Castelló d´Empúries - Den Geheimnissen einer alten Stadt auf der Spur. Ein Rundgang durch Grafenstadt. Teil 2

Von der Basilika über Herrenhäuser zur Alten Brücke

Blick von einer Terrasse an der Kirche Santa Maria auf die Castelló umgebende Landschaft im Nordosten. Hier erstreckten sich früher ein See und Sümpfe
Blick von einer Terrasse an der Kirche Santa Maria auf die Castelló umgebende Landschaft im Nordosten. Hier erstreckten sich früher ein See und Sümpfe

Der 1. Teil führte vom Waschhaus zu Basilika Santa Maria.

 

Vorausblick - was den Leser im 2. Teil erwartet:

- Eine Sage, die unchristliches Verhalten anprangert: El Bruel

- Enge Gassen, monumentale Herrenhäuser

- Außerhalb der Mauern: ein Altenheim im Modernisme-Stil, die        Wohnstatt der Toten, eine mittelalterliche Brücke und ein Turm-

  Denkmal

- Nachtrag: Ein Haus wird geöffnet

- Literatur

- Anhang: Karten, Pläne 

Eine Sage, die unchristliches Verhalten anprangert: El Bruel

 

Es lohnt sich auf eine Aussichtsterrassen zu treten, die man oberhalb der alten Stadtmauer findet, eine ist die Terrasse an der Kirche, die man über die Neue Sakristei betritt. Hier hat man einen schönen Blick auf die Gärten, Felder und Baumgruppen des nördlichen Teils der Aiguamolls („Sumpfige Wasser“). Früher erstreckte sich hier ein See mit einigen Felsinseln (Lac Tonon). 

 

Mit dem sumpfigen Gelände verbindet sich eine Legende, die vom „Bruel“.

 

Einst gab es - durch Missernten verursacht - eine Hungersnot. Der Graf – als guter christlicher Regent - befahl die Getreidevorräte, die die Reichen gehortet hatten, an die Armen zu verteilen. Niemand sollte hungern müssen. Ein Kaufmann wollte sich dem Gesetz des Grafen und seiner Christenpflicht nicht beugen. Nachts belud er einen Ochsenkarren, um seine Kornvorräte auf ein Schiff zu bringen und sie anderswo zu verkaufen. Sein Weg führte ihn durch die Sümpfe. Er geriet in der Dunkelheit vom Weg ab und der schwer beladene Wagen begann zu sinken. Sack für Sack warf er ab, um den Wagen zu erleichtern. An seine eigene Rettung dachte er nicht, ihn trieb nur die Gier, sein Gut zu retten.  Aber alles Bemühen nützte nichts. Die Ochsen, der Karren, der Kaufmann, die Kornsäcke, alles versank im Morast.

Lange Zeit konnte man nachts bisweilen das Gebrüll der versunkenen Ochsen („Bruel“) hören, das aus den Gewässern der Sümpfe aufstieg.

 

Der realistische Hintergrund des Gebrülls ist das dumpfe Rufen der Großen Rohrdommel in den Paarungszeiten. Der Vogel war in der jüngsten Zeit ausgestorben, ist aber wieder angesiedelt worden und nistet im Naturschutzgebiet der Aiguamolls. Sollte jemand nächtens durch seine Nistgebiete wandern, könnte er sein unheimliches Rufen hören und sich an die Sage vom Bruel erinnern. Wer sich solche Mühe nicht machen will, kann ein süßes Gebäck in der Pastisseria Surroca in Castelló kaufen, das nach dem Bruel benannt ist und beim Genuss der kleinen gelb-braunen in Goldfolie verpackten Kuchen an die Geschichte denken.

 

Der Dichter Fages de Climent hat die Sage in einem Drama „El Bruel“ aufgenommen. Da geht es um die tragische Geschichte einer Fischerfamilie und das Gebrüll der Ochsen aus dem Meer ist ein Symbol für die Macht des Meeres und des Schicksals.

 

Im Carrer A. Agramunt (Sardana-Komponist aus Castelló) geht es links zu einem Platz ab, über dem sich die Dominikanerkirche erhebt. An einer Hauswand ist ein Zitat von Fages de Climent geschrieben und daneben eine große Rohrdommel aufgemalt. Wir lesen:

 

„Setanta sacs que duia, ja endeixa vint, i encara la carreta du massa pes: com més quarteres llenca s´infonsa més, que la maresma és falsa i el blat feixue...ta llei bé fou complida, comte Pons Hug! D´enca d´aquesta feta de bella nit, del fons d´aquestes aigues munta el mugit dels bous, com un exempli pel desfael.“

 

„Von siebzig Säcken, die er geführt hat, lässt er schon zwanzig zurück, und immer noch trägt der Wagen zu viel Gewicht: je mehr Teile er wegwirft, desto mehr wird er überflutet, denn der Sumpf ist falsch und der Weizen ist schwer... Euer Gesetz ist wohl erfüllt worden, Graf Pons Hug! Seit diesem Ereignis mitten in der Nacht erhebt sich vom Grund dieser Wasser das Muhen der Ochsen, als Beispiel für ein Scheitern.“

 

(Aus: Fages de Climent, El Bruel de Castelló, 2002, S. 66-69).

 

Erinnerung: Klickt man diese und die folgenden Bilder an, werden sie vergrößert und es erscheint ein Beschriftung.

 

Enge Gassen, monumentale Herrenhäuser

 

Ein weiterer Teil des Rundganges durch Castelló könnte von der Kirche zu den "Casas pairals" führen, die im nördlichen Bereich des Puig Salner die engen und verwinkelten Gassen säumen.

Auf und um den Puig Salner gibt es eine Reihe von Herrenhäusern, meist aus dem 18. Jh. auf mittelalterlichen Grundmauern. Hier lebten in der „liberalen Zeit“ des 19. Jh.  und auch im 20. Jh. Bürgerfamilien mit Männern, die wichtige Positionen politischer Art innehatten und oft auch schriftstellerisch-journalistisch tätig waren.

 

Wegführung (siehe Pläne unten):

 

Über Plaça Joan Alsina zum Carrer Pere Estany - links abbiegen in Carrer de la Gallarda - links einbiegen in Carrer Capellans und durchgehen - zurück und links zur Plaça Ruiz Amado - über Traversia Cónsol/Carrer Portal Nou zur Casa Gran - zurück auf  Carrer Sant Pere més Alt, durchgehen - rechts einbiegen in Carrer Comalat - zurück und zur Plaça del Vi - rechts zum Carrer Almogávers (El Bordell) - durchgehen, dann rechts in Carrer A. Agramont, dort links in kleinen Platz mit Wandschrift und -zeichnung "El Bruel" einbiegen - zurück und zur Plaça dels Hommes gehen. Rundgang beenden oder zur Alten Brücke wandern (siehe Beschreibung weiter unten).

 

Carrer dels Capellans:

Casa Reitg (sprich: Retsch), 17./19. Zeitweiliges Domizil des Geschichtsschreibers, Advokaten und Politikers Jeroni Pujades Moner (1568-1635) - wahrscheinlich in einer früheren Bauphase des Hauses. Als Vertreter der ökonomischen Interessen der Grafen von Ampurias war er in der Llotja (altes Rathaus) tätig. Später wohnte er in einem anderen Haus nahe des Augustinerklosters, wo eine Gedenktafel angebracht ist. 

Casa Amettla, 18./19. Jh., neoklassizistisch. Der prächtigste Teil mit einem Wappen über der Tür ist der Plaça Joan Alsina zugewandt. Unter dem Wappen steht die Jahreszahl 1422, was darauf schließen lässt, dass das Haus ältere Vorgänger hatte und Tor oder Wappenstein in das heutige Haus eingefügt wurden. Man will es nicht glauben - im Haus befand sich einmal ein Kuhstall, aus dem Milch verkauft wurde.

Der katalanisch-republikanische Journalist und Politiker Claudi Amettla i Coll (1883-1968) heiratete die Erbin des Hauses, das so zu seinem heutigen Namen kam.

Casa Climent, 18. Jh., Haus der Familie Climent und des Dichters Carles Fages de Climent. Beherbergt das Archiv des Dichters. An einer Tür zum Carrer Pere Estany und an einem Tor des Restaurants „La Gallarda“ ist das Wappen der Climent zu sehen, mit der vieldeutigen Umschrift: „Vota Clemens“ (lat.: Opfer, Geschenke, Denkmale, Gelübde der Climents). 

Von hier sollte ein Abstecher zur Casa Gran am Stadtrand gemacht werden, gotisch, Mitte des 14. Jh. errichtet, eines der wenigen zivilen Gebäude aus dem Mittelalter, die noch erhalten sind. Es wurde von verschiedenen Adelsfamilien bewohnt. 

Casa Gran - einst lebten darin Adelsfamilien
Casa Gran - einst lebten darin Adelsfamilien

Plaça Ruiz Amado: 

Casa Contreras, historistischer Stil. Ersterbauung wohl 1681, als Haus des Abtes von Sant Pere de Roda, 1927 erneuert. Sitz der Familie Contreras, aus der der Schriftsteller Lluis Contreras (1863-1953) und der jesuitische Pädagoge Ramon Ruiz Amado (1861-1934) hervorgegangen sind. Eindrucksvolles Vestibul. - Casa Capella, 20. Jh.

Casa Sabater, 14./18. Jh., C. Sant Pere més Alt - Casa Nouvilas, 17./19. Jh., C. Comalac. Eines der größten Herrenhäuser in Castelló, Besitz der reichen und einflussreichen Grundbesitzerfamilie Nouvilas, die u. a. einen Kriegsminister der 1. spanischen Republik (1873/74) hervorgebracht hat. Die geadelte Familie verfügt über ausgedehnte Länderreien in Rabós und besaß auch ein prächtiges Haus in Figueres (Carrer Nou).

Ramón Nouvilas (1812-1880) führte 1873 die Truppen der liberal-republikanischen Regierung im 3. Karlinischen Krieg gegen die aufständischen konservativen „Carliner“ an. Die Carliner wollten die bourbonischen Thronprätendenten mit dem Namen „Carlos“ an die Macht bringen. 1874 wurde Castelló von den karlinischen Truppen erobert, geplündert und angezündet („Foc de Castelló“). Von der Befestigung gegen die Karliner ist noch ein Turm vorhanden („Torre Carlina“ / Carrer Calciners). - Casa Bassas (15./19. Jh.), Plaça del Vi.  Mit gotischem Fenster und  eindrucksvollem Tor, über dem die Jahreszahl 1595 steht. Das jetzige Gebäude wurde im Renaixença- Stil des 19. Jh. errichtet.

 

Casa PastellPlaça dels Hommes, Renaixença-Stil. Haus der Familie Negre Pastell, aus der Apotheker und Notare kamen. Sie häuften im Laufe der Zeit großen Landbesitz an und gehörten zu den reichsten Familien Castellós. Verbunden mit dem Haus ist der Jurist, Politiker, und Historiker Pelai Negre i Pastell (1895-1984). Das Wappen lässt auf Adel schließen (?).

Sehenswert wegen mittelalterlichen Charakters: Calle del Bordell, die auch - weniger verfänglich – Calle Almogàvers heißt. Wahrscheinlich gehörten die Almogàvers (katalanische Söldner des Mittelalters) zu den besten Kunden der Bordelle.

 

Auch hierzu gibt es Verse von Fages de Climent. Er lässt in seiner Dichtung „Somni de Cap de Creus“ („Traum vom Cap de Creus“) - in dem ihm in einem Traum die antiken Götter erscheinen – den Naturgott Pan sprechen:

 

 „Ich hab´ eine Vereinbarung mit Grazien und Furien / mit der Hexe in Llers und der Fee im Canigó / und Wasserfrauen – Roses und Montgó - . / Ich hab´ ein Felsenschloss in Quermanço / und drei Bordelle in Castelló d´Empuries."

Auf der Plaça dels Hommes wieder angekommen, endet unser in Teil 1 begonnene Rundgang durch die Grafenstadt.

 

Außerhalb des Stadtkerns gibt es aber noch einige sehenswerte Ziele.

 

Außerhalb der Mauern: ein Altenheim im Modernisme-Stil, die Wohnstatt der Toten, eine mittelalterliche Brücke und ein Turm-Denkmal

 

Wer noch einen weiteren Spaziergang machen will, könnte die Straßen Agramunt, Sant Domenec und Carrer del Pont  hinunter zur mittelalterlichen Brücke „Pont Vell“ gehen. Es ist auch interessant, durch Viertel zu gehen, wo Bauern und Arbeiter lebten und die nicht zum üblichen Tourismusprogramm gehören.

Carrer del Pont
Carrer del Pont

Es würde sich auch lohnen, dabei einen Abstecher zum Altenheim „Toribi Duran“ und zum Friedhof zu machen.

 

Das Heim Duran wurde 1898 von einem philantropischen Industriellen aus Castelló gestiftet, Toribi Duran i Garrigolas (1814-1888). Er war in Amerika reich geworden und hinterließ ein beträchtliches Vermögen. Unter anderen wohltätigen Projekten wurde daraus die Errichtung und die (damalige) Erhaltung des „Asil Duran“ in Castelló bestritten. Der Bau ist ein architektonisch eindrucksvoller Komplex - und Ausdruck seiner Zeit. Die zwei Flügel rechts und links vom Mittelbau haben nicht nur architektonisch-ästhetischen Sinn - sie trennten seinerzeit Männer und Frauen. Heute ist das Heim natürlich modernen Bedürfnissen angepasst worden.

Die Kapelle im Altenheim Toribi Duran
Die Kapelle im Altenheim Toribi Duran

Auf dem Friedhof (Cementiri) sehen wir nicht nur die Grabnischen der „einfachen“ Leute. Wir werden auch die Namen der reichen Bürgerfamilien wiederfinden, die wir bei ihren Casas senyorials kennengelernt haben. Sie ließen sich pompöse Pantheons errichten, nach der Devise: Wie im Leben, so im Tode - "Herrenhäuser" für Tote! Aber bemerkenswert sind sie schon, wie die Häuser, in denen sie zu Lebzeiten wohnten.

Die Brücke Pont Vell überspannt die Muga und ihre Uferwiesen mit 7 ungleichen Bögen. Sie wurde wohl Ende des 13. Jh. gebaut, zuerst nur mit 5 Bögen. Sie musste immer wieder erneuert werden, was an ihrem Material-„Flickwerk“ deutlich zu erkennen ist. Der schön renovierte Fußweg über sie wartet mit metallenen Informationplatten zu ihrer Ereignisgeschichte auf.

 

„Fages de Climent über die Brücke poetisch-legendär:

 

„Brücke, die Ponç Hug in sieben Jahren baute / Jedes Jahr einen Bogen, ein Säulengang aus sieben Brücken / Zeichen der schlechten und guten Jahre: / die Hugs dienen als Säulen, die Ponç als Bögen / O alte ungleiche Brücke mit sieben Bögen!“

Von der Brücke führt ein kurzer und reizvoller Spazierweg der Muga entlang – Richtung Neue Brücke – zur Torre Carlina, einem Überbleibsel aus dem 3. Karlinischen Krieg (siehe oben).

 

Friedlich steht der Turm in einem Garten und blickt auf kriegerische Zeiten zurück. Ach, wäre das mit allen Kriegsschauplätzen so und könnten wir auch heute sagen: Das war einmal ...

Wir sind am Ende, tornem cap a centre.

 

Wenn die Steine der alten Grafenstadt reden könnten, hätten sie viel zu erzählen, von „Jahren des Überflusses von Gott her und Jahren der Not“ – wie Fages de Climent an der Brücke sagt – von günstigen und verhängnisvollen historischen Ereignissen, von Freud und Leid ihrer Einwohner.

 

Ein wenig habe ich die Steine zum Reden bringen wollen.

 

Nachtrag

 

Vieles bleibt verschlossen, insbesondere dem Gast. Wenn man Glück hat, öffnet einer der Einwohner Castellós sein altes Haus, erzählt von dessen Vergangenheit und der seiner Vorfahren. Es ist erstaunlich, was die von außen meist abweisend erscheinenden Häuser oft an Räumlichkeiten, Inventar und Sammlungen zu bieten haben. Zum Schluss ein (begrenzter) Einblick in ein (ungenanntes) Haus.

 

Text und Bilder (wenn nicht anders angegeben): Wolfram Janzen

 

Literatur

 

Bücher:

 

A.      A. Compté, Castelló d´Empúries, hrsg. Ayuntamiento de Castelló d´Empuúries, Druck: Canigó, Figueres, o. J.

     B.      J. M. Gironella i Granés, Castelló d´Empuries, Col.lectió Empordà Medieval, Guía de Visita, Imprempta Aubert, o. J.

     C.      J. Marqués Casanovas, Santa María de Ampurias, 1974

     D.     M. Pujol i Canelles, La conversió dels jueus de Castelló d´Empuries, hrsg. Ajuntament de Castelló d´Empúries, o.J.

     E.      Fages de Climent a Castelló (Textauswahl für das Itinerario), hrsg. Cátedra de Patrimoni Literari … u. a., Universitat de Girona. Servei de Publicacions

 

     Aufsätze:

 

     F.       P. Negre Pastell, Families i cases senyorials de Castelló, Annals del l´Institut d´Estudis Empordanesos, Figueres, 17, 1984

     G.      M. Pujol i Canyelles, Sinagogues medievals de Castelló d`Empúries, Annals de l´Institut d´Estuis empordanesos, 24, 1991

     H.        A. M. Puig Griessenberger, J. M. Gironella Granés, La sinagoga de Castelló d´Empúries, Evidències i históriques i archiològiques, esefarad.com

 

     Anhang: Karten, Pläne

    

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