oder noch einen Tag wollen wir in Zaragossa nicht verbringen. Zaragossa hat einige Sehenswürdigkeiten zu bieten, aber so lebendig und vielseitig  wie Barcelona scheint uns diese Metropole  nicht zu sein.

Ein Taxi bringt uns wieder zum Campingplatz.

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