Katalonien "Putins europäische Hintertür?"-Teil 2

Ein Verschwörungsnarrativ von der russischen Einmischung in Katalonien entsteht

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Der Bürochef von Ex-Präsident Puigdemont, Josep Lluís Alay (Historiker, Professor, Museumsdirektor, Tibet-/Mongoleispezialist), bei einem Besuch der Zeitung "Komsomolskaia Pravda' in Moskau 2019. Quelle: El Confidencial 3/3/22.

Der Hintergrund in der Redaktion der  russischen Zeitung wird von "El Confidencial" als "Evidenz" für "die Verbindungen, die der [katalanische] Sezessionismus mit Putins Russland geknüpft hat", genommen.

 

Es gibt Hinweise, dass es im Umkreis Puigdemonts und unter den katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern Kontakte nach Russland gab und die Hoffnung auf eine Unterstützung Moskaus bestand. Die Beteiligten begründen ihre Reisen und Kontakte anderweitig, geschäftlich, privat, kulturell, um über Katalonien zu informieren … Womöglich handelte es sich um Erkundungen, wieweit russische Einrichtungen bereit sein könnten, den Unabhängigkeitsprozess zu fördern. Wie dem auch sei, es scheint nicht so, als ob solchen Bemühungen Erfolg beschieden war.

 

Ob und inwieweit der damalige Präsident Kataloniens in solche „Missionen“ involviert war, lässt sich nicht feststellen. Er selbst bestreitet das vehement in einem kürzlich verfassten Brief an die EU-Abgeordneten:

 

"Es gab in keiner Weise eine russische Verschwörung [trama russa] oder eine Absprache mit dem Putin-Regime. ... Es tut mir leid für diejenigen, die diese Geschichte gekauft haben, aber die Dinge sind nie so gelaufen."

 

Reaktionen der russischen Regierung

 

Nachdem das Treffen in der Casa dels Canonges 2020 durch die Untersuchungen Aguirres in die Medien geriet, hat die russische Botschaft in Madrid mit einem Twitter-Tweed reagiert, ironisch:

 

Hinweis: Die in den spanischen Medien veröffentlichten Informationen über die Ankunft von 10 000 russischen Soldaten in Katalonien sind unvollständig. Es ist notwendig, der Zahl der Soldaten zwei Nullen hinzuzufügen, und das Wichtigste an dieser gesamten Verschwörung: Die Truppen sollten mit den Flugzeugen ´Mosca` und ´Chato` transportiert werden, die während des Bürgerkriegs in Katalonien zusammengebaut und an einem sicheren Ort versteckt wurden …“

 

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums wies die Behauptungen einer russischen Einmischung in den katalanischen Unabhängigkeitsprozess als „absurd“ zurück. Auch später hat die russische Regierung jede mögliche Beteiligung Moskaus „an den Ereignissen in Katalonien“ „kategorisch“ zurückgewiesen und als „Lüge“ erklärt.

 

Eventuelle verdeckte Absichten Moskaus in dieser Sache sind bislang unbeweisbare Vermutungen.

 

Die „Operación Voloh“ wird wiederbelebt – mit durchsichtigen Absichten

 

Methodische Anforderungen für eine tragfähige gerichtliche Beweislage kümmern den Richter Aguirre nicht. Schon in der Anfangsphase der „Operación Voloh“ konstruiert er aus unsicheren und widerlegbaren Indizien ein umfassendes Verschwörungsnarrativ.  Das Treffen Puigdemonts und andere Kontakte seines Umfeldes und der Unabhängigkeitsprozess überhaupt seien Bestandteil einer geopolitischen Strategie der russischen Regierung und Putins zur Destabilisierung und Desinformation Europas.

 

Die „Operación Voloh“ zog sich hin. Unermüdlich ging der Richter weiteren Verdachtsmomenten nach. Aus den Untersuchungen wurde eine manische Suche, aus einem anfänglichen Verdacht eine obsessive Überzeugung. Wesentlich Neues, tragfähige Beweise für seine Hypothese kamen nicht zutage.

 

Corona, der Russisch-Ukrainische Krieg kamen … das öffentliche Interesse an der Operation schlief ein.

 

Mit der Wiederwahl von Pedro Sánchez im November 2023 zum spanischen Ministerpräsidenten änderte sich die Situation. Sánchez war bei seiner Wahl im Parlament auf die Unterstützung der Unabhängigkeitsparteien angewiesen und benötigt sie weiterhin für seine Projekte. Zu seiner Annäherungpolitik an die katalanischen Independisten gehört eine Amnestie.

 

„Alle katalanischen Parteigänger der Unabhängigkeit werden amnestiert, weil sie keine Terroristen sind“,

 

erklärte Sánchez im Februar 2024 in Brüssel. Dies rief viel Widerspruch und Proteste bei den Konservativen und Ultrarechten Spaniens und auch bei der PP-nahen Justiz hervor.

 

Eine Art Treppenwitz der Geschichte ist, dass der in sein belgisches Exil abgetauchte Puigdemont mit seinem Einfluss auf die radikal-nationalistische Partei „Junts“ wieder aus der Versenkung hervorkam und zur Schlüsselfigur für die Wahl von Sánchez und den Bestand seiner Regierung wurde. Sánchez sah sich genötigt mit ihm zu verhandeln.

 

Nun sah Aguirre seine Stunde von Neuem gekommen. Kurz vor der Einbringung des Amnestiegesetzes ins Parlament nahm er die Untersuchungen wieder auf und verlängerte sie um 6 Monate. Erneut trat er mit seinem Narrativ an die Öffentlichkeit, suchte und fand dabei auch Unterstützung außerhalb Spaniens.

 

In einem in den „Tagesthemen“ von ARD1 gesendeten Interview wiederholte er seine These von der

 

„Unterstützung des Unabhängigkeitsprozesses mit dem Ziel, dass Russland zunächst die spanische Demokratie destabilisiert und der Unterwanderung in alle liberalen Demokratien Westeuropas die Hintertür öffnet.“

 

Neu war nun, dass er

 

„Handlungen von Carles Puigdemont aufdeckte, die zu einem Verbrechen des Hochverrats [traición] passen könnten, was seinen Anspruch auf das Amnestiegesetz gefährden würde.“

 

Von „Aufdecken“ kann nicht die Rede sein, denn der Richter bezog sich auf altbekannte Behauptungen: vor der Unabhängigkeitserklärung habe es „Menschen aus Puigdemonts Umfeld“ gegeben, die sich mit Abgesandten des Kremls getroffen hätten.

 

Die Absicht ist deutlich: es geht mit der Konstruktion des „Hochverrats“ darum, eine mögliche Amnestie Puigdemonts zu verhindern und damit seine eventuelle Rückkehr nach Spanien und seinen Einfluss auf die spanische Politik zu unterbinden. Zudem könnte Junts unterstellt werden, die Partei würde „Hochverrat“ unterstützen.

 

Es ist nicht üblich und widerspricht dem „Standeskodex“, dass Richter vor Abschluss ihrer Untersuchungen und mit ungesicherten, „prospektiven“, Ergebnissen an die Öffentlichkeit treten - und dies noch dazu im Ausland vor einem Publikum, das die genauen Umstände des Falles nicht kennt.

 

Joaquín Aguirre in den "Tagesthemen"
Joaquín Aguirre in den "Tagesthemen"

Das Interview hatte seine Wirkungen.

 

Die Hypothese von der Einmischung Russlands verbreitet sich - Medienberichte

 

Die „Tagesschau“ nimmt in einem „Exklusiv“- Artikel die Thesen des Richters auf und titelt: „Katalanische Separatisten. Putins europäische Hintertür?“ Das Fragezeichen ist „rhetorisch“, denn der Artikel gibt die Sicht Aguirres unkritisch und ohne die offenen Fragen zu nennen wieder. Auch spricht der Artikel generell von den „katalanischen Separatisten“, ohne die durchaus verschiedenen Positionen der einzelnen Unabhängigkeitsparteien (Junts, ERC, CUP) und Zivilorganisationen zu berücksichtigen.

 

Der Artikel beruft sich auf „Berichte von ´El Periódico` [spanisch-katalanische Tageszeitung] und des OCCRP [´Organized Crime and Corruption Projekt`]“.

 

El Periódico hat sich jahrelang darauf fixiert in Artikeln des Gerichtsjournalisten J.G. Albalat über die „Autos“ (Untersuchungen) des Richters Aguirre zu berichten, mit ausführlicher Darstellung der Hypothesen des Richters und Hervorhebung in den Überschriften.

 

Der Bericht des investigativen Netzwerks OCCRP (2022) ist im Stil einer „Enthüllungsstory“ mit angeblich neuen Erkenntnissen aufgemacht, wiederholt aber im Wesentlichen nur die alten Geschichten und die von Aguirre aufgebrachten Mutmaßungen. (Mitverfasser des Berichts ist J.G. Albalat - siehe oben.)

2024 nimmt OCCRP das Thema noch einmal in einem Artikel auf und gibt die „Investigationen“ in der erweiterten Fassung wieder, wie sie Aguirre in seinem letzten „Auto“ mitgeteilt hatte. Neben der Verbindung mit Sadovnikov kommen nun nebulöse „Personen russischer, deutscher und italienischer Nationalität" ins Spiel, teils im diplomatischen Dienst, mit Beziehungen zu russischen Geheimdiensten und  „extremen Rechtsparteien“. Die ursprünglich angebotenen 500 000 Dollar haben sich wundersam vermehrt, es sind 500 Milliarden geworden!

 

Beide Veröffentlichungen des OCCRP präsentieren nicht eindeutige Beweise für die Einmischung Russlands in den katalanischen Unabhängigkeitsprozess, sondern dokumentieren, auf welchen unsicheren Grundlagen dieser Verdacht beruht.

 

Es ist nicht abwegig, den Ausgang all dieser „Enthüllungen“ in einer konzertierten Aktion rechter spanischer Justiz, Medien und Politik zu sehen, die dahin geführt hat, dass eine unsichere Hypothese dabei ist, sich als Fakt zu etablieren. Dies hat nun auch die EU erreicht.

 

Das EU-Parlament stellt „Erwägungen“ über die „mutmaßlichen“ Verbindungen „katalanischer Sezessionisten“ mit Russland an

 

In einem am 5.2.24 in das EU-Parlament von Abgeordneten verschiedener Länder, meist aus dem liberal-konservativem Spektrum, vorgeschlagenen

 

Entschliessungsantrag zu Russland-Gate und der mutmaßlichen Einmischung Russlands in die demokratischen Prozesse der Europäischen Union“

 

heißt es:

 

„Das Europäische Parlament … stellt fest, dass die engen und regelmäßigen Kontakte zwischen Amtsträgern Russlands und Vertretern einer Gruppe katalanischer Sezessionisten in Spanien Teil der umfassenderen Strategie Russlands sind, jede Gelegenheit auszunutzen, die Politik Europas zu manipulieren, um ihrer Destabilisierung Vorschub zu leisten.“ (Fettdruck von mir. W.J.)

 

Der mit großer Mehrheit am 8.2.24 von den großen Parteienbündnissen (mit Ausnahme von „The Left“) angenommener Antrag des EU-Parlaments an die Präsidentin, die Kommission und den „Hohen Vertreter“ der Union für Außen- und Sicherheitspolitik

 

Russland-Gate und die mutmaßliche Einmischung Russlands in die demokratischen Prozesse der Europäischen Union

 

erweitert zwar Vorwürfe gegen katalanische Unabhängigkeitsaktivisten, formuliert aber vorsichtiger. Er spricht von „Erwägungen“, die darauf zurückgehen,

 

„dass in Zeitungsberichten schon seit längerer Zeit auf Kontakte und enge persönliche Beziehungen zwischen Sezessionisten in Katalonien, einschließlich Regierungsstellen der Autonomen Gemeinschaft Katalonien, und dem Kreml hingewiesen worden ist; … dass investigative Journalisten [OCCRP?] darüber berichtet haben, dass der ehemalige russische Diplomat Nikolai Sadownikow am Vorabend des rechtswidrigen Referendums in Katalonien im Oktober 2017 in Barcelona mit dem damaligen Separatistenführer und jetzigen MdEP [Mitglied des EU-Parlaments] Carles Puigdemont zusammengetroffen ist“.

 

Der explizite Bezug auf Puigdemont und sein Treffen war in der Erstvorlage des „Gemeinsamen Entschliessungsantrags zu Russland-Gate …“ nicht erhalten und wurde auf Antrag von Javier Zarzalejos im Namen der PPE-Fraktion eingefügt (PPE: „Europäische Volkspartei“, christdemokratisch, konservativ orientiert).

 

Das Parlament zeigt sich

„äußerst besorgt darüber, dass die katalanischen Sezessionisten und die russische Regierung mutmaßlich Beziehungen zueinander pflegen; stellt fest, dass sich die Einmischung Russlands in Katalonien – wenn sie denn nachgewiesen werden sollte – in die breiter angelegte Strategie Russlands einfügen würde, der Destabilisierung der EU im Innern und der Uneinigkeit der EU Vorschub zu leisten …“.

Das Parlament

„fordert die zuständigen Justizbehörden auf, die Verbindungen der MdEP [zu denen auch Puigdemont gehört], die mit dem Kreml und Russlands Versuchen der Destabilisierung und Einflussnahme in der EU und ihren Mitgliedstaaten in Verbindung stehen, wirksam zu untersuchen“.

Das Parlament

„missbilligt sämtliche Angriffe auf die Richter, die die Ermittlungen in den Fällen zu Aktivitäten im Zusammenhang mit [russischer] Einflussnahme leiten.“

 

Wo der Antrag Vorsicht walten lässt, ist das zu begrüßen, und dass das Parlament angesichts der gegen katalanische Unabhängigkeitsaktivisten erhobenen Vorwürfe auf Klärung dringt, ist verständlich. (Ob diese Aufgabe  in den Händen von PP-nahen Richtern in guten Händen ist, muss allerdings bezweifelt werden.) Andererseits ist nicht zu verkennen, dass Abgeordnete unter dem Eindruck fragwürdiger Veröffentlichungen und den Kampagnen der Unabhängigkeitsgegner stehen.

 

Es ist ersichtlich, dass Berichte und Kampagnen dieser Art die Obstruktionspolitik der Konservativen und extremen Rechten Spaniens gegen die Regierung Sánchez und ihre die plurinationale „Convivencia“ fördernden Vorhaben befeuern.

 

Sie bestärken Ressentiments gegen das katalanische Selbständigkeitsstreben – das seine oft nicht wahrgenommenen Gründe in der Historie und in der Unnachgiebigkeit zentralspanischer Politik und Justiz hat – und behindern so den Prozess der für Spanien notwendigen Annäherung von Zentralspanien und Katalonien.

 

Sie unterstützen das inzwischen in der westlichen Politik und Berichterstattung weitgehend fraglos akzeptierte Narrativ von der russischen Destabilisierung Europas. Hinweise darauf und die Sorge darüber sind nicht unbegründet. Doch die Fixierung auf dieses Narrativ als politische Doktrin macht blind für reelle Möglichkeiten konstruktiven Handelns mit der russischen Regierung und lähmt somit Fortschritte in der Überwindung der gefährlichen Kluft zwischen Russland und Europa.

 

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